SM-Outing oder lieber nicht?
von
Armin A. Alexander
Auch wenn ich auf die Frage »SM-Outing oder lieber nicht?« mit einem klaren Ja antworte, muß jeder für sich entscheiden, ob und vor allem vor wem er sich outen will.
Wer sich mit einem Outing schwer tut, sollte sich der Tragweite eines »Neins« bewußt sein. Ein ehrliches »Nein« heißt in letzter Konsequenz, seine BDSM-Neigungen vollständig für sich zu behalten. Das bedeutet, daß selbst der gelegentliche Besuch einschlägiger Internetseiten zu unterbleiben hat, und noch weniger eine Registrierung in Foren oder Aktivitäten in Chats erfolgen sollte. Leider glauben immer noch viele, wenn sie ihren richtigen Namen nicht verwenden, wären sie anonym. Ebensowenig ist vermeintlich »heimliches« Ausleben der Neigungen im Dominastudio oder mit übers Netz geknüpften Kontakten in weit vom eigenen Wohnort entfernten Städten möglich. Zwar dürften die meisten Dominas die Anonymität ihrer Kunden schon aus rein geschäftlichem Interesse heraus wahren, aber dafür gibt es keine Sicherheit. Die gibt es naturgemäß noch weniger mit privat geknüpften Kontakten. Um es mit dem guten alten Geheimen Rat zu sagen: »Nichts ist so fein gesponnen, es kommt doch alles ans Licht des Tages.«
Ich bezweifle nicht, daß es Menschen gibt, denen es gelingt, ihre BDSM-Neigungen lebenslang für sich zu behalten. Unterdrückte Wünsche und Phantasien streben mit Macht an die Oberfläche. Der Verzicht auf ein Ausleben der eigenen Neigungen bedeutet nicht zuletzt, sich unsinnigerweise um ein Stück Lebensqualität bringen.
Ich sehe im Outing nicht zuletzt einen Selbstschutz. Oute ich mich, kann ich weitgehend steuern, wer von meinen BDSM-Neigungen erfährt. Das schützt mich zwar generell nicht vor einem Zwangsouting – mit dem man immer rechnen muß – aber ich kann mögliche unangenehme Folgen im voraus abmildern. Sind meine Neigungen mehreren Leuten bekannt, kann mir zumindest nicht mehr der Vorwurf gemacht werden, ich hätte einen wichtigen Aspekt meiner Persönlichkeit verschwiegen, würde Heimlichtuerei betreiben. Zudem besitze ich in den Personen, gegenüber denen ich mich bereits geoutet habe, potentielle Verbündete gegenüber diejenigen, die einem mit der Bloßstellung Schaden zufügen wollen.
Manche, die ihre BDSM-Neigungen erst im Laufe einer langjährigen Beziehung entdecken, scheuen sich davor, darüber mit ihrem Lebenspartner zu sprechen, meist aus der Angst heraus, der Partner könnte sich abwenden. Oft ist das der Beginn eines Doppellebens. Es mag Menschen gegeben, denen es gelingt, sich neben dem (Familien-)Leben ein zweites aufzubauen, das vom ersten nicht tangiert wird, die sich mit ihrer Sub oder ihrer Domse nur donnerstags zwischen 17 und 19 Uhr treffen können, weil dann die Ehegattin ihren wöchentlichen Französischkurs hat und die Kinder bei einem befreundeten Ehepaar sind. Manchen gelingt das sogar über Jahre. Aber dabei stellt sich die Frage, was will der Partner nicht sehen. Das Risiko eines Zwangsouting durch Dritte und nicht zuletzt durch eigene Unachtsamkeit steigt je länger ein solches Doppelleben andauert. Fliegt es auf, bedeutet das meist auch das Ende der Beziehung, selbst wenn der bisher arglose Partner prinzipiell nichts gegen BDSM hat und sich unter anderen Umständen durchaus damit hätte anfreunden können. Es ist der Vertrauensbruch, der für viele schwer wiegt. Seinem langjährigen Partner nichts von seinen erwachenden BDSM-Neigungen zu erzählen, stellt ein Zeichen für mangelndes Vertrauen ihm gegenüber dar. Natürlich bleibt bei aller Offenheit das Risiko bestehen, daß der Lebenspartner mit BDSM nichts anzufangen weiß. Dann muß nach einer für beide Seiten vertretbaren Lösung gesucht werden, was häufiger gelingt, als man zuerst glauben mag. Doch das ist ein eigenes Thema.
Er neuen Beziehung gegenüber sollte sich auf jeden Fall geoutet werden. Sollte die andere Seite nichts mit den eigenen Neigungen anfangen können, mag das zwar enttäuschend sein. Erfahrungsgemäß geht eine solche Enttäuschung schnell vorüber, da noch nicht viele Emotionen und Zeit investierten wurde. Auch hier gilt; wird zu lange mit dem Outing gewartet, steigt die Wahrscheinlichkeit, daß der Grund einer möglicherweise negativen Aufnahme im mangelnden Vertrauen liegt, das dem anderen entgegengebracht wird als in der Neigung selbst.
Wurde sich zugunsten eines Outings entschieden, stellt sich die Frage, mit wem zuerst über seine neuentdeckten Neigungen zu sprechen ist. Das muß nicht zwingend der Lebenspartner sein, besser ist sogar, sich einem guten Freunden anzuvertrauen. Der kennt einen in der Regel mit am besten und besitzt dennoch eine gewisse Distanz zu einem, eine Distanz, die ein Lebenspartner naturgemäß selten hat. Die Erfahrung lehrt, daß Freunde ein Outing oft positiv aufnehmen. Tun sie es nicht, ist es um die Freundschaft an sich nicht schade. Freunde können einem die wichtige moralische Rückendeckung beim schwereren Outing gegenüber einem langjährigen Partner liefern.
Ob und inwieweit man sich gegenüber der Familie – Eltern, Geschwister, Verwandte – outet, muß jeder im Einzelfall abwägen und hängt nicht zuletzt vom Verhältnis ab, das man zu diesen Menschen besitzt, das gleiche gilt für das berufliche Umfeld. In einem beruflichen Umfeld mit gutem Betriebsklima hat man in der Regel irgendwann einmal mit den Kollegen darüber geredet. Zwar sind BDSM-Neigungen eines Mitarbeiters kein Kündigungsgrund, aber das schützt nicht vor Mobbing. Befindet man sich in einer beruflichen Position, in der man möglicherweise »erpreßbar« ist, ist es sinnvoll, sich zumindest vor seinem Vorgesetzten zu outen.
Ich selbst habe mit meinen verschiedenen Outings gegenüber den unterschiedlichsten Leuten privat wie beruflich stets positive Erfahrungen gemacht. Allerdings bewege ich mich privat wie beruflich überwiegend in einem künstlerisch intellektuellem Umfeld, kann also meine persönlichen Erfahrungen nicht verallgemeinern. Zumal ich, da ich meine öffentlich zugänglichen Texte – Online-Artikel, Bücher mit BDSM-Geschichten, usw. – mit meinem Namen zeichne, mich damit ohnehin öffentlich geoutet habe.
Ich empfehle daher jedem, sich wenigstens gegenüber den für ihn wichtigen Leuten zu outen. Es mag zwar mitunter nicht ohne Probleme vor sich gehen, aber dafür wird man über kurz oder lang mit einem erfüllten (BDSM-)Leben belohnt.
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