Anaïs Nin »Wien war die Stadt der Statuen«

von
Armin A. Alexander

Anaïs Nin (21.02.1903–14.01.1977) dürfte den meisten als Autorin erotischer Werke weithin bekannt sein, bei denen es in erster Linie um Auftragsarbeiten gehandelt hat. Weniger bekannt dagegen dürfte ihr übriges erzählerisches Werk sein, zu dem »Wien war die Stadt der Statuen« zählt, und das seine besondere Faszination besitzt. Wer hier offenherzige Erotik sucht, wird wohl ›leider‹ enttäuscht werden.

 

Die Malerin Renate wächst in Wien auf. Von ihrem Fenster aus sieht viele Statuen. Ihre Ansicht nach starben die Menschen nicht, sie verwandeln sich in Statuen, von denen jede ihre eigene Geschichte besitzt. Das Verhältnis zu ihrem Vater, einem Hersteller von Mikroskopen und Teleskopen, ist eng. Da ihre Mutter stets niedergeschlagen ist, nimmt Renate deren Stelle als Vertraute bei dem Vater ein. Sie begleitet ihn zu Einweihungen von Teleskopen oder zum Schilaufen. Als Renate sechzehn ist, kommt es zur einer Auseinandersetzung mit ihrem Vater, in der sie erkennt, daß ihr Vater sie nicht als Tochter, sondern als Frau betrachtet. Vater und Tochter gehen auf Distanz zueinander. Ihr Onkel wird zu ihrem Hauslehrer bestellt.

In Wien begegnet sie Bruce mit dem sie nach und durch Mexiko reist. Als er eines abends allein ausgeht und lange ausbleibt, macht sie sich auf die Suche nach ihm. Sie findet ihm im Schatten eines Baumes vor einem jungen Mexikaner in eindeutiger Stellung kniend. Aus Ärger und Enttäuschung, daß er ihr seine homosexuellen Neigungen verschwiegen hat, verläßt sie ihn. Sie reist alleine weiter durch Mexiko. Sie kauft sich ein orangefarbenes Kleid, in der Hoffnung, es sie die Szene unter dem Baum vergessend macht, doch das Gegenteil ist der Fall. Durch Zufall lernt sie einen jungen Kalifornier kennen, dessen Leben sich ausschließlich um sein Auto zu drehen scheint.

Von Mexiko aus reist sie nach Malibu und trifft dort Bruce wieder. Sie versöhnen sich. Er zeigt ihr die ersten Seiten seines neuen Romans, der ein Teil ihrer Erlebnisse in Mexiko wiedergibt. Er will in Holland ein Segelschiff kaufen, um gemeinsam mit ihr zu segeln. Dabei soll sie malen und er will seinen Roman weiterschreiben. Jedoch scheitern die ersten Segelversuche, obschon Bruce sich fast einen Monat lang von einem Kapitän unterweisen läßt. Daher beschließen sie, das Boot nach Südfrankreich zu transportieren und im Mittelmeer zu segeln. Doch auch dort mißlingt ihnen ihr Vorhaben bereits zu Anfang.

Sie beziehen vor Ort ein Haus, wo sie vor allem ihn malt. Ein Waldbrand, bei dem sie ihr Haus retten können, entzweit sie erneut. Sie entdeckt einen Text von ihm, in dem er sich lang und breit über seine homosexuellen Erfahrungen während einer Reise durch Mexiko ausläßt. Renate verläßt ihn erneut.

Sie zieht nach Kalifornien, wo sie sich ganz ihrer Malerei widmet und die ersten Erfolge verzeichnen kann. Erneut begegnen ihr die unterschiedlichsten Menschen und deren Schicksale. Da wäre Raven, eine junge Frau mit langen schwarzen Haaren, die von einer exzentrischen alten Dame einen Raben erwirbt und es scheinbar schwierig wird, die beiden auseinanderzuhalten.

Verdient Renate einmal nicht genug mit dem Verkauf ihrer Bilder, arbeitet sie als Bedienung im Restaurant Paradise Inn, das gleichfalls ein Potpourri von Persönlichkeiten bietet, untere anderem Henri, den Koch, Leontine, eine Sängerin, Varda, der mit einem eigenen Segelboot die Küsten befährt und ihre seine bewegte Lebensgeschichte erzählt. Und wieder kommt sie für einige Zeit mit Bruce zusammen, während weiter die unterschiedlichsten Leute nicht zuletzt über das Paradise Inn ihr Leben treten.

Mit der Zeit verliert sie die Lust, nur Portraits zu malen, Gäste zu bedienen und Kleider zu entwerfen und will eine Zeitschrift herausgeben. Auch die Vorbereitungen für eine Nullnummer bringen sie wieder mit den unterschiedlichsten Menschen zusammen. Wilkens, ein junger Millionär, will ihre Zeitschrift finanzieren. Alles scheint bestens zu laufen, Verträge werden geschlossen. Doch dann bleibt der erste Scheck aus. Die unbezahlten Rechnungen für das Magazin stapeln sich. Renate forscht nach. Es stellt sich heraus, daß Wilkens nur der Gärtner eines Millionärs ist und über keinerlei Vermögen verfügt. Renate nimmt es sportlich, denn »[–] Es gab kein Gesetz nach dem man einen Menschen einsperren konnte, der einem seine Illusionen, aber nicht sein Geld abgeknöpft hatte. Der Gärtner goß die Träume anderer. Es war nicht seine Schuld, wenn sie soweit in den Himmel wuchsen, daß man sie irgendwann zurückstutzen mußte. [–]«

Renates Erfolg als Malerin nimmt zu. Während sie einige Tage in Acapulco weilt, um dort ein Wandgemälde für ein Hotel zu entwerfen, lernt sie Lisa kennen, Mutter zweier Kinder, mehrmals geschieden, von deren Erscheinung und Persönlichkeit sie fasziniert ist. Sie trifft Lisa in New York wieder, als dort eine Ausstellung hat. Lisa ist mit dem Journalisten Bill liiert, den sie gemeinsam mit Renate in Acapulco kennengelernt hat. Renate erfährt von Bill, daß Lisa und er zusammen im selben New Yorker Viertel aufgewachsen sind, sich dann aber aus den Augen verloren und erst nach zwanzig Jahren wiedergetroffen haben.

Bei Lisa verkehrt Doktor Mann, dessen besondere Leidenschaft es ist, Schriftstellerinnen zu besuchen. Über ihn lernt Renate die Autorin Judith Sands kennen. Im Anschluß einer beeindruckenden Performance von Tinguelys Maschine, die sich selbst zerstört im Hof vom Museum of Modern Art folgt Renate Judith in deren Wohnung. Sie gibt Renate ein Manuskript zu lesen. Es beginnt mit dem Absatz mit dem auch Anaïs Nin den ihren beginnt:

»Wien war die Stadt der Statuen. Sie waren so zahlreich wie die Menschen, die die Straßen bevölkerten. Sie standen auf den höchsten Turmspitzen, ruhten auf steinernen Grabmälern, saßen hoch zu Roß, knieten und beteten, kämpften mit Ungeheuern und fochten in Kriegen, tanzten, zechten und lassen Bücher aus Stein – »

So schließt sich der Kreis und die Geschichte beginnt von neuem.

 

Anaïs Nin schildert den Werdegang einer lebenslustigen und neugierigen jungen Frau, die auf ihrem Weg zu einer erfolgreichen und gefeierten Malerin, die unterschiedlichsten Menschen und deren Schicksale begegnet. Mitunter wird sie enttäuscht, wie mehrfach von Bruce oder Wilkens, aber nachdem sie diese überwunden hat, zieht eine positive Lehre daraus. Manche sind anders, als sie zu sein scheinen. Aber niemand ist langweilig. Manche Schicksale berühren sie. Alle diese Menschen bilden zusammengenommen selbst einen Garten voller lebendiger Statuen, die jede auf ihre Weise schön und einzigartig ist und mit der es sich zu beschäftigen lohnt. Es ist eine lebensbejahende Welt trotz oder vielleicht gerade auf Grund einiger Unerfreulichkeiten, die Renate widerfahren, die dem Leser präsentiert wird.

 

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