Kurzes #36 – Eine Vernissage

von
Armin A. Alexander

Der folgende Text ist Ausszug aus »Ein neues Zimmer« aus dem Erzählband »Felizia & Felix«

Als Gero sich auf den Weg zu Wolfs Vernissage in einer kleinen ein wenig vom Zentrum entfernt gelegenen Galerie machte, dachte er bereits nicht mehr an Marlies. Im Prinzip ging er nur aus der damals noch relativ frischen Freundschaft zu Wolf dorthin. Vernissagen langweilten Gero in der Regel. Sie besaßen für ihn immer etwas Verpflichtendes, war ihm der Künstler persönlich bekannt. Ansonsten waren ihm zu viele Leute anwesend, die aus allen möglichen Gründen dorthin gingen, jedoch nur selten der Kunst allein wegen.
Wolfs Vernissage war ausgezeichnet besucht. Da es ein warmer Frühlingsabend war, hielten sich einige der Besucher vor der Galerie auf und unterhielten sich. Innen drängten sich die Leute fast. Nur die wenigsten betrachteten Wolfs Arbeiten – verschiedene Gemälde und eine Handvoll Zeichnungen, die Geros Geschmack trafen – die Mehrzahl stand in kleinen Gruppen zusammen und redete über alles mögliche, doch kaum über Kunst im allgemeinen oder gar Wolfs Arbeiten im besonderen. Gero entdeckte Wolf in dem Raum, in dem seine Zeichnungen hingen im angeregten Gespräch mit einer Frau. Normalerweise wäre Gero geradewegs zu ihnen hingegangen, um Wolf zu begrüßen, doch jetzt blieb er fasziniert ein Stück von ihnen entfernt stehen. Wolf und die Frau standen seitlich zu Gero, so daß sie ihn nicht sofort bemerkten, auch schienen sie derart in ihre Unterhaltung vertieft, daß sie nicht auf ihre Umgebung achteten. Noch nie war Gero einer Frau begegnet, auf die das Attribut ›damenhaft‹ dermaßen zutreffend war. Sie war etwas mehr als mittelgroß, das dunkelbraune taillenlange Haar trug sie zu einem Zopf geflochten. Ihr Make-up war perfekt auf ihren Typ abgestimmt. Die vollen Lippen umspielte ein leises Lächeln, als amüsiere sie Wolfs Ausführungen ein wenig. Gegen sie wirkten die übrigen anwesenden Frauen nachlässig gekleidet, obwohl ihr figurbetontes helles Leinenkostüm an sich nicht auffällig war. Die hautfarbenen Strümpfe, die ihre schönen Beine umhüllten, waren dagegen edler, wie auch ihre braunen Schuhe mit den beinahe turmhohen Absätzen handgearbeitet und aus feinem Leder waren. Gero benötigte einige Augenblicke, bis er dahinter kam, warum sie sich von allen anwesenden Frauen deutlich absetzte, schließlich war sie beileibe nicht die einzige attraktive Frau hier – sie strahlte eine Selbstsicherheit und Souveränität in Verbindung mit natürlicher Autorität aus, Eigenschaften, wie sie Gero bisher noch nie gemeinsam in einer Person begegnet waren. Es schien schwer vorstellbar, daß sie ihre Ziele nicht erreichte. Für Geros Geschmack waren ihre Hüften etwas zu breit und ihre Brüste sichtlich zu üppig. Gero konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, daß bei letzteren der Natur etwas nachgeholfen worden war, andererseits konnte er sich nicht vorstellen, daß eine Frau wie sie dergleichen zur Hebung ihres Selbstbewußtseins unternahm. Eine Vermutung die sich später als richtig erweisen sollte. Weil Gero selber groß und schlank mit einer Tendenz zum Hageren war, suchte er das optische Gegenstück zu sich. Wenn er auch kein Verehrer eines knabenhaften fast schon androgynen Ideals war. Dennoch fühlte er sich auf eine besondere Weise zu dieser Frau hingezogen, was ihn vor allem deshalb ein wenig irritierte, weil er überzeugt war, daß eine Frau wie sie sich nur für Männer interessierte, die gleichermaßen selbstbewußt, und erfolgreich waren und zu denen zählte er sich eindeutig nicht.
Gero konnte nicht sagen, wie lange er dastand und zu Wolf und der Frau hinübersah, bis Wolf kurz in seine Richtung blickte und den Freund erkannte. Liebenswürdig winkte Wolf Gero zu. Mit einer Mischung aus Höflichkeit, Neugier und ein wenig Scheu vor der Persönlichkeit dieser Frau, trat Gero zu ihnen.
»Gero, darf ich dir Marlies vorstellen«, sagte Wolf mit einer leichten Feierlichkeit. »Und das ist Gero, Marlies. Ich habe dir ja von ihm erzählt. Ein guter Freund, lesenswerter Autor und ungläubiger Thomas. Er wollte mir absolut nicht glauben, daß du etwas ganz Besonderes bist.«
Gero hätte dem Freund am liebsten einen kräftigen Tritt vors Schienbein für diesen Nachsatz gegeben. Marlies jedoch lächelte Gero dermaßen freundlich an, während sie ihm die Hand reichte, daß er sich das für später aufhob, und fast schon wieder versöhnt war.
Marlies’ Hand fühlte sich angenehm an, ihr Händedruck war fest. Ihre schönen schlanken Hände waren unberingt, die Nägel halblang und dunkelrot lackiert. Dieselbe Farbe besaß auch ihr Lippenstift. Sie benutzte ein dezent fruchtiges Parfum. Trotz ihrer hohen Absätze war sie kleiner als Gero, dessen Blick unwillkürlich von ihrem üppigen Dekolleté angezogen wurde. Ihr weißes seidenes Oberteil enthüllte mehr als es verhüllte und wirkte doch nicht kokett. Daß Marlies ihren Körper vorbehaltlos akzeptierte war nicht zu übersehen. Auch was ihre starke erotische Ausstrahlung betraf, hatte Wolf in keiner Weise übertrieben. Zugleich umgab Marlies eine Aura des Unnahbaren, die Gero Schwierigkeiten bereitete, sich vorzustellen, daß tatsächlich etwas zwischen ihr und Wolf gewesen sein sollte. Marlies’ warme Altstimme rundete für Gero ihre Erscheinung gelungen ab.
Nachdem sich die erste Überraschung über das Zusammentreffen und Marlies’ außergewöhnliche Erscheinung bei Gero legte, wuchs der Freund um ein ganzes Stück in seiner Achtung. Geros Ansicht nach gehörte Einiges dazu, um eine solche Frau erobern zu können.
Geros anfängliche Vermutung, daß Marlies sich nach einigen Worten, die sie rein aus Höflichkeit, weil er Wolfs Freund war mit ihm wechselte, von ihnen verabschieden würde, bewahrheitete sich nicht. Im Gegenteil unterhielt sie sich über eine Stunde angeregt mit Gero, während Wolf sich längst anderen Besuchern widmete.
Als Marlies sich von Gero verabschiedete – da sie am nächsten Tag den Frühzug nach Berlin nehmen mußte, konnte sie nicht mit zum anschließenden kleinen Essen gehen, zu dem Wolfs Galerist einige Ausgewählte geladen hatte, darunter einige Freunde Wolfs einschließlich Gero – besaß Gero nicht nur ihre ebenso schlichte wie edle Visitenkarte mit ihrer Privatadresse, sondern zugleich eine Einladung zum gemeinsamen Abendessen am kommenden Dienstag. Marlies setzte einfach voraus, daß Gero am kommenden Dienstag Zeit habe, und Gero kam gar nicht auf den Gedanken, zu überlegen, ob er an jenem Abend überhaupt könne.
Während Gero nachdenklich vor der Galerie stand, Marlies’ Visitenkarte noch nicht eingesteckt, ihr nachsah, wie sie würdevoll davonschritt, die Hüften auf eine elegant sinnliche Weise wiegend, trat Wolf, der mit sichtlicher Genugtuung beobachtet hatte, wie Marlies und Gero die ganze Zeit über anregend miteinander geplaudert hatten, zu Gero und sagte ein wenig selbstgefällig:
»Habe ich nun recht gehabt, was Marlies angeht oder nicht?«
»Zumindest hast du nicht allzu sehr übertrieben«, erwiderte Gero mit einem leicht verlegenen Lächeln.
Er brachte es nicht über sich, Wolf gegenüber offen Abbitte abzuleisten, denn seines Erachtens konnte man bei Marlies gar nicht übertreiben.
»Für einen Dichter bist du reichlich nüchtern eingestellt«, schmollte Wolf kurz. »Aber gib zu, daß du trotzdem ihrer Faszination erlegen bist.«
»Wenn es dich beruhigt«, antwortete Gero mit einem schwach unterdrückten Seufzer, abgesehen davon hatte Wolf recht; er hätte sich Marlies’ Faszination wirklich nicht entziehen können, selbst wenn er gewollt hätte.
Geros Gedanken waren den übrigen Abend überwiegend bei Marlies. Und er fragte sich, warum sie sich überhaupt mit ihm zum Essen verabredet hatte.
Nach diesem Essen verschwendete Gero keinen Gedanken mehr auf die Frage, warum Marlies seine Gesellschaft suchte. Er nahm es einfach als unabänderliche Tatsache hin. Daß ihre Gegenwart nicht seiner Eitelkeit schmeichelte, war eine der Eigenschaften die Marlies an Gero schätzte.

 

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Pressestimmen

Fünf Kurzgeschichten serviert uns Armin A. Alexander in seinem Buch »Felizia & Felix« und jede ist voller Poesie und liebevoller Zärtlichkeit. […]
Jede der fünf Storys ist ein Genuss, dennoch gefällt mir die erste am besten, die den Titel Marmeladentörtchen trägt.
Dort trifft ein Mann auf einem Fest von Freunden eine attraktive Frau. Da er vom Regen überrascht und nass wird, bietet sie ihm an, ihn mit zu sich zu nehmen, damit er warm duschen und sich umziehen kann. Während seine Kleidung im Trockner ist, kocht er als Gegenleistung für sie. Zum Nachtisch gibt es Tee und selbstgebackene Törtchen – Und während das Aroma von gutem Tee und frisch Gebackenem durch die Küche zieht, vernascht die Dame des Hauses doch lieber zuerst den Koch.
Ein wunderbares Buch für diese Jahreszeit. Es inspiriert dazu, es sich auf dem Sofa mit Wolldecke und Tee gemütlich zu machen, um zu lesen und zu träumen.[…]

Zilli in den »Schlagzeilen« Nr. 106

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