›Darüber‹ zu reden ist essentiell

von
Armin A. Alexander

Es ist Allgemeingut und bestätigt sich im täglichen Umgang, daß es ›Vanillas‹ Probleme bereitet, über Sexualität offen oder überhaupt zu sprechen, insbesondere mit dem Partner. Sexualität mag zwar scheinbar in aller Munde zu sein. Das Thema wird mal mehr mal weniger gelungen in den Medien aufgegriffen, dabei klingt nicht selten bemüht. Es drängt sich der Eindruck auf, daß diejenigen, die das Thema behandeln, sich nicht so recht dabei wohlfühlen, selbst wenn sich Mühe gegeben wird, die Thematik weitgehend wertneutral zu behandeln.

Ungeachtet der Problematik des Erbes einer Kultur, in der Sexualität über vielen Epochen streng reglementiert, bis teilweise tabuisiert war, wenn auch in unterschiedlichen Intensitätsschwankungen, bringt das Denkmuster, daß es ein ›normales‹ Sexualverhalten gibt, das auf die überwältigende Mehrheit der Menschen zutrifft, es auch mit sich, daß letztlich nicht über Sexualität zwischen den Partner geredet zu werden braucht, da schließlich so gut wie jeder weitgehend die gleichen sexuellen Bedürfnisse besitzt. Das wäre vergleichbar mit der Unterstellung, daß alle weitgehend das gleiche essen und gleich zubereiten würden. Der Glaube daran, der für viele mit einer Überzeugung gleichzusetzen ist, sorgt für negative Überraschungen, sobald sich herausstellt, daß die tatsächlichen sexuellen Bedürfnisse und Fantasien des Partners beträchtlich vom vermeintlich ›Normalen‹ abweichen. Wobei meist noch Vorurteile hinzukommen, die längst widerlegt sind, sich aber erstaunlich lange halten, und statt sich mit den Bedürfnissen des Partners auseinanderzusetzen, gerät die Beziehung in eine Krise. Aus dieser oft nicht unbegründeten Angst heraus werden dem Partner diese nicht selten über einen langen Zeitraum verschwiegen, bis der Leidensdruck unerträglich wird.

Wer vermeintlich ›normal‹ ist oder sich als solches glaubt, neigt selten dazu zu hinterfragen, ob das, was als ›normale‹ Sexualität angesehen wird, das auch objektiv ist. Er muß nicht über seine Sexualität nachdenken.

BDSMer und Fetischisten, wie alle Angehörigen sexueller Minderheiten, müssen sich zwangsläufig mit ihrer, vom vermeintlich ›Normalen‹ abweichenden Sexualität auseinandersetzen, sobald sie ihnen bewußt wird. Im besten Fall erkennen sie dabei, daß ›Normal‹ ein willkürliches nicht selten aus machtpolitischen Gründen erfolgtes Konstrukt ist, das nichts, mit der aus der Statistik bekannten ›Normalverteilung‹ zu tun hat, denn diese ergäbe aller Erfahrung nach und auf Grund verschiedener Studien ein breitgefächertes Bild von normaler Sexualität, was jedoch ein eigenes Thema darstellt.

Die Fähigkeit über Sexualität offen zu sprechen, führt zu einem entspannterem Umgang mit sich selbst und mit anderen und zu der wichtigen Erkenntnis, daß das vermeintlich Abweichende nur eine von vielen Varianten Sexualität zu leben darstellt. Darüber hinaus bereitet es Freude sich über Sexualität auszutauschen, wie es generell Freude bereitet, sich über Dinge auszutauschen, die das Leben bereichern. Wenn andere die eigenen Vorlieben als eine von vielen, gleichberechtigt nebeneinander existierenden Möglichkeiten, Sexualität als lustvoll zu leben, betrachten, wird man seine ursprünglich als ungewöhnlich angesehen, selbstbewußt annehmen, wodurch das eigene Selbstbewußtsein steigt. Wodurch zudem erkannt wird, wie harmlos BDSM und sexueller Fetischismus tatsächlich sind, wobei letzteres die wohl harmloseste und im besten Sinn unschuldige sexuelle Variante überhaupt darstellen dürfte.

Es ist eine der angenehmsten Erfahrungen für viele BDSMer und Fetischisten, die sich auf Stammtische und einschlägige Treffen gewagt haben, sich unbefangen über Sexualität austauschen zu können.

Solange alles im gegenseitigen Einvernehmen und verantwortungsvoll bzw. risikobewußt miteinander umgesetzt wird, solange muß niemand Schuldgefühle für seine sexuellen Bedürfnisse entwickeln.

 

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