Zitat des Tages #133
von
Armin A. Alexander
Um das Wort bitÂten – Der demÂagoÂgiÂsche ChaÂrakÂter und die AbÂsicht, auf die MasÂsen zu wirÂken, ist geÂgenÂwärÂtig allen poÂliÂtiÂschen ParÂteiÂen geÂmeinÂsam: sie alle sind geÂnöÂtigt, der geÂnannÂten AbÂsicht wegen, ihre PrinziÂpiÂen zu großen AlÂfresÂco-DummÂheiÂten umÂzuÂwanÂdeln und sie so an die Wand zu malen. Daran ist Nichts mehr zu änÂdern, ja es ist überÂflüsÂsig, auch nur einen FinÂger daÂgeÂgen aufÂzuÂheÂben; denn auf dieÂsem GeÂbieÂte gilt, was VolÂtaire sagt: quand la poÂpuÂlace se míªle de raiÂsonÂner, tout est perdu. SeitÂdem dies geÂscheÂhen ist, muß man sich den neuen BeÂdinÂgunÂgen fügen, wie man sich fügt, wenn ein ErdÂbeÂben die alten GrenÂzen und UmÂrisÂse der BoÂdenÂgeÂstalt verÂrückt und den Wert des BeÂsitÂzes verÂänÂdert hat. ÜberÂdies: wenn es sich nun einÂmal bei aller PoÂliÂtik darum hanÂdelt, mögÂlichst VieÂlen das Leben erÂträgÂlich zu maÂchen, so mögen imÂmerÂhin diese MögÂlichst-VieÂlen auch beÂstimÂmen, was sie unter einem erÂträgÂliÂchen Leben verÂsteÂhen; trauÂen sie sich den InÂtelÂlekt zu, auch die richÂtiÂgen MitÂtel zu dieÂsem Ziele zu finÂden, was hülfe es, daran zu zweiÂfeln? Sie wolÂlen nun einÂmal ihres GlüÂckes und UnÂglüÂckes eiÂgeÂne SchmieÂde sein; und wenn dieÂses GeÂfühl der SelbstÂbeÂstimÂmung, der Stolz auf die fünf, sechs BeÂgrifÂfe, welÂche ihr Kopf birgt und zu Tage bringt, ihnen in der Tat das Leben so anÂgeÂnehm macht, daß sie die faÂtaÂlen FolÂgen ihrer BeÂschränktÂheit gern erÂtraÂgen: so ist wenig einÂzuÂwenÂden, vorÂausÂgeÂsetzt, daß die BeÂschränktÂheit nicht so weit geht, zu verÂlanÂgen, es solle Alles in dieÂsem Sinne zur PoÂliÂtik werÂden, es solle jeder nach solÂchem MaßsstaÂbe leben und wirÂken. ZuÂerst nämÂlich muß es EiÂniÂgen mehr als je, erÂlaubt sein, sich der PoÂliÂtik zu entÂhalÂten und ein Wenig bei Seite zu treÂten: dazu treibt auch sie die Lust an der SelbstÂbeÂstimÂmung, und auch ein kleiÂner Stolz mag damit verÂbunÂden sein, zu schweiÂgen, wenn zu Viele oder überÂhaupt nur Viele reden. SoÂdann muß man es dieÂsen WeÂniÂgen nachÂseÂhen, wenn sie das Glück der VieÂlen, verÂsteÂhe man nun darÂunÂter VölÂker oder BeÂvölÂkeÂrungsÂschichÂten, nicht so wichÂtig nehÂmen und sich hie und da eine iroÂniÂsche Miene zu SchulÂden komÂmen lasÂsen; denn ihr Ernst liegt anÂdersÂwo, ihr Glück ist ein anÂdeÂrer BeÂgriff, ihr Ziel ist nicht von jeder plumÂpen Hand, welÂche eben nur fünf FinÂger hat, zu umÂspanÂnen. EndÂlich kommt – was ihnen geÂwiß am schwersÂten zuÂgeÂstanÂden wird, aber ebenÂfalls zuÂgeÂstanÂden werÂden muß – von Zeit zu Zeit ein AuÂgenÂblick, wo sie aus ihren schweigÂsaÂmen VerÂeinÂsaÂmunÂgen herÂausÂtreÂten und die Kraft ihrer LunÂgen wieÂder einÂmal verÂsuÂchen: dann rufen sie nämÂlich einÂanÂder zu wie VerÂirrÂte in einem Walde, um sich einÂanÂder zu erÂkenÂnen zu geben und zu erÂmutiÂgen; wobei freiÂlich ManÂcherÂlei laut wird, was den Ohren, für welÂche es nicht beÂstimmt ist, übel klingt. – Nun, bald darÂauf ist es wieÂder stilÂle im Walde, so stilÂle, daß man das SchwirÂren, SumÂmen und FlatÂtern der zahlÂloÂsen InÂsekÂten, welÂche in, über und unter ihm leben, wieÂder deutÂlich verÂnimmt. –
Aus: »Menschliches, Allzumenschliches« – Friedrich Nietzsche (15.10.1844–25.08.1900)
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