Kurzes #38 – Die schöne Üppige

von
Armin A. Alexander

Das warme Licht der Abendsonne schien ins Zimmer. Durch das ein wenig geöffnete Fenster drang Vogelgezwitscher und leises Murmeln von den Nachbarbalkonen herein. Der hereinströmende Luftzug blähte leicht die Gardine. Die Zeit schlich auf eine angenehme Weise dahin, eine wohlige Zufriedenheit des Augenblicks in Begleitung.

Holger konnte sich kaum entsinnen, wann er das letzte Mal derart mit sich im reinen gewesen ist. Er saß, die Beine ausgestreckt im bequemen Sessel, ein Buch auf den Knien, in dem er aber nicht las. Statt dessen galt seine ganze Aufmerksam Marietta, die ihm gegenüber auf der Couch saß, die Beine mit damenhaft lässiger Eleganz übereinandergeschlagen, und fast selbstversunken in einem Buch las.

Ein wohlig sehnsüchtiges Gefühl durchströmte ihn beim Anblick ihrer schönen langen zartbestrumpften Beine und ihres engen, seitlich relativ hochgeschlitzten Lederrocks, der sich über ihrem angenehm gewölbten Bauch auf betörende Weise spannte. Sicher, er hegte eine besondere Leidenschaft für zartbestrumpfte Frauenbeine und Marietta teilte nicht nur seine fetischistische Vorliebe für Nylonstrümpfe und hochhackige Schuhe, sondern fühlte sich erst richtig wohl, waren ihre Beine von zarten Nylons umhüllt und trug sie körperbetont geschnittene Lederbekleidung. Die Absätze ihrer Schuhe und Stiefel, die sie am liebsten trug, konnten ihr gar nicht hoch genug. Sie selbst sprach gerne, mit einem begleitenden Augenzwinkern, daß ihre Passion mitunter auf eine regelrechte ›Sucht‹ hinsteuerte, da es ihr monatliches Finanzbudget mitunter ganz schön arg strapazierte. Was er ihr glaubte, schließlich sprach die Anzahl der Nylons und Schuhe und besonders Stiefel und schicker Lederbekleidung für sich, die ihren Schuhschrank, die Kommodenschubladen und ein Teil des Kleiderschranks überquellen ließen, wenn ihm auch bewußt war, daß es zu einem nicht unwesentlichen Teil kokette Übertreibung war.

Bis auf die gemeinsamen fetischistischen Vorlieben entsprach sie nicht wirklich seinem Typ, da sie alles andere als eine zarte Elfe war. Üppig – er vermied das negativ besetzte Wort ›dick‹ – aber nicht schwerfällig und unförmig, dafür war sie zu groß, nur wenig kleiner als er, ihr Busen war so mütterlich, daß sie im Stehen ihre Fußspitzen nicht sehen konnte. Er hatte bei einer Frau selten derart schöne und schlanke unberingte Hände mit halblangen, meist in einem dunklen Rot lackierten Nägeln gesehen. Doch das schönste an ihr, seines Erachtens, war ihr wundervoll langes schweres rotbraunes Haar, das sie meist zu einem legeren Knoten frisiert trug, selbst jetzt, was ihr hübsches rundes Gesicht, über das sich stets ein lebensfrohes Lächeln zog, selbst wenn sie eigentlich streng aussehen wollte, noch ein wenig runder wirken ließ. Sie verstand es, sich zu schminken, besonderes ihre vollen weichen Lippen, ihres vielleicht ein wenig zu großen Mundes, wußte sie je nach Anlaß zu betonen, von dezent bis derart verführerisch, daß einem der Atem stocken konnte. Ihre Fesseln waren schmal, die Waden verliefen in einer sanften Linie, die Schenkel waren naturgemäß sehr kräftig, aber da die Proportionen insgesamt stimmten, erfreute es das Auge. Die Schönheit ihrer Füße stand der ihrer Hände in nichts nach.

Beruflich waren sie sich oft begegnet. Er hatte sich lange nicht vorstellen können, mit ihr eine Beziehung zu haben. Eine Beziehung mit einer dicken Frau war für ihn lange undenkbar gewesen. Dicksein und Schönheit waren für ihn, wie für viele andere auch, Antonyme gewesen. Da er selbst eher groß und schlank war, war er der Meinung, daß nur eine gleichfalls schlanke und eventuell auch große Frau zu ihm passen könnte. Eine dicke Frau nackt zu sehen, mit ihr Sex zu haben, hätte seine ästhetische Toleranz überfordert – hatte er zumindest geglaubt.

An ihr hatte ihm vor allem gefallen, daß sie verstand, sich zu kleiden. Eine gewisse modische Eleganz schien ihr eigen zu sein. Aus praktischen Gründen trug die während der Arbeit meist halbhohe Absätze und schlichte, wenn auch nicht ganz billige Strumpfhosen, wobei ihm bewußt war, daß auch Strumpfhosen sehr sexy sein konnten und ihr Fetischismus sich auch darauf bezog. Abgesehen von allem anderen pflegte er den Grundsatz, nie etwas mit einer Kollegin zu beginnen, doch in diesem Fall war es ein vorgeschobenes Argument, denn in seiner Beratertätigkeit war selten mehr als einmal in der Woche für wenige Stunden im Haus, so daß sie sich ohnehin nur flüchtig begegneten, wenn überhaupt. Unmittelbar miteinander zu tun hatten sie so gut wie nie. Ihre starke erotische Ausstrahlung hatte er durchaus wahrgenommen, aber sich nichts weiter dabei gedacht. Obwohl er sich stets gerne mit ihr unterhielt, begegneten sie sich und sie diese kurzen Gespräche gleichfalls sichtlich genoß. Daß sie ihn dagegen sehr anziehend fand und durchaus an einer näheren Bekanntschaft interessiert war, entging ihm vollständig.

Es hätte sich sicherlich wenig an ihrem Verhältnis zueinander geändert, wären sie sich nicht zufällig an einem Samstagnachmittag in der Stadt begegnet.

Es war kein sonderlich schöner Tag gewesen, verregnet und ein wenig kühl wie der Frühling insgesamt, der spät in diesem Jahr gekommen war. Er hatte sie zuerst gar nicht bewußt wahrgenommen. An diesem Tag trug sie einen knielangen recht engen dunklen Lederrock und eine weitgeschnittene lange Lederjacke. Ihr dekolletiertes Oberteil bildete ein faszinierendes Gleichgewicht zwischen Narzißmus und Exhibitionismus. Zwischen dem Saum des Rocks und den Schäften ihrer Stiefel aus grauem Veloursleder mit beinahe turmhohen Absätzen war eine Handbreit ihrer hauchzarten echten Nahtnylons zu sehen, wie sein Kennerblick sogleich feststellte. Ein damenhaft verführerisches Make-up vervollständigte ihre Erscheinung. Sie schritt auf ihren hohen Absätzen so leicht und sicher dahin, wie es eine zarte Elfe nicht besser könnte.

An diesem Tag ahnte er noch nicht, daß sie außerhalb der Arbeit ausschließlich echte Nylons trug, da sie ihr sehr gefielen. Sie hatte schon als Kind die eleganten Frauen aus den Filmen der 1950er und frühen 1960er Jahre aufregend gefunden und sich bereits damals vorgestellt, wie sie später selbst einmal eine solche Frau sein würde. Sie kleidete sich in erster Linie für sich selbst, schließlich ist eine Frau nicht schon emanzipiert, nur weil sie ihre Weiblichkeit leugnet und androgyn sein will, war ihre Überzeugung. Wenn Männer eine Frau wegen ihrer äußeren Erscheinung, ihrer Art sich zu kleiden, sexy finden, so sind es nur zum Teil Projektionen. Die Wahrheit ist, daß sie eine Frau nur sexy finden können, weil sie sich so fühlt.

Daß er sie erstaunt anblickt hatte, sie im ersten Moment anscheinend gar nicht erkannt und sie ihn daher zuerst gegrüßt hatte, amüsierte sie. Sie hatte es stets bedauert, daß er nie wirklich mit ihr flirtete. Doch jetzt, wo sie gekleidet war, wie es ihm gefiel, schämte er sich fast, daß er diese Frau nie wirklich als Frau betrachtet hatte. Kleider machen tatsächlich Leute und Arbeit ist nicht Freizeit. Fast ein wenig beschämt, als hätte er lange etwas Bewundernswertes, das sich ständig vor seinen Augen befand, nicht zu würdigen gewußt, schien er dies nachholen zu wollen, wobei er sich so ungeschickt anstellte, was sie zugleich amüsierte und elektrisierte.

Sie lud ihn zum Kaffee ein, da sie ihre Chance erkannte. Er bemühte sich währenddessen, seine Bewunderung nicht allzu auffällig werden zu lassen, schien dabei fast ein wenig im Zweifel zu sein, ob es gut gewesen war, ihre Einladung anzunehmen. Sie schien ihn durch ihre dunkelgeränderte Brille ein wenig amüsiert zu betrachten. So als spiele sie ein wenig mit ihm. In Wahrheit wollte sie ihn nur bißchen ›zappeln‹ lassen, weil er sie bisher lediglich als Arbeitskollegin gesehen hatte, während sie sich schon länger auf eine gewisse Weise sexuell von ihm angezogen gefühlt hatte, schließlich zählte er zu den Männern, mit denen eine Frau gerne Sex hatte.

Er bemühte sich, nicht allzusehr auf ihre Beine und ihr üppiges Dekolleté zu schauen, womit er sich natürlich so auffällig wie möglich verhielt. Allerdings unternahm sie auch alles, um ihm ihre üppigen Reize so provokativ wie möglich darzubieten, ohne daß sie damit Dritte auf sich aufmerksam machte, was sie aber auch nicht wirklich störte, dafür war ihr Exhibitionismus zu ausgeprägt.

Er hätte gerne gewußt, was sie in diesem Augenblick von ihm dachte. Sie redeten wie üblich über Gott und die Welt. Und doch war es nicht zu übersehen, daß jeder mit seinen Gedanken bei etwas ganz anderes war und sich ihre Gedanken ähnlicher waren als jeder beim anderen vermutete. Sie gab ihm auf charmante Weise frank und frei zu verstehen, daß sie kein Kind von Traurigkeit war. Er verstand nur allzu gut, was ihm gleichermaßen den Atem raubte, wie es sein Herz schneller schlagen und ein eigenartiges Kribbeln seinen Rücken hinunterlaufen ließ. Aus der Sache kommst du nicht mehr in Ehren heraus, war sein zweiter Gedanke. Er wußte nicht, ob es ihn freuen oder ängstigen sollte. Er hatte schon immer ein mulmiges Gefühl besessen, ergriff eine Frau die Initiative. Offenkundig schien er ein Mann zu sein, bei dem Frauen meist die Initiative ergriffen, wenngleich er damit nie wirklich negative Erfahrungen gemacht hatte, konnte er die Angst vor Kontrollverlust nicht überwinden. Bei dieser Frau jedoch nahm die ›Angst‹ erotisch stimulierende Dimensionen an. Dabei konnte er sich nicht erinnern, jemals irgendwelche devoten Neigungen besessen zu haben.

Vom Café aus, in das sie ihn eingeladen hatte, setzte sie in seiner Begleitung ihren Einkaufsbummel fort, unter anderem in einem Fachgeschäft für Dessous, wo er erfuhr, wie viele schöne und verführerische Dessous es auch und gerade für Frauen jenseits des herrschenden Schönheitsideals gab. Sie ließ sich Zeit beim Aussuchen, fragte ihn oft um Rat. Er war bemüht, diesen so souverän wie möglich zu geben. Es war zwar nicht das erste Mal, daß er eine Frau beim Kauf von Dessous begleitete, aber erstens hatte bisher keine ihre Körperfülle besessen und zweitens, dabei auch noch offen versucht, ihn zu ›verführen‹.

Später, nachdem sie ein wenig in einem kleinen heimeligen Restaurant gespeist hatten, nahm sie ihn zu sich mit nach Hause, mit dem Ergebnis, daß sie erstens ihr schickes Lederkostüm beim ersten Sex anbehalten hatte – dabei erfuhr er auch, daß sie gerne halb oder ganz angezogen beim Sex war und außerhalb der Arbeit nur selten einen Slip trug, wenngleich sie schöne verführerische besaß – und zweitens wie oft er innerhalb einer Nacht konnte und auch wollte. Er hatte tatsächlich nicht genug von ihr bekommen konnte, was ihn von allen Erlebnissen dieses Tages am meisten verwundert hatte.

Fast ein halbes Jahr lag dieser denkwürdige Samstag jetzt zurück. Auf der einen Seite hatte er das Gefühl, als sei bereits eine Ewigkeit seitdem vergangen und zugleich erst vor kurzem geschehen. Er dachte längst nicht mehr daran, daß Marietta eigentlich nicht sein Typ gewesen ist. Sie war es längst, er wollte gar keine andere Frau mehr haben. Er liebte die Üppigkeit ihres Körpers, ja, sie erregte ihn bereits an sich sexuell.

Sie sah von ihrem Buch auf. Sie hatte den Abschnitt zu Ende gelesen. Sie lächelte ihn an, legte ein Zeichen zwischen die Seiten und schlug das Buch zu, das sie neben sich legte.

»Woran denkst du«, fragte sie ihn liebevoll und ein besonderes Lächeln umspielte ihre Lippen.

Er erwiderte ihr Lächeln, erriet, was sie dachte und es dasselbe war, was er dachte. Er sagte es ihr.

»Ja, das will ich jetzt auch. Aber ich möchte noch etwas von dir hören.«

»Daß es wundervoll ist, mit einer dicken Frau zu vögeln.« Es bereitete ihm noch immer ein wenig Mühe, das Adjektiv ›dick‹ auszusprechen.

Sie benutzte es selbstbewußt. ›Üppig‹, ebenso wie ›mollig‹, waren ihr zu beschönigend. Sie waren letztlich auch herabsetzend. Sie war nun einmal dick, sie würde nie eine zarte Elfe sein, was sie auch gar nicht wollte. Sie mochte ihren Körper, wie er war, sie fühlte sich wohl in ihm, sie wußte, welch schöne Gefühle er ihr verschaffen konnte, und sie wußte, daß es nicht einmal die uninteressantesten Männern waren, die sich von einer schönen dicken Frau angezogen fühlten, die Geist, Witz und Persönlichkeit besaß und vor allem im Sexuellen zu genießen wußte. Es hatte sie gefreut, bereits an ihrem ersten Abend zu entdecken, daß er eine ebenso starke Libido besaß wie sie. Er hatte ihr bis heute verschwiegen, daß es hauptsächlich an ihr lag, daß er ein starkes sexuelles Verlangen entwickelt hatte.

Er schien ohnehin mittlerweile ins andere ›Extrem‹ verfallen zu sein, er konnte sich Sex nur noch mit einer üppigen Frau vorstellen, was er hin und wieder in Euphorie bemerkte und sie schmunzeln ließ.

Sie stand auf, stellte sich vor ihn und präsentierte ihm ihren üppigen Busen. Ihm stockte beinahe der Atem. Er verstand, warum die Statuen aus der Frühgeschichte derart üppige Oberweiten und ausladenden Hüften besaßen, und es war die Frage, ob es sich dabei tatsächlich ›nur‹ Fruchtbarkeitsgöttinnen handelte, oder nicht doch um mehr.

Er stand auf und legte zärtlich verlangend die Arme um sie. Durch ihre hohen Absätze war sie ein wenig größer als er. Es genügte, ihren Körper an seinem zu spüren, damit sein Schoß deutlich stärker durchblutet wurde.

 

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