Kurzes #69 – Das kleine Schuhgeschäft

von
Armin A. Alexander

»Bis morgen.« Robert schloß die Tür hinter Lore und Cornelia, seinen beiden Verkäuferinnen. Er warf einen kurzen Blick auf die Uhr. Noch eine viertel Stunde, dann würde er das kleine Schuhgeschäft schließen, das auf Damenschuhe spezialisiert war und das er bereits in der dritten Generation führte.

Es war ein lauer Frühlingsabend mitten in der Woche. Im Grunde viel zu schade, um ihn mit den lästigen täglichen Büroarbeiten zu verbringen. Gut eine Stunde würde er noch damit zubringen müssen, bevor er ebenfalls nach Hause gehen konnte. Hoffentlich kam jetzt keine Kundin mehr. Aber vor der Zeit wollte er auch nicht schließen, selbst wenn es sich nur um fünf Minuten handelte. Jetzt waren es noch zehn.

Er spielte nervös mit den Schüsseln in der rechten Hosentasche. Er betrachtete die im großen Schaufenster ausgestellten Schuhe, die überwiegend mittelhohe bis beinahe turmhohe Absätze besaßen und ausnahmslos aus feinem Leder waren.

Hochwertige und dennoch erschwingliche Schuhe waren seit jeher das Motto des Geschäfts gewesen. Wohlhabend war er dadurch nicht geworden. Trotz allem würde er es gegen nichts anderes eintauschen wollen, ein nicht unbeträchtlicher Teil seiner Kundinnen besaß schöne Beine, und schöne Frauenbeine gefielen ihm nun einmal sehr. Somit konnte er seiner Vorliebe ungestört frönen, ohne daß sich irgend jemand etwas dabei dachte.

Lore und Cornelia ahnten zwar, daß er sie nicht nur auf Grund ihrer guten Zeugnisse eingestellt hatte, sondern deren schöne langen Beine den eigentlich Ausschlag gegeben hatten. Aber da er ein umgänglicher Chef war und zudem ein attraktiver, wenn auch etwas zurückhaltender vierziger, waren sie überzeugt, daß sie es kaum besser hätten treffen können, zumal sie Schuhe und echte Nylons – ihre persönliche Leidenschaft, die er in seinem Geschäft in großer Auswahl führte – zum Selbstkostenpreis erstehen konnten.

Er sah erneut auf die Uhr. In rund drei Minuten konnte er endlich abschließen. Er holte den Schlüssel aus der Hosentasche und wollte die Hand bereits auf den Türgriff legen, da drückte eine Frau die Tür auf. Er trat unwillkürlich einen Schritt zurück, um die Tür nicht gegen den Kopf gestoßen zu bekommen.

»Ich wollte gerade schließen«, sagte er mehr reflexartig und darum auch leicht verlegen, da es mehr seinem Wunsch als seinem Geschäftsprinzip entsprach.

»Würden Sie eine Ausnahme machen? Es dauert auch nicht lange«, fragte sie freundlich mit einer warmen Altstimme und sah ihn dabei mit einem Blick an, dem kaum etwas abzuschlagen war.

Erst jetzt schien er zu bemerken, wer vor ihm stand. Sie war ein wenig größer als er, was an den fast turmhohen Absätzen ihrer Schuhe lag, denen sein erster Blick galt.

Es war eine berufliche Manie von ihm, den Leuten zuerst auf die Schuhe zu sehen. Zeige mir die Schuhe, die du trägst und ich sage dir, wer du bist, könnte sein Leitmotiv sein. Ihre Schuhe waren aus feinem Leder, gepflegt und ihnen war anzusehen, daß sie häufig getragen wurden, was die Liebhaberin hochhackigen Schuhwerks verriet.

Nach diesem ersten positiven Eindruck hob er den Blick und betrachtete den ›Rest‹ seiner späten Kundin, die einen knielangen Rock und ein langärmliges Oberteil aus handschuhweichem weinrotem Leder trug und sich wie ein Handschuh um ihren femininen, leicht zum Molligen tendierenden Körper schmiegte. Allzu schlanke Frauen hatten noch nie seinen Gefallen gefunden.

»Na gut.« Er unterdrückte einen Seufzer, nicht weil er noch eine Kundin bedienen mußte, sondern weil sie zu den Frauen gehörte, denen man(n) nur wenig abschlagen konnte und die das auch wußte. »Wenn es Sie nicht stört, daß ich solange hinter Ihnen abschließe.«

»Nein, so sind wir ungestörter«, erwiderte sie mit einem leisen Lächeln, und strich sich mit einer nonchalanten Geste eine Strähne ihrer schwarzen, schulterlangen Locken aus der Stirn. Enge Handschuhe aus dem gleichen Leder und von der gleichen Farbe wie Rock und Oberteil schmiegten sich wie eine zweite Haut um ihre schlanken Hände.

Er schloß die Tür hinter ihr ab. Ihr schweres, betörendes Parfum erfüllte bereits den Laden und wirkte leicht betäubend.

ER schob den Schlüssel in die Hosentasche zurück. Die Schöne betrachtete ein Paar zehenfreier Schuhe aus schwarzem Lack mit sehr hohen Absätzen, die in einem kleinen Regal neben der Tür standen. Beinahe liebevoll nahm sie den rechten Schuh in die Hand und sah ihn genauer an.

Das ermöglichte ihm, ungeniert ihre Rückfront zu betrachten. Hätte sie etwas anderes als hautfarbene echte Nahtnylons getragen, hätte ihn das gewundert. Ihre Hüften mochten für manchen zu breit sein, doch er fand sie genau richtig, betonten sie das Besondere an Leder, weil sich der Rock auf eine betörende Weise darüber spannte.

Überhaupt fand er, daß Frauen, die etwas üppiger waren, bedeutend besser aussahen als die allzu mageren. Wer auf jedes Gramm Gewicht achtete, verstand es nicht nur nicht im Kulinarischen zu genießen, sondern dem fehlte meist auch auf anderen Gebieten die Fähigkeit, genießen zu können – ihm war bewußt, daß er pauschalisierte, aber wirklich falsch lag er nicht damit.

»Haben Sie diese in meiner Größe da«, riß sie ihn aus seinen Betrachtungen und reichte ihm den Schuh.

Ob es ihr aufgefallen ist, wie ich sie betrachtet habe, fragte er sich ein wenig verunsichert.

»Größe 40«, es war mehr eine Feststellung als eine Frage.

In der Regel genügte ihm ein Blick auf die Füße seiner Kundinnen, um die richtige Größe festzustellen.

»Manchmal sogar etwas mehr. Ich lebe ein wenig auf großem Fuß.« Es besaß zwar einen leicht entschuldigenden Unterton, jedoch schien es sie nicht zu stören, und ein wenig doppeldeutig klang es zudem, aber das konnte er sich auch einbilden.

»Das ist heutzutage nicht mehr wirklich ungewöhnlich, außerdem sind Sie ja alles andere als klein. Zur Sicherheit kann ich Ihren Fuß ja kurz vermessen.«

»Gerne«, erwiderte sie und das Lächeln, das ihre vollen, tiefrot geschminkten Lippen umspielte, durchströmte ihn unwillkürlich warm.

»Ich werde das Paar in Ihrer Größe holen. Sie können sich derweil schon einmal setzen.«

Er stellte den Schuh leicht fahrig ins Regal zurück und ging in den hinteren Bereich, wo sich das Lager befand.

Als er mit dem Schuhkarton in den Verkaufsraum zurückkam, saß sie bereits, hatte die Beine übereinander geschlagen und ihre Handtasche aus schwarzem Lackleder auf den Stuhl neben sich gelegt.

»So, da bin ich wieder«, sagte er überflüssigerweise, stellte den Schuhkarton neben sie auf den Boden und holte die gute alte hölzerne Lehre, um ihren Fuß zu vermessen.

Sie folgte ihm mit den Blicken und fand, daß er einen knackigen Po hatte und ganz gut aussah.

Er zog einen niedrigen Hocker heran und setzte sich vor sie.

»Darf ich«, fragte er freundlich.

Sie reichte ihm den rechten Fuß. Sanft zog er ihr den Schuh aus. Ein angenehmes Aroma von Lavendel und Schuhleder stieg ihm in die Nase. Er schmunzelte in sich hinein, als er ihren zartbestrumpften Fuß sah, durch den ihre rot lackierten Zehen perlmutten schimmerten. Sie hatte nicht nur schöne Beine, sondern auch schöne Füße, was nicht immer zusammenging.

Er stellte ihren Fuß in die Lehre. Dabei fuhr er scheinbar beiläufig mit den Fingern über den zarten Nylonstoff, den er nur zu gerne fühlte.

Ein idealer Fuß, dachte er bewundernd. Besser geht es gar nicht mehr.

»Eine ideale 40«, sagte er laut und verbarg seine Freude nur schwach. »Wenn Ihnen eine 40 einmal zu eng sein sollte, dürfte es daran liegen, daß der Schuh etwas kleiner als gewöhnlich ausfällt.«

Sie nickte nur als Anwort.

Er legte die Lehre beiseite und nahm den Karton mit den Schuhen in ihrer Größe. Leise raschelte das Papier beim Auspacken. Liebevoll holte er den rechten Schuh heraus und streifte ihn ihr beinahe zärtlich über den Fuß.

»Paßt genau«, sagte sie zufrieden.

»Unsere Schuhe sind ausnahmslos hochwertig und paßgenau gearbeitet. Eine 40 ist auch eine 40«, dozierte er beinahe geschäftsmäßig.

»Kann ich den anderen auch probieren«, fragte sie ein wenig amüsiert über seine Anpreisung.

Er beeilte sich, ihr den linken Schuh auszuziehen und den anderen an. Er legte ihren Schuh zum anderen, in deren Fußbett ihre Füße einen dunklen Abdruck im hellen Innenleder hinterlassen hatten. Ein Anflug von Sehnsucht befiel ihn.

Sie stand auf und ging die wenigen Schritte zum großen Spiegel. Er folgte ihr mit den Blicken. Er konnte sich nicht helfen, aber sie wiegte die Hüften stärker als es notwendig gewesen wäre, aber noch nicht so, daß es unübersehbar kokett gewirkt hätte. Sie ging vielmehr wie eine Frau, die sich in ihren Schuh einfach wohl fühlte – zumindest wollte er das so sehen.

Sie stand vor dem Spiel, stellte das rechte Bein vor und betrachtete den Schuh an ihrem Fuß ausgiebig von allen Seiten im Spiegel.

Er stand auf und stellte sich zwei Schritte hinter sie. Die Schuhe harmonierten farblich nicht so recht mit ihren Ledersachen, aber das war im Grunde nebensächlich. Wäre ihr das wichtig, hätte er sie auch farblich passend auf Lager.

»Was meinen Sie«, fragte sie und wandte sich ihm zu. »Können Sie sie mir empfehlen?«

»Ja, wenn sie Ihnen nicht drücken. Sie sind hochwertig verarbeitet. Sie werden bei guter Pflege lange Freude an ihnen haben. Unsere Schuhe halten weitaus länger als eine Saison«, erwiderte er freundlich.

»Ich meine, würden Sie diese Schuhe auch einer Frau empfehlen, die Ihnen nahesteht.«

Sie sah ihn fest an. Ihr Mund umspielte ein eigentümliches Lächeln, das er nicht so recht zu deuten wußte.

»Sicher, ja.« Er blickte sie leicht irritiert an. Er konnte sich nicht vorstellen, worauf sie hinauswollte.

Sie schmunzelte in sich hinein. Sie fand seine Verwirrung rührend, die ihn ihr noch sympathischer werden ließ.

»Ich bitte Sie, für die nächste Zeit den Schuhverkäufer in Ihnen zurückzustellen und so zu tun, als wären Sie ein Mann, der mit einer Frau liiert ist, die sich für ihn so verführerisch wie möglich kleiden möchte, vor allem, was ihre Schuhe betrifft. Sie sollen mir nur die Schuhe zeigen, die ein solcher Mann an einer solchen Frau gefallen würde.«

Ein solcher Vorschlag war ihm bisher noch von keiner Kundin gemacht worden. Aber bei dieser wunderte es ihn nicht. Doch aus welchem Grund sollte er ihren Vorschlag nicht annehmen? Daß er ihr diesen wohl kaum abschlagen könnte, nahm er nur am Rande wahr.

»In diesem Fall würde ich zu diesen Schuhen raten. Mir gefallen zehenfreie Schuhe. Ich mag es, wie die Zehen scheinbar leicht vorwitzig herausschauen. Bei zehenfreien Schuhen sollten die Nägel unbedingt lackiert sein, am besten in Rot oder dunklen Farbtönen.« Er kam langsam in Fahrt.

Sie lächelte zufrieden.

»Dann nehme ich sie selbstverständlich. Ihre Metapher von leicht vorwitzig herausschauenden Zehen gefällt mir. Ihre Frau wird sich wohl kaum beklagen können, jemals von Ihnen schlecht beraten zu sein.«

»Zur Zeit gibt es keine«, erwiderte er mit einem Anflug von Melancholie.

Sie überging es mit einem schwer zu deutenden Lächeln, in dem eine fast diebische Zufriedenheit mitschwang.

»Für einen heißen Sommertag, wozu würden Sie Ihrer Frau da raten?« fragte sie und ging erneut einige Schritte auf und ab, wobei sie die Hüften nun sichtlich verführerischer wiegte.

»Auf jeden Fall zu Riemchensandaletten. Es stellt sich lediglich die Frage, zu welchem Kleid, der Farbe wegen.«

»Einem roten aus leichtem Stoff mit einem üppigen Dekolleté«, präzisierte sie und blickte ihn herausfordernd aus ihren braunen Augen an.

Er nickte nur und war auch schon im Lager.

Sie sah ihm amüsiert mit einem leichten Kopfschütteln nach. Männer, die in der Gegenwart einer selbstbewußten und schönen Frau noch verlegen werden konnten, rührten sie stets aufs Neue.

Fast ein wenig stolz trug er einen Schuhkarton vor sich her, von dem er bereits den Deckel abgenommen hatte.

»Diese werden Ihnen gefallen. Sie sind so leicht, daß Sie sie kaum an den Füßen spüren werden«, verkündete er so stolz, als hätte er sie eigenhändig entworfen und gefertigt.

Sie setzte sich wieder mit einem erwartungsvollen Lächeln.

Er setzte sich wieder auf den niedrigen Hocker. Sie legte ihm sogleich den rechten Fuß in den Schoß. Daß sie ihn dabei mit der Fußspitze an seinem besten Stück berührte, war natürlich reiner Zufall. Da sie es selbst gar nicht zu bemerken schien, tat er, als würde er es ebenfalls nicht bemerken, obwohl es ihm nicht leicht fiel, das elektrisierende Gefühl, das ihn dadurch durchströmte, nicht nach außen zu zeigen.

Er zog ihr den Schuh aus, legte ihn beiseite und nahm die rechte Riemchensandalette aus dem Karton, die gleichfalls über einen sehr hohen und schlanken Absatz verfügte. Bevor er ihr diese anzog, hielt er ihren Fuß länger als nötig in der Hand. Ihre Berührung mit dem Fuß an seiner neuralgischen Stelle hatte in ihm die Vorstellung entstehen lassen, wie es wäre, würde sie mit ihren schönen, zartbestrumpften Füßen seinen Schwanz berühren und womöglich –

»Ist etwas?« ließ sie ihn den Gedanken – zum Glück – nicht weiter denken.

»Nein«, schrak er kaum merklich zusammen, denn er wurde sich nicht nur der Ungehörigkeit seiner Gedanken bewußt, sondern ebenso, daß er den Fuß einer Kundin länger als notwendig und zugleich wie ein Liebhaber und mit eindeutigen Phantasien in der Hand gehalten hatte. »Ich habe nur die Schönheit Ihres Fußes bewundert. Selbst jemand, der wie ich tagtäglich etliche Frauenfüße sieht, vermutlich mehr als jeder Orthopäde in seiner Praxis, bekommt auch nur selten einen derart schönen Fuß wie den Ihren zu sehen.«

»Ja, finden Sie?« spielte sie meisterlich die Überraschte, die sich über die mögliche Schönheit ihrer Füße noch nie Gedanken gemacht zu haben schien. »Ich finde nichts Besonderes an ihnen.«

Sie bewegte die Zehen und betrachtete nun den eigenen Fuß, als sehe sie ihn zum ersten Mal bewußt.

Er schien gar nicht glauben zu wollen, was er da von ihr hörte. Er konnte sich nicht vorstellen, daß einer Frau wie ihr die Schönheit ihrer Füße nicht bewußt sein könnte, weshalb er eine Eloge auf ihren Fuß begann. Er beschrieb seine Schlankheit, die fast ideale Wölbung, die optimalen Auflagepunkte, die sich ja auch im Fußbett ihres häufig getragenen Schuhs deutlich zeigten und jeden Orthopäden zu Begeisterungsrufen hinreißen müßten, ob der Gesundheit ihres Fußes. Er beschrieb das Ebenmaß ihrer Zehen, die gesunden Nägel. Sprach von griechischen Statuen im allgemeinen und vom klassischen griechischen Ideal im besonderen, und wäre gänzlich in einen Diskurs zum Schönheitsideal der Antike und den Wurzeln der europäischen Kultur abgeglitten, hätte sei ihn nicht mit einem warmen, ja durchaus liebevollen Lachen gebremst.

»Ich glaube Ihnen ja, daß ich schöne Füße habe! Ich weiß es ja selbst, aber Sie wissen ja, wie gerne eine Frau Komplimente hört, vor allem von einem Fremden, der ja unbefangen ist. Aber noch nie hat ein Mann mir derartig poetische Komplimente über meine Füße gemacht.«

Er konnte nicht verhindern, daß er leicht errötete und hoffte, daß sie es nicht bemerkte. Ihm war nämlich bewußt geworden, daß er während der ganzen Zeit ihren Fuß nicht nur in der Hand gehalten hatte, sondern seine anatomischen Beschreibungen mit den Fingern unterstützt hatte, zärtlich über ihre Nahtnylons gestrichen war, was ihr wiederum ein wohliges Kribbeln von den Füßen aufwärts bereitet und in ihrem Schoß das gleiche verursacht hatte, was sie bei ihm mit der Berührung ihres Schuhs erreicht hatte. Als ihr dabei über die Fußsohlen gestrichen war, um die ›optimalen Auflagepunkte‹ zu beschreiben, hatte sie ein wohliges Schnurren unterdrücken müssen und sich gewünscht, daß er vorerst gar nicht damit aufhörte. Daß er ihr jetzt beinahe übereifrig die rechte, rote Riemchensandalette anzog, amüsierte sie sogar. Aber er hatte nicht übertrieben, sie besaß kaum Gewicht.

»Ich fürchte, in das Fesselriemchen müssen noch mindestens zwei Löcher gemacht werden«, sagte er. Es klang alles andere als bedauernd.

»Ich weiß, man unterschätzt leicht, wie schmal meine Fesseln sind. Bei einer Größe von 40 und meinen doch eher kräftigen Waden, meint man, daß auch meine Fesseln kräftiger sein müßten«, erwiderte sie fast ein wenig entschuldigend.

»Ich finde Ihre Waden gar nicht kräftig, vielmehr besitzen sie eine angenehm geschwungene Form, die harmonisch mit Ihren Fesseln korrespondiert und, soweit ich das beurteilen kann, in ihren Schenkeln eine ansprechende Fortsetzung findet«, setzte er zu einer weiteren Lobeshymne an.

»Ich bin mit meinen Beinen sehr zufrieden, darum trage ich so gerne enge Lederröcke und zarte Nylons«, fiel sie ihm lachend ins Wort, obwohl sie gerne mehr Komplimente über ihre Beine von ihm gehört hätte.

»Ich scheine heute ein wenig vorlaut zu sein«, entschuldigte er sich.

»Charmante Männer können niemals vorlaut sein«, sagte sie ernst und sah ihm tief in die Augen.

Er mußte einen sehnsüchtigen Seufzer unterdrücken. Warum begegnete man nur dermaßen selten einer solchen Frau, und warum würde sie in kaum einer Stunde schon wieder aus seinem Leben verschwunden sein? Sicher war sie auf irgendeine Weise gebunden. Frauen wie sie waren nur sehr selten Single.

»Ich gehe die Lochzange holen, damit die notwendigen zusätzlichen Löcher gemacht werden können«, sagte er mit leicht trockenem Mund.

Er stand auf und holte die Zange, die hinter dem Tresen unter der Kasse lag. Er war froh, für einen Moment aus ihrer unmittelbaren Nähe zu kommen. Er mußte sich ein wenig sammeln.

Sie folgte ihm mit den Blicken. Ein derart charmanter Mann war ihr schon länger nicht mehr begegnet. In einer Beziehung lebte er anscheinend nicht. Das ließ hoffen –

Er setzte sich wieder, legte die Zange auf den Boden, nahm ihr die Sandalette vom Fuß und fügte mit der Zange im gleichen Abstand, wie die bereits vorhandenen, zwei weitere Löcher hinzu, dann legte er die Zange beiseite und zog ihr die Sandalette wieder an. Das letzte Loch paßte genau. Er hatte sich nicht verschätzt. Mit der anderen Sandalette verfuhr er ebenso.

Sie stand auf und ging zum Spiegel. Daß sie dabei die Hüften ungeniert kokett wiegte, war in seinen Augen fast schon selbstverständlich.

»Sie haben recht, man merkt sie kaum.«

»Sie können sie auch zu Ihrem Rock tragen. Sie passen farblich ausgezeichnet.«

»Das werde ich wohl auch«, erwiderte sie freundlich.

Sie ging noch einige Schritte auf und ab. Ihm schien es, als mache sie es, um ihm einen Gefallen zu tun.

»Ich nehme sie, und natürlich die zehenfreien Lackpumps.«

»Haben Sie noch einen Wunsch«, fragte er mit leicht zitternder Stimme, denn er befürchtete, daß sie gleich bezahlen würde und anschließend nicht nur sein Geschäft verlassen, sondern auch für immer aus seinem Leben verschwinden und ihn schnell vergessen.

»Ja, Stiefel. Stiefel kann man in unseren Breiten immer brauchen, auch im Sommer, je nach Witterung. Aber auch unabhängig davon«, fügte sie mit einem kaum merklichen, vertraulichen, vielsagenden Zwinkern hinzu.

»Eine bestimmte Farbe?« Seine Stimme vibrierte kaum wahrnehmbar. Unbewußt hatte er ihr Zwinkern richtig gedeutet.

»Unter anderem zu meinem Rock und meinem Oberteil passend«, erwiderte sie, ohne zu überlegen.

Er nickte und war erleichtert über diesen ›Aufschub‹. Er wollte schon ins Lager gehen, denn er hatte bereits eine Vorstellung, was er ihr vorschlagen könnte, da fügte sie noch hinzu:

»Die Schäfte sollten möglichst hoch sein.« Dabei sah sie ihn mit einem Blick an, der ihn heiß durchlief. Lüstern wäre das falsche Wort, um diesen Blick adäquat zu beschreiben, und doch besaß er sehr viel davon.

»Wie hoch«, fragte er nun mit spürbar kratzender Stimme.

»So hoch, wie es anatomisch möglich ist«, erwiderte sie mit demselben Blick.

»Das läßt sich, glaube ich, machen.« Seine Handflächen wurden feucht.

Zwar wurden solche Stiefel seltener verlangt, aber er hatte auch diese auf Lager, wenn auch immer nur ein Paar in jeder Größe und auch nur in Rot und in Schwarz.

Im Lager mußte er erst einmal tief durchatmen. Während er einen großen Karton aus dem Regal nahm, zitterte seine Hände richtiggehend. Er war froh, daß er diese Art Stiefel unten in den Regalen aufbewahrte. Es wäre ihm im Augenblick unmöglich gewesen, auf eine Leiter zu steigen.

Bei seiner Rückkehr saß sie bereits auf dem Stuhl, die Beine übereinandergeschlagen und die lederbehandschuhten Hände im Schoß gefaltet.

Er war ein wenig ruhiger geworden. Er zitterte kaum noch spürbar. Er stellte den Karton auf einem der Stühle und nahm den Deckel ab. Er schlug das knisternde Papier beiseite und nahm den rechten Stiefel heraus.

Nun war es an ihr, fasziniert zu blicken, nun beschleunigte sich ihr Atem und ihr Herzschlag. Das waren genau die Stiefel, die sie sich vorgestellt hatte. Wie mußten die erst an ihren Beinen wirken! Das Leder war so weich wie das ihres Rocks, ihres Oberteils und ihrer Handschuhe. Die Absätze hätten für ihren Geschmack vielleicht ein wenig höher sein können, obwohl sie alles anderes als niedrig waren, aber ihr konnten Absätze ohnehin nicht hoch genug sein. Ganz gleich, was diese Stiefel kosteten, sie mußte sie unbedingt haben!

Er sah an ihrem Blick, daß er ihren Geschmack mehr als getroffen hatte, was ihn mit Freude und Stolz erfüllte.

Er setzte sich auf den Hocker und zog ihr die Riemchensandaletten aus, nahm den rechten Stiefel und öffnete den innenliegenden Reißverschluß, der vom Fuß bis eine Handbreit unters Knie verlief und wollte ihr den Stiefel schon anziehen, als er sich bewußt wurde, wie hoch die Schäfte tatsächlich waren.

Sie erkannte den Grund für sein Zögern und hatte Verständnis dafür. Sie nahm ihm mit einem freundlichen Lächeln den Stiefel aus der Hand und zog ihn selbst an.

Er stand auf, und nicht nur, weil er sich im Weg glaubte, und ging einen Schritt beiseite. Er hatte unwillkürlich die Lochzange in die Hand genommen, damit seine nervösen Finger etwas zu tun hatten.

Sie zog den Schaft des Stiefels hoch. Fast beschämt, sah er beiseite, als sie den Rock hochziehen mußte. Er wußte, daß die Schäfte selbst bei einer Frau mit derart langen Beinen fast den Schritt berührten. Er hörte, wie sie den Reißverschluß schloß. Dann zog sie den anderen Stiefel an.

»Genauso habe ich mir das vorgestellt«, klang sie mehr als zufrieden.

Er wandte ihr wieder den Blick zu. Sie hatte den Rock wieder hinuntergezogen. Das weiche Leder schmiegte sich zärtlich um ihre Beine, modellierte sie wunderbar nach, brachte sogar ihre schmalen Fesseln zur Geltung.

Sie trat zum Spiegel und jetzt schlug sein Herz fast bis zum Hals. Ihr ganzer Körper war unglaublich verführerisch in hautenges, weiches rotes Leder gehüllt.

Selbstvergessen betrachtete sie ihre Beine im Spiegel, schob dabei den Rock langsam hoch, so hoch, bis die Ränder der Stiefel zumindest vorne sichtbar wurden. Zwar wandte sie ihm den Rücken zu, doch der Spiegel ermöglichte ihm, auch ihre Vorderseite zu sehen, was ihr aber nicht bewußt zu sein schien, andernfalls würde sie ihren Rock kam derart hochgezogen haben.

Für einen Augenblick bekam er ihren Schoß zu sehen und sah, daß sie nichts unter ihrem Rock trug, auch das natürliche Haar nicht. Die Stiefelschäfte schmiegten sich wie ein Handschuh um ihre muskulösen Schenkel.

»Sehr schön«, sagte sie leise zu sich selbst.

Dann schien sie sich wieder zu erinnern, wo sie sich befand, und zog den Rock wieder hinunter, doch ohne Hast und alles andere als von Scham erfüllt.

Sie ging, gänzlich ignorierend, was sie in ihm verursacht hatte, zu den Stühlen zurück. Einen Schritt davor blieb sie jedoch stehen.

»Oh, auf dem rechten Stiefel scheint etwas zu sein.«

»Wo«, fragte er. Er befürchtete, daß sie einen Fabrikationsfehler entdeckt haben könnte, obwohl der Hersteller sehr sorgfältig arbeitete, was man bei dem Preis auch verlangen konnte.

»Dort unten, nahe der Fessel. Es sieht mir nach Staub oder etwas Ähnlichem aus. Vielleicht wären Sie so freundlich, es zu entfernen.«

Er konnte zwar nichts entdecken, aber der Kunde hat ja grundsätzlich recht und eine Frau wie sie, wollte er nun wirklich nicht verärgern.

Er tat aber etwas, was er vielleicht am wenigsten von sich erwartet hätte; statt einen Lappen zu holen, kniete er sich zu den Füßen der Schönen und entfernte das – vermutlich imaginäre – Stäubchen, oder was immer die Schöne meinte, entdeckt zu haben, was er aber nicht sehen konnte, so genau er auch hinsah, in dem er mit der Zunge über das Leder fuhr, was ihm einen unglaublichen Genuß bereitete. Er war dermaßen eifrig bei der Sache, als wollte er allein mit seiner Zunge den ganzen Stiefel auf Hochglanz bringen.

Sie dagegen hätte sich allerdings gewundert, wäre der Inhaber eines solchen Schuhgeschäftes kein Fetischist gewesen. Es würde sie ebenso wundern, wäre sie die erste Kundin, der er diesen ›Service‹ zukommen ließe. Dafür machte er es einfach zu geschickt und hatte kaum gezögert, sich vor sie zu knien und ihr die Stiefel zu lecken.

»Ich glaube, am Ansatz ist auch noch etwas«, sagte sie, während sie zufrieden auf ihn hinunter sah, seine breiten Schultern betrachtete. Es war schön, einen solchen Mann zu den eigenen Füßen zu sehen.

Er umspielte mit der Zunge sogleich die Absätze ihrer Stiefel als seien es wohlschmeckende Zuckerstangen.

»Der Mensch hat in der Regel zwei Beine und Füße«, meinte sie wie beiläufig, als er aufhören wollte.

Er machte das gleiche mit demselben Eifer auch bei ihrem anderen Stiefel.

»Jetzt scheinen sie sauber zu sein«, sagte sie sichtlich zufrieden und auch ein wenig gönnerhaft, aber das auf charmante Weise.

Er erhob sich mit erhitzten Wangen und leuchtenden Augen. Er befand sich in einer Stimmung, in der er sehr viel für diese Frau getan hätte. Er war sogar ein wenig enttäuscht, daß sie nicht mehr von ihm verlangt hatte. Er hätte ihr nur zu gerne die Stiefel bis hinauf zum Rand mit der Zunge auf Hochglanz gebracht.

Die sichtbare Ausbeulung in seinem Schritt war ihm gar nicht bewußt, aber sie sah sie mit tiefer innerer Zufriedenheit, sie war beredter und ehrlich als alle seine bisherigen verbalen Komplimente.

»Ich werde die Stiefel anbehalten.«

»Haben Sie – haben Sie noch einen – Wunsch.« Seine Stimme wollte ihm nicht so recht gehorchen.

Sie tat aber, als bemerkte sie es nicht.

»Zwei Paar Schuhe und ein Paar Stiefel genügen vorerst. Packen Sie mir meine alten Schuhe ein.«

Er packte mit fahrigen Bewegungen die Riemchensandeletten und die zehenfreien Lackpumps in ihre Kartons zurück, nahm die ›alten‹ Schuhe der Schönen wie kleine Kostbarkeiten und trug alles zum Tresen.

Die Schöne stand bereits dort.

»Es wäre mir lieb, könnten Sie mir die Schuhe liefern«, sagte sie, während sie die Scheckkarte aus der Handtasche holte.

Er machte die Rechnung fertig. Während er die Scheckkarte ins Lesegerät schob, holte sie eine Visitenkarte und einen edlen Füller aus der Handtasche, und schrieb etwas auf die Rückseite der Visitenkarte.

»Die Geheimzahl, bitte.« Er klang wieder geschäftsmäßiger.

Sie tippte sie ein. Anschließend schraubte sie den Füller wieder zu und steckte ihn in die Handtasche zurück.

Das Druckwerk der Kasse begann zu rattern.

»Wohin sollen die Schuhe geliefert werden?« Er sprach ruhig. Er hatte sich damit abgefunden, daß er diese Frau, sobald sie sein Geschäft verlassen hatte, vermutlich nicht mehr wiedersehen würde.

»An diese Adresse«, sie übergab ihm die Visitenkarten. »Wann können Sie liefern?«

»Wann wäre es Ihnen genehm?«

»Sobald als möglich«, sagte von einem besonderen Lächeln begleitet.

»Ja, das ließe sich machen«, erwiderte er freundlich. Er überlegte, wen er schicken könnte.

»Schön.«

Es entstand eine Pause. Er blieb hinter der Kasse stehen und wunderte sich nur ein wenig, warum seine schöne Kundin nicht ging. Hatte sie noch etwas vergessen?

»Wenn Sie mich noch hinauslassen könnten«, sagte sie freundlich und mit einem leichten Schmunzeln.

»Oh, ach ja, entschuldigen Sie.« Ihm fiel erst jetzt wieder ein, daß er ja hinter ihr abgeschlossen hatte. Dienstfertig ging er um den Tresen herum zur Tür und schloß sie auf.

»Danke«, Ihr Lächeln ging ihm erneut durch und durch, weil es eine besondere Form von Zärtlichkeit enthielt.

»Ich habe zu danken«, sagte er bescheiden, während er ihr die Tür aufhielt.

»Nein, ich habe zu danken.« Sie reichte ihm die behandschuhte Hand.

Sie besaß einen angenehm kräftigen Händedruck. Es war schön, das von ihrem Körper warme Leder ihrer Handschuhe zu spüren. Dabei sah er auch, daß sie diese Handschuhe häufig trug, da die Innenflächen dunkel verfärbt waren.

Er sah ihr nach, während sie den Gehweg entlangging, die Hüften selbstverliebt wiegend.

Er seufzte, wenn doch nur mehr Frauen, die es sich leisten könnten, den Mut zur Extravaganz aufzubringen würden, wie diese schwarzhaarige, schöne Vierzigerin.

Das melodische Klacken ihrer hohen Absätze verhallte leise in den Geräuschen der Straße. Ein Auto fuhr langsam vorbei, bestrahlte beim Vorbeifahren für einen Augenblick die Rückfront der Schönen, was ihm bewußt machte, daß es bereits dunkel war und das Verkaufsgespräch länger als vermutet gedauert hatte.

Als die Schöne in die nächste Seitenstraße einbog und damit seinen Blicken entschwand, schloß er die Tür und vor allem ab. Noch eine späte Kundin würde er jetzt nicht verkraften können.

Er seufzte tief und wehmütig. Er räumte den Karton, in dem die Stiefel gewesen waren, ins Lager, holte einen leeren und tat ihre alten Schuhe hinein, dann packte er die drei Kartons in zwei große Tüten mit dem Logo seines Geschäftes darauf.

Im Grunde konnte er die heutigen Büroarbeiten auch morgen abend machen. Er verspürte dazu keine Lust mehr, außerdem war es ein langer Tag gewesen. Er wollte unbedingt nach Hause.

Er nahm ihre Visitenkarte und las, was sie auf die Rückseite geschrieben hatte.

Sie bringen mir die Schuhe natürlich persönlich vorbei, schließlich müssen wir das, was wir begonnen haben, zu Ende führen.

Ein Glücksgefühl durchströmte ihn. Er hatte es in seinem Inneren gehofft, auch wenn ihm der Gedanke viel zu kühn erschienen war.

Er drehte die Karte wieder um und las die Adresse. Ein zufriedenes, glückliches Lächeln überzog sein Gesicht. Die Adresse war ihm nur zu gut bekannt, schließlich war es seit über fünfzehn Jahre seine eigene.

Er warf einen Blick auf den Kalender an der Wand hinter dem Tresen. Auf den Tag waren Catherine und er zehn Jahre verheiratet und noch immer bereiteten ihnen die kleinen ›Spiele‹ dasselbe Vergnügen wie am ersten Tag, da zwei Fetischisten immer zusammen harmonieren.

Er schob die Visitenkarte in die Hosentasche. Zu Hause würde sie er in die Schatulle zu den anderen legen, die ihm Catherine im Laufe der Jahre geschrieben hatte.

Er löschte das Licht im Laden, nahm die beiden Tüte mit den Schuhen für seine Frau und ging nach hinten ins Lager. Er würde sich beeilen, nach Hause zu kommen. Catherine erwartete ihn sicherlich schon sehnsüchtig. Schließlich wollte sein Geschenk zum Hochzeitstag noch eingeweiht werden, diese auf ihren schönen langen Beine maßgefertigten Stiefel hatte sie sich lange genug gewünscht.

Er verließ das Geschäft durch den Lieferanteneingang.

Während er fröhlich ausschritt, dachte er daran, wie er gleich Catherines Stiefel bis hinauf zu ihrer wunderbaren Möse lecken würde, während sie den Rock bis beinahe zur Taille hochgeschoben hatte.

Nein, es war gut gewesen, daß er vor mehr als zwölf Jahren nicht versucht hatte, sie abzuwimmeln, obwohl er grundsätzlich nach Geschäftsschluß keine Kunden mehr bediente.

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