Kurzes #70 – Evamarias Gummiregenmantel

von
Armin A. Alexander

Die vielleicht dreihundert Meter lange Gasse mit dem ausgetretenen Pflaster, die sich mit geringer Steigung die kleine Anhöhe hinaufzog, auf der die kleine Stadt erbaut worden war, genoß bereits im Mittelalter einen zweifelhaften Ruf, der ihr bis heute anhaftet, ohne daß selbst alteingesessene Bewohner sagen konnten, worauf dieser sich begründete. Sie hatte sich seitdem nur insofern verändert, als daß alte Häuser neuen gewichen – die jedoch längst wieder alt waren – die Gasse befestigt und an die öffentliche Kanalisation angeschlossen worden war. Das Sonnenlicht drang lediglich am späten Nachmittag und auch nur im Sommer für zwei bis drei Stunden bis auf das Pflaster hinunter. Es gab zwei Werkstätten, die mehr schlecht als recht gingen. Wer hier wohnte, tat es nicht freiwillig, sondern weil es ihn hierher verschlagen hatte und er es nicht mehr schaffte, fortzuziehen.

Ungefähr in der Mitte, relativ nah am Scheitelpunkt des Bogens, in dem die Gasse verlief, lag ein kleines Hotel, strenggenommen eine Absteige, sauber zwar, doch alles andere als heimelig, da es schon vermeintlich bessere Zeiten gesehen zu haben schien. Wer hier ein Zimmer wollte, der nahm es nicht, um zu übernachten, denn Reisende verirrten sich nur höchst selten in diesen Teil der kleinen Stadt, sondern mietete es stundenweise.

Eine Handvoll Prostituierte ging in der Gasse unbehelligt von Zuhältern ihrem Gewerbe nach; das einzige in dieser Gasse ausgeübte Gewerbe, das sich für die, die es betrieben, einigermaßen bezahlt machte. Lediglich die lokale Verwaltung besaß ein wachsames Auge auf die Gunstgewerblerinnen, was sich jedoch in der Sorge erschöpfte, ob sie die regelmäßigen amtlichen Untersuchungen durchführen ließen und ihre Steuern und übrigen Abgaben ordnungsgemäß entrichteten.

Die Frauen warteten diskret auf Kunden. Jede besaß ihren festen Platz, den die anderen respektierten. Sie waren nicht übertrieben geschminkt, von durchschnittlicher Attraktivität und durchaus adrett zu nennen. Ihre Röcke waren nicht unbedingt kürzer als die herrschende Mode und auch die Oberteile nicht sonderlich tief ausgeschnitten. Sie unterschieden sich im großen und ganzen in keiner Weise von ›anständigen‹ Bürgersfrauen.

An kalten wie an Regentagen suchten sie in der schummerigen kleinen Kneipe schräg gegenüber dem Stundenhotel Unterschlupf. Dort hatten sie ihren angestammten Bereich, in dem sie auch von Freiern angesprochen werden konnten, jedoch unauffällig, damit die übrigen Gäste, ausnahmslos Bewohner der Gasse, sich nicht belästigt fühlten, die sich ohnehin nie an ihnen stören würden. Die Frauen gehörten für sie zu ihrer Gasse, seit sie sich erinnern konnten, und niemand wäre je unhöflich oder gar herablassend ihnen gegenüber geworden. Man tolerierte sich, aber man suchte auch nicht den Kontakt zueinander, wenn es nicht unbedingt sein mußte. Jede hatte ihre Stamm- und ihre Laufkundschaft; Lehrlinge wie Gymnasiasten, Arbeiter wie Angestellte und hin und wieder auch jemand aus der ›Oberschicht‹ der kleinen Stadt, dem die gepflegten und bodenständigen Frauen dieser Gasse lieber waren als die aufgetakelten und gekünstelt wirkenden in den Bordellen der nahen Großstadt.

Evamaria war wie die Mehrzahl ihrer Kolleginnen eines Tages in der Gasse aufgetaucht und hatte stillschweigend den Platz neben der kleinen Schreinerei eingenommen, die seit Generationen an dieser Stelle ansässig war und bei der es schien, als würde sie keine weitere mehr überleben können, und doch gab es sie noch immer. Da niemand auf diesen Platz, kaum zehn Schritte vom Hotel entfernt, Anspruch erhob, hatte Evamaria ihn behalten.

Erst als sie ihren Platz neben der Schreinerei eingenommen hatte, wurde sich, und das auch nur kurz, darüber gewundert, warum niemand vor ihr ihn für sich beansprucht hatte, obwohl die schmale Durchfahrt einen guten Schutz vor Regen bot, einen weitaus besseren als die Hauseingänge in deren Nähe die übrigen Frauen ihre Plätze hatten.

Woher Evamaria kam und was sie zuvor gemacht hatte, wußte keiner und interessierte letztlich auch niemanden. Da sie sich von Anfang an den allgemeinen Gepflogenheiten im Umgang miteinander fügte, wurde sie schnell respektiert. Sie bewohnte ein kleines Zimmer in einer Pension am Rande der kleinen Stadt, die sauber war und wo den Pensionsgästen keine Fragen gestellt wurden, solange sie pünktlich ihre Miete bezahlten und nichts taten, was Vertreter der Ordnungsmacht auf den Plan gerufen hätte.

Vom Alter her lag ungefähr in der Mitte dem ihrer Kolleginnen. Sie war auf ihre besondere Weise die hübscheste von ihnen, kräftig vom Wuchs wie die meisten; breite Hüften, stämmige Beine, jedoch mit ungewöhnlich schmalen Fesseln, üppigen schweren Brüsten. Das dunkle, dichte kaum schulterlange Haar wirkte immer ein wenig ungekämmt, was ihr einen sinnlich verwegenen Ausdruck verschaffte. Sie schminkte sich kaum mehr als notwendig und roch immer nach Lavendelseife. Meist trug sie einen engen knielangen, vom Alter bereits leicht speckigen ungefütterten Lederrock, dessen seitlichen Schlitz sie soweit vergrößert hatte, daß er bei jedem Schritt den Strumpfsaum und einen schmalen Streifen nackter Haut sehen ließ. Zudem besaß sie eine Vorliebe für scheinbar altmodische Strumpfhalter, die aber bei ihren Kunden ankamen und die sie bequemer als die meist knappen neumodischen fand. Auf ihren gepflegten und eleganten, wenn auch leicht ausgetretenen Schuhen mit beinahe turmhohen Absätzen ging sie sicher.

Das Gehen auf hohen Absätzen war für sie ein erotisches Vergnügen. Es machte ihr Spaß, die Gasse zehn Schritte hinauf und zehn Schritte hinunter zu schreiten, langsam und mit Bedacht einen Fuß vor den anderen zu setzen. Sie mochte das selbstversunkene Schreiten, das leicht scharrende Geräusch der Absätze auf dem alten Straßenpflaster sehr, das nicht wirklich für das Gehen auf hohen Absätzen ideal war. Dabei wiegte sie die Hüften auf eine betörende Weise und mit offener Koketterie. Doch geschah es nicht allein, um Kunden auf sich aufmerksam zu machen, sondern nicht wenig aus Eigenliebe heraus, als wollte sie sich selbst verführen. Mitunter war sie dermaßen selbstversunken dabei, daß es eine Weile dauerte, bis sie bemerkte, wie ein potentieller Kunde sie schon eine geraume Weile genüßlich betrachtete, weil er so fasziniert von ihrer Art war, einen Fuß vor den anderen zu setzen und dabei die Hüften zu wiegen, daß er sich nicht traute, sie anzusprechen, bevor sie ihm nicht ihre Aufmerksamkeit zuwandte.

Sie erschreckte schon lange nicht mehr, wenn sie aus ihrer Selbstversunkenheit erwachte, sondern spürte ein eigenartiges Gefühl von Dominanz, wenn sie sah, wie der Mann in ehrfurchtsvoller Distanz dastand und darauf zu warten schien, daß sie ihm ihre Gunst gewährte.

Mit den Jahren hatte sie sich einen Spaß daraus gemacht, den Zeitpunkt bewußt hinauszuzögern, an dem sie den ergeben wartenden Kunden ihr Wohlwollen zuwandte. Sie pflegte den Betreffenden aus den Augenwinkeln heraus zu beobachten und einzuschätzen, wie lange er sich wohl würde hinhalten lassen, bevor er ungeduldig wurde und zu einer ihrer Kolleginnen ging, was nur äußerst selten geschah; war ein Mann einmal von ihr angetan, wollte er sie auch haben. Die Art und Weise wie der betreffende Mann auf ihren Hintern oder ihre Waden oder Fesseln sah, erlaubte es ihr einzuschätzen, ob sie einen Fetischisten oder einen Devoten vor sich hatte, die sich nichts sehnlicher wünschten, als ihr nicht nur im übertragenen Sinn zu Füßen zu liegen.

Sie besaß schöne Füße, das beteuerten nicht nur ihre Kunden, sondern das hatte ihr vor Jahren auch ein Orthopäde bestätigt, von dem sie sich wegen einer, im Grunde harmlosen, Verstauchung hatte behandeln lassen. Die Art wie er es gesagt hatte, hatte mehr nach einem Liebhaber schöner Füße als nach dem Arzt geklungen. Aber gerade darum wog sein Urteil doppelt.

Sie widmete sich jeden Abend, sobald sie wieder in ihrer Pension war und zu Abend gegessen hatte, mindestens eine Stunde der Pflege ihrer Füße und sie dankten es ihr, in dem sie sie beinahe mühelos den ganzen Tag über in der kleinen Gasse trugen.

Sie entschied erst, was sie zu tun bereit war, wenn ein Kunde sie ansprach. Selbstverständlich erfüllte sie die üblichen Wünsche wie ihre Kolleginnen. Sie wäre auch nie auf die Idee gekommen, es ohne Kondom zu machen. Selbst wenn ein Kunde es vorschlug, ihr sogar einen spürbar höheren Preis anbot, ließ sie sich nicht darauf ein. Meist pflegte sie dann mit einem leicht verschmitzten Lächeln zu erklären, daß ein Kondom sie sexuell stark errege, ganz gleich ob in der Möse oder im Mund. Das hatte bisher immer geholfen, denn eine Professionelle, die dabei wirklich erregt wurde und deren Lustgeräusche womöglich nicht oder nur wenig gespielt waren, wog das Benutzen eines Kondoms bei weitem auf. Wirklich in sich hinschmunzeln ließ sie, daß es zu einem großen Teil der Wahrheit entsprach; das Haptische, der Geschmack, der Geruch der dünnen Gummihäutchen fand sie betörend.

Sie konnte nicht sagen, ob sie die Fetischisten oder die Devoten bevorzugte. Es gab Fetischisten, die begnügten sich beinahe damit, ihr die bestrumpften Füße massieren zu können und einige beherrschten es dermaßen gut, daß Evamaria mitunter das Bedürfnis hatte, sie dafür zu bezahlen.

Andere fühlten sich von ihrem üppigen Hintern angezogen, über dem sich ihr Lederrock verlockend spannte. Hatte sie einen solchen Kunden vor sich, wiegte sie die Hüften dermaßen lasziv, daß dem Betreffenden buchstäblich der Atem stockte und er es kaum erwarten konnte, ihren in Leder verpackten Hintern nicht nur mit Küssen zu bedecken. War sie mit einem solchen auf dem Zimmer, stellte sie sich vorgebeugt, mit leicht gespreizten Beinen und sich mit den Armen auf einen Stuhl aufstützend, vor ihn hin und streckte ihm wollüstig den Hintern entgegen. Ob er ihr ihn nun mit Küssen bedeckte, ihn massierte, mit den Händen zärtlich über das weiche Leder strich, sich an ihm rieb oder solange hinter ihr stehend onanierte, bis er sich auf ihren Lederrock entleerte und manchmal sogar anschließend sein Sperma genüßlich darauf verrieb, war ihr im Grunde einerlei, denn sie fand nichts Ungewöhnliches an den Wünschen ihrer Fetischisten und ihrer Devoten.

Mit der Zeit überwogen die Fetischisten und die Devoten unter ihren Kunden bei weitem, was ihr ganz recht und lieber war als die ›Normalen‹, die lediglich eine schnelle Nummer oder einen geblasen oder einen heruntergeholt haben wollten. Bei ihnen war oft alles dermaßen geschäftsmäßig, der Wunsch beherrschend, es so schnell als möglich hinter sich bringen zu wollen, um dann zur Tagesordnung übergehen zu können, daß sie beinahe Mitleid mit ihnen bekam, weil sie offenkundig nicht zu genießen verstanden.

Auch wenn es mitunter so aussehen mochte, als seien gerade die Fetischisten nur an ihrem Lederrock, ihren Füßen, ihren Strümpfen, ihren Schuhen oder ihren Stiefel, wenn sie hin und wieder und nicht nur an kalten Tagen welche trug, interessiert und nicht auch ein wenig an ihr selbst, so nahmen diese sie viel stärker als Frau wahr als die sogenannten ›Normalen‹. Im Grunde verband sie viel mit ihnen, letztlich war sie auch eine Leder-, Fuß- und Schuhfetischistin, wie sie sich hin und wieder halb im Scherz und halb im Ernst eingestand.

Spürte sie, wie der Schwanz eines Kunden anschwoll, sobald sie ihm den Fuß ob mit oder ohne Schuh darauf setzte, lief auch ihr ein elektrisierendes Kribbeln durch den Körper. Brachte sie ihn mit den Füßen zum Höhepunkt und sah sie, wie er sich ins Kondom entleerte – sie bestand auch hier auf den Gebrauch eines Kondoms, da sie wenig Lust verspürte, anschließend die Strümpfe wechseln zu müssen, obwohl sie im Grunde die Vorstellung, wie das Sperma vom zarten Stoff aufgesogen wurde, anregend fand, doch mußte es von einem Mann, zu dem sie sich hingezogen fühlte – spürte sie, wie sie naß wurde und sich in ihrem Schoß ein wundervolles Kribbeln breitmachte.

Mit ihren Devoten war es ähnlich. Sie mochte es, lagen sie ihr zu Füßen, sich von ihr ›niedermachen‹ ließen und erwies der Betreffende sich als besonders ›folgsam‹, erlaubte sie ihm sogar, sie mit dem Mund zum Höhepunkt zu bringen, was dieser oft meisterlich beherrschte. Dann schämte sie sich fast, dafür Geld zu nehmen, aber nur fast, denn kaum war ihr Orgasmus verklungen, gewann ihr Geschäftssinn wieder die Oberhand, wodurch sie ihren Orgasmus erst wirklich und ohne Schuldgefühle genießen und die Distanz zu ihrem Kunden bewahren konnte.

Die Wünsche ihrer Fetischisten und Devoten nahmen sich vergleichsweise bescheiden aus. Wer das wirklich ›Ausgefallene‹ suchte, der besuchte in der nahegelegenen Großstadt eines der Studios.

So angenehm es an kalten Tagen auch war, sich in der kleinen Kneipe aufzuhalten, so ärgerte sie es, an Regentagen außerhalb des Winters dort das Ende des Regens abzuwarten. Sie mochte den Regen auf eine eigene Weise. Nicht den heftigen Guß, der einen binnen weniger Minuten bis auf die Haut durchnäßte, sondern den leichten, den Landregen, der einen ganzen Tag ohne Pause niedergehen konnte. An ihrem Platz stand sie zwar recht gut geschützt. Doch irgendwann war jeder Mantel durchnäßt und mit einem Schirm herumzustehen war auch nicht das Wahre. Dagegen störten sie nasse Füße nicht, im Gegenteil, nicht selten schritt sie absichtlich durch die Pfützen, die sich in dem unregelmäßigen Pflaster gebildet hatte. Einige ihrer Fetischisten mochten es sehr, ihr die regennassen Füße zu massieren.

Ein einfacher Plastikregenmantel fand nicht ihren Zuspruch, er war nicht unbedingt etwas, das viele Kunden anlockte. Eine Zeitlang hatte sie mit dem Gedanken gespielt, sich einen schwarzen Lackmantel zulegen, aber der schien ihr wiederum zu chic für diese Gasse.

Ein Besuch bei einer entfernten Tante in der nahegelegenen Großstadt, die in ihrer Jugend dem gleichen Gewerbe nachgegangen war, jedoch nicht auf der Straße sondern in einem der ersten Häuser der Stadt, bevor sie einen erfolgreichen deutlich älteren Notar geheiratet hatte, der bereits seit mehreren Jahren verstorben war, löste ihr ›Problem‹.

Sie half der Tante beim Aufräumen des Kleiderschranks, die regelmäßig Kleider an wohltätige Einrichtungen gab, die sie entweder nicht mehr brauchte oder die nicht mehr modern waren oder die sie aus anderen Gründen nicht mehr trug. Dabei fielen ihr zwei dunkelgraue Regenmäntel aus leichtem gummierten Stoff auf, die zwar alt aber sehr gepflegt waren. Die Tante hatte ihr Interesse bemerkt und erzählte von einem Schmunzeln begleitet, daß diese Mäntel nicht nur bestens vor Regen schützten, sondern sie zu ihrer ›aktiven‹ Zeit einige Kunden gehabt hatte, die sich gerade von diesen Mänteln erotisch angezogen gefühlt hatten und ausschließlich deswegen zu ihr gekommen waren, weil sie diese ›dabei‹ anbehalten oder extra angezogen hatte. Sie habe sie vor allem aus Sentimentalität aufbewahrt und sich bisher nicht von ihnen trennen können, wobei sie keinen Zweifel daran ließ, daß ihr verstorbener Mann einer dieser Kunden gewesen war.

Das Leuchten in Evamarias Augen, während sie mit den Händen beinahe zärtlich über die seidige Oberfläche der Mäntel strich, ließ es der Tante leichtfallen, sie zu fragen, ob sie die beiden Mäntel haben wolle. Evamaria, die sich in erster Linie für die Mäntel als Witterungsschutz interessierte – zumindest redete sie sich das ein, obwohl für sie bereits zu diesem Zeitpunkt feststand, daß sie diese auch ›dabei‹ tragen würde, sobald einer ihrer Kunden es wünschte –, nahm das Geschenk nur zu gerne an.

Wenige Tage darauf bot sich die erste Gelegenheit, einen der Mäntel während der Arbeit zu tragen. Obwohl der Frühling bereits in vollem Gang war, ließ das Wetter wenig davon spüren. Es war zwar nicht ausgesprochen kühl, aber es regnete häufiger als es wünschenswert wäre.

Es ging ein ausgiebiger Landregen nieder. Ihre Kolleginnen verbrachten die meiste Zeit des Tages gezwungenermaßen in der Kneipe. Nur sie hielt sich überwiegend draußen auf. Der Mantel war bequem und leicht, sie spürte ihn kaum, und hielt sie trocken. Die Kapuze hatte sie übergezogen und den Gürtel enggeschnürt, so daß ihre üppigen Brüste, auf die sie stolz war, betont wurden. Der Regen ließ die wasserundurchlässige Außenseite glänzen. Ihre Schuhe waren zwar recht bald durchweicht und die Strümpfe naß, aber oben herum trocken zu sein und nur an den Füßen und die Strümpfe bis hinauf zu den Waden naß, ließ sie sich sichtlich wohlfühlen. Sie schritt genüßlicher als gewöhnlich aus, die Hände in den Manteltaschen vergraben, genoß das leise monotone Trommeln des Regens auf der Kapuze.

Sie genoß diesen Regentag. Der Geruch des frischfallenden Regens, sein leises Rauschen, die relative Ruhe, die ihn begleitete – wirklich lärmend war es in dieser Gasse nie – gefiel ihr. Es erinnerte sie an ihre Kindheit, wenn sie an Regentagen stundenlang am offenen Fenster gesessen und in den kleinen Garten hinter dem Haus hinausgesehen hatte. Sie war auf dem Land aufgewachsen, dort wurde Regen nicht als widriges Wetter betrachtet, sondern seine lebenspendende Funktion geschätzt.

Regen besaß für sie daher auch etwas Aphrodisierendes, und nicht nur weil sie dabei auch an ihr erstes Mal erinnert wurde. Sie war fünfzehn gewesen und hatte mit einem Nachbarsjungen vor einem plötzlichen Regenguß in einem Heuschober Unterschlupf gesucht. Sie waren beide völlig durchnäßt gewesen. Der Duft des frischen Heus hatte sein übriges dazu getan. Es war an sich nichts Besonders gewesen, aber sie hatte einen Orgasmus gehabt, ihren ersten durch einen Mann. Die Erinnerung, der Regen ließen sie sogar ein wenig feucht werden.

Sie hatte an diesem Tag bisher nur zwei Kunden, nicht mehr als üblich an einem Regentag und auch ihre Kolleginnen, die sich im stillen über ihr Verhalten wunderten, aber nicht weiter darüber nachdachten, hatten kaum mehr. Futterneid gab es unter ihnen nicht.

Von diesem Tag an trug sie stets den Gummiregenmantel, sobald nur irgendwie der Anschein von Regen zu entdecken war, schloß ihn aber nur, wenn es wirklich regnete. Auch fand sie, daß er gut zu ihren Lederröcken paßte. Schnell hatte man sich an diese äußere Veränderung bei ihr gewöhnt.

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