Kurzes #93 – Die Wette

von
Armin A. Alexander

Fortsetzung von »Der Einzug«

 

»So, das Regal hängt«, verkündete Steffen nicht ohne Stolz.

Es war schließlich nicht leicht gewesen, es zu montieren und nicht allein wegen der Glasplatte. Die beiden Halterungen waren zwar schön anzusehen, jedoch stellte ihr Mechanismus den Monteur vor eine Herausforderung. Dafür waren die Befestigungsschrauben aber nun unsichtbar. Abgesehen davon hatte die beiliegende Montageanleitung mehr zur Verwirrung als zur Klärung beigetragen. Was heutzutage aber nicht unbedingt ungewöhnlich ist.

»Ich hätte das nicht gekonnt«, sagte Nora mit ehrlicher Bewunderung. »Aber es sieht toll aus, nicht wahr?«

Nora blickte Steffen freudestrahlend aus großen Augen wie ein junges Mädchen an.

›Toll‹ war in Steffens Augen vielleicht etwas übertrieben, aber schlecht sah das Regal wirklich nicht aus.

»Ich finde, im Bad kann man gar nicht genug Ablagemöglichkeiten haben«, fuhr sie in naiver Bewunderung fort.

Er hörte lediglich mit halbem Ohr zu, während er begann, sein Werkzeug einzupacken. Sie stellte bereits verschiedene Flakons und Tuben in das neue Regal.

»Kann ich sonst noch etwas für dich tun«, fragte er mehr aus Höflichkeit, denn aus ehrlicher Hilfsbereitschaft.

Die nervige Montage, für die er mehr als eine Stunde benötigt hatte, hatte seinen Bedarf an handwerklicher Betätigung für diesen Tag vorerst gedeckt.

Sie schien ihm nicht richtig zugehört zu haben, sondern ging anscheinend ganz im Besitzerstolz auf.

»Wie? Ach ja, du könntest mir durchaus noch einen Gefallen tun.« Es kam ein wenig schüchtern, als sei sie nicht sicher, ob sie ihn überhaupt damit ›belästigen‹ könne.

»Im Prinzip jeden solange es sich nicht um noch ein Regal dieser Güte handelt«, versuchte er einen schwachen Scherz.

»Nein, nein, es handelt sich um nichts Handwerkliches mehr«, beeilte sie sich ihm zu versichern, von einem schwachen leicht verlegenen Lächeln begleitet.

»Sondern?« war dadurch selbstverständlich seine natürliche Neugierde geweckt.

»Es klingt vielleicht ein wenig blöd.« Sie wich betreten seinem Blick aus, nicht zuletzt, damit er das zufriedene Aufblitzen in ihren Augen nicht sah. »Ich weiß gar nicht, ob ich dich tatsächlich um so etwas bitten kann – Schließlich kennen wir uns kaum zwei Wochen. Und du hast mir bereits bei so vielem geholfen – Ach – Nein – Es ist wirklich zu dumm. Ich sollte endlich lernen, zu meinen Niederlagen zu stehen. Maren wird mir das ohnehin ewig vorhalten. Sie kann das verdammt gut, weißt du? Maren ist zwar meine beste Freundin, aber was das betrifft ein richtiges Biest. Mitunter nachtragend bis zum Gehtnichtmehr – Na ja, gewissermaßen bin ich ja auch selbst Schuld daran, was muß ich auch immer den Mund so vollnehmen – andererseits hat sie mich auch zu sehr gereizt. Das muß ich schon sagen – Sag selbst, kann man so etwas auf sich sitzen lassen?«

Er schüttelte energisch den Kopf. Nein, so etwas konnte man einfach nicht auf sich sitzen lassen. Da gab er ihr vorbehaltlos recht. Es mag Situationen geben, bei denen man durchaus fünf gerade sein lassen konnte, aber mitunter muß man einfach Farbe bekennen. Sie hatte sein ungeteiltes Mitgefühl. Bloß, über was sie eigentlich die ganze Zeit redete, wollte sich ihm nicht so recht erschließen.

»Nein, das kann man nicht«, fuhr sie nach einer genau bemessenen Kunstpause beipflichtend fort. Innerlich freute sie sich zwar, daß er dermaßen schnell ›angebissen‹ hatte, aber irgendwie erschien ihr der Sieg auch zu leicht. »Wie ich sehe, stimmst du darin mit mir überein. Andererseits kann ich dich auch nicht in meine Geschichten mit hineinreißen. Solange kennen wir uns ja noch gar nicht, sind ja ›bloß‹ gute Nachbarn.«

Sie fuhr noch ein wenig in diesem Tonfall fort, bis er höflich aber auch leicht enerviert fragte: »Nora, das ist ja alles schön und gut, aber worum geht es eigentlich genau?«

»Habe ich das noch gar nicht gesagt«, spielte sie derart überzeugend unschuldig die Überraschte, daß er den Köder mit samt dem Haken und der halben Leine schluckte.

»Maren hat gemeint, daß ich es nicht schaffen würde, daß du für einen Nachmittag als mein persönlicher Diener auftrittst. Und ich habe dagegen gewettet«, fuhr sie von einem leicht verschmitzten Lächeln begleitet fort.

Er blickte sie leicht irritiert an. Nach ihrer umfangreichen Einleitung hatte er mit etwas Komplexerem gerechnet. Mit Diener assoziierte er sogleich einen englischen Butler – er hegte eine Leidenschaft für P. G. Wodehouse – oder sein kontinentales Äquivalent in einer gestreiften Weste, vornehmer und würdevoller als die Herrschaft selbst.

Nachdem sich seine erste Überraschung gelegt hatte, begann ihn die Aussicht zu gefallen, für einen Nachmittag in die Rolle eines distinguierten Butlers zu schlüpfen. Mit einem Anflug von Wehmut erinnerte er sich ans Schultheater, in dem er während seiner gesamten Oberstufenzeit aktiv gewesen war und manchen Erfolg beim Publikum hatte verbuchen können, darunter auch einmal als Butler in dem berühmten Sketch Dinner for One.

Er war derart in seine Vorstellungen vertieft, daß er einen Moment benötigte, bis ihm bewußt wurde, daß sie mit ihrer Erklärung fortfuhr:

»Es fing damit an, daß Maren sich wieder einmal damit brüstete, wie leicht sie es doch habe, einen Mann dazuzubringen zu tun, was sie will, besonders wenn es dem Betreffenden eigentlich unangenehm ist. Sicher, Maren verfügt über einen besonderen Charme und sieht auch außergewöhnlich gut aus. Aber das allein macht es nicht. Viel wichtiger als gutes Aussehen ist doch die Persönlichkeit. Kurz und gut, ich sagte ihr leicht verärgert, daß mir das auch nicht schwer fallen würde. Darauf meinte sie, fast schon von oben herab – was ich ja überhaupt nicht abhaben kann – ich sei viel zu brav, um einen Mann so richtig schön um den Finger wickeln zu können. Nach einigem hin und her, schlug ich diese blöde Wette vor. Ich weiß nicht, warum ich dabei ausgerechnet an dich dachte, Steffen. Aber die Männer, die mir ansonsten einfielen, kenne ich schon zu lange und Maren würde sie nicht akzeptieren. Sie würde mir unterstellen, daß sie es aus alter Freundschaft zu mir heraus täten. Du verstehst«, sah sie ihn mit leicht schiefgelegtem Kopf an.

Weil sie sich bemühte, ihn so bittend, als möglich anzusehen, entging ihm das diabolische Leuchten in ihren schönen braunen Augen. Ihr galt sein ganzes Mitgefühl. Wie konnte gerade die beste Freundin derart hinterfotzig sein. Nein, er konnte nicht zulassen, daß diese Freundin triumphierte.

Das schien ja leichter zu gehen, als sie gedacht hatte. Es war immer wieder ein schönes Gefühl für sie zu spüren, wenn sie Macht über andere besaß. Na ja, er war allerdings auch kein wirklich ›schwieriger‹ Fall. Männer mit Helfersyndrom kosten in diesem Punkt wenig Anstrengung, besonders wenn frau sich schwach und hilflos gibt. Und wenn das Objekt ihres Begehrens, wie in diesem Fall, zudem noch sichtlich in sie verknallt war, auch wenn es ihm selbst noch nicht so richtig bewußt sein mochte. Andererseits hatte sie auch nicht mehr viel Zeit, bis Maren kommen würde.

»Ist doch nicht so schlimm«, entgegnete er aufmunternd und merkte gar nicht, wie er sich bereits in seiner Falle gemütlich einrichtete. »Ist doch bestimmt reizvoll, für einen Nachmittag den Kammerdiener zu geben«, sah er es von der heiteren Seite. »Und wenn ihr euren Spaß dabei habt – und du dir dafür nicht monatelange die Schadenfreude deiner Freundin anhören mußt.«

Unseren Spaß werden wir sicherlich haben, aber anders als du es dir im Augenblick vorstellst, dachte sie. Der Triumph über ihre leichte Eroberung ließ ihr Herz Freudensprünge machen.

»Du hast sicherlich auch schon eine Livree für mich«, scherzte er, der bereits ganz in seiner Rolle aufging und nicht im entferntesten annahm, daß sie tatsächlich so etwas wie eine Livree für ihn haben könnte.

»In gewisser Weise kann man es durchaus als eine Livree bezeichnen«, sagte sie spürbar gedehnt.

»Ach?« Er blickte sie mehr als überrascht an. Scherzte sie etwa, um ihre Verlegenheit zu überspielen, von der er immer noch glaubte, daß sie echt war?

Für einen Moment kamen ihr Zweifel. Würde er jetzt einen Rückzieher machen? Aber er schien nicht daran zu denken. Nachdem sich seine Überraschung gelegt hatte, interpretierte er ihre Antwort als – in seinen Augen schwache – Retourkutsche auf seinen Scherz.

»Na ja, mit einer richtigen Livree wie Diener sie in Filmen oder auf der Bühne tragen, hat es wenig zu tun«, versicherte sie und es gelang ihr tatsächlich ihn zu beruhigen.

»Wann wollte deine Freundin kommen?« dachte er nun ans Naheliegende.

»In etwa eineinhalb Stunden.«

»Dann bleibt ja noch etwas Zeit«, war er ein wenig erleichtert, denn nach ihren Worten hatte er anfänglich angenommen, daß Maren jeden Augenblick an der Tür klingeln könnte.

»Du hilfst mir also aus der Klemme?« es war mehr eine Feststellung als eine Frage.

»Ja, warum nicht?«

»Du bist ein Schatz«, sagte sie freudig und drückte ihm spontan einen schwesterlichen Kuß auf die Wange.

Fast wäre er vor Rührung Rot geworden.

»Ich hole dir jetzt deine ›Livree‹.« Erneut entging ihm der besondere Unterton, wie eigentümlich sie das Wort ›Livree‹ aussprach.

Allein im Bad und die Werkzeugkiste schließend, schüttelte er den Kopf darüber, auf welch kindische Wetten erwachsene Frauen doch mitunter verfielen, dabei die Tatsache völlig verdrängend, daß Männer in puncto kindische Wetten oft genug – leider – kaum zu toppen sind.

Wie das, was sie als Livree bezeichnete, wohl aussehen mochte? Etwas anderes als die typischen Livreen, wie er sie aus unzähligen einschlägigen Filmen kannte, wollten ihm nicht in den Sinn kommen. Darum staunte er nicht schlecht, womit sie über dem Arm zurückkam. Nun, es gab wohl kaum etwas, das seiner Vorstellung einer Livree derart diametral entgegenstand. Viel ›Livree‹ – ein anderes Wort dafür fiel ihm dennoch nicht ein – war es nicht. Aber das Wenige würde bei weitem mehr Aufmerksamkeit erwecken als jeder noch so elegante Frack mit gestreifter Weste und gestärkter Hemdburst könnte; Schwarze Ledershorts und ein Harneß waren wirklich das letzte, an das er gedacht hätte.

»Es ist nicht sehr originell, ich weiß«, entschuldigte sie sich, weil sie seinen Blick mißdeutete oder es wollte.

Sie konnte ihre Angst nicht unterdrücken, daß er beim Anblick, welche Art ›Livree‹ sie für ihn bereithielt, doch noch einen Rückzieher machte.

Für ihn war es schon sehr ›originell‹ – etwas Treffenderes fiel ihm nicht dazu ein – was sie ihm als ›Livree‹ anbot.

»Du mußt nicht, wenn du nicht willst«, sagte sie mit der richtigen Portion Demut, um jeden möglichen Zweifel, ob seine Entscheidung ihr zu helfen, richtig gewesen war, im Keim zu ersticken.

Er atmete tief durch. Es war nicht seine Art, eine einmal gegebene Zusage zurückzuziehen, gab es keinen wirklich triftigen Grund dafür. Merkwürdigerweise fühlte er sich von ihr nicht wirklich überrumpelt, obwohl sie ihn meisterlich eingewickelt hatte. Für ihn paßte es gut zu einer solchen Wette.

»Hauptsache deine Freundin triumphiert nicht«, meinte er entschieden

Er knöpfte schon das Hemd auf. Sie weidete sich bereits an der Macht, die sie über ihn bekam.

»Du ziehst besser auch die Unterhose aus. Die Shorts sind ganz schön eng.«

Er tat auch das und ihm wurde gar nicht bewußt, daß er sich ungeniert vor ihr auszog.

Sie mußten einen anerkennenden Pfiff unterdrücken, was seine Unterhose freigab, hielt das, was seine engen Jeans versprochen hatten. Gewiß, Größe ist bei weitem nicht alles. Und ein zuviel ist auch nicht das Wahre. Aber hier stimmte einfach alles. Ob er sich dessen bewußt war? Sie glaubte nicht so recht daran, wenn es sie auch sicher war, daß er entsprechendes oft genug von Frauen zu hören bekommen haben mußte. Männer seines Schlages sind aus falscher Bescheidenheit heraus nur selten bewußt, wie sehr die Natur sie bevorzugt hat. Aber sie war sicher, daß er das Geschenk von Mutter Natur zu gebrauchen wußte – was wiederum ein Beleg dafür war, daß die Natur weiblich ist.

Steffen schlüpfte in die Shorts. Sie waren tatsächlich sehr eng, dabei aus angenehm weichem ungefüttertem Leder. Sie saßen wie für ihn gemacht. Mit einem zufriedenen, fast schon lüsternen Lächeln sah Nora auf die Ausbeulung im Schritt. Fast schon selbstverständlich legte er den Harneß an.

Ja, sie war zufrieden. Er sah sehr männlich aus. Wäre er jetzt über sie hergefallen und hätte sie nach Strich und Faden durchgevögelt, sie hätte jede Minute genossen. Aber halt, devote Phantasien waren eigentlich nicht so ihre Sache. Ab und zu ganz nett, aber erstens hätte es nicht zu ihm gepaßt und zweitens hätte sie nach einer solchen Nummer das Interesse an ihm ebenso schnell verloren wie ihr Orgasmus abgeklungen wäre. Er war in ihren Augen nicht der Mann, mit dem frau einfach nur eine geile Vögelei haben wollte und es damit dann auch abgetan war. Einen Mann zu ihren Füßen zu sehen, der ihr stets zu Willen war und gerade daraus seinen Genuß zog, war ihr bedeutend lieber. Dafür schien er auch viel besser geeignet.

»Paßt wunderbar«, meinte sie sichtlich zufrieden. »Ich ziehe mir jetzt auch etwas anderes an. Du kannst unterdessen schon einmal Tee aufbrühen, den Tisch decken und so weiter. Gebäck ist im Schrank über dem Kühlschrank.«

Sie redete mit ihm schon wie mit einem Diener und für ihn war es bereits selbstverständlich von ihr auf diese Weise behandelt zu werden.

Die Shorts trugen sich angenehm und den Harneß nahm er gar nicht richtig wahr. Er stellte sich bereits vor, was für ein Gesicht Noras Freundin machen würde, wenn sie sah, daß sie ihre Wette verloren hatte. Das weckte seinen Sinn für Schadenfreude, und aufgeräumt ging er in die Küche, um seine Aufträge zu erfüllen.

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