›Richtige‹ versus ›andere‹ Literatur

von
Armin A. Alexander

Das korrekte Antonym zu ›richtig‹ wäre ›falsch‹, doch im Kontext von Literatur als Gattung der Künste, wäre ›falsch‹ so ziemlich das falscheste, das sich ›richtig‹ gegenüberstellen läßt. Dennoch taucht der Begriff ›richtige‹ Literatur immer auf, wenn es darum geht, E- und U-Literatur – sogenannte Ernste- und Unterhaltungs-Literatur – voneinander abzugrenzen. So klar eine solche Unterscheidung auf den ersten Blick auch erscheinen mag, bei näheren Hinsehen verschwimmt diese Eindeutigkeit. An welchen einigermaßen objektiven Kriterien läßt sich eine solche Unterscheidung fest machen?

An der behandelten Thematik vielleicht? Liebes- und Kriminalromane werden von vielen per se zur Unterhaltungsliteratur gerechnet. Doch in Goethes ›Wahlverwandtschaften‹ geht es vorrangig um die Liebe eines reifen Mannes zu einer jüngeren Frau und wie sehr steht bei ›Die Leiden des jungen Werther‹ eine unglückliche, unerfüllte Liebe im Vordergrund mit bekannt tragischem Ausgang. Oder bei Charles Dickens, in dessen Werk oft genug mindestens eine Liebesgeschichte enthalten ist. ›Dombey und Sohn‹ beispielsweise – 2015 von 82 internationalen Literaturkritikern und -wissenschaftlern zu einem der bedeutendsten britischen Romane gewählt –, enthält gleich mehrere glücklich und unglückliche. Dickens’ Zeit seines Lebens vorhandener tiefsitzender Optimismus läßt ›Dombey und Sohn‹ für die Mehrzahl seiner Protagonisten zu einem positiven Ende kommen, das aus heutiger Sicht leicht kitschig erscheinen mag. Ebensowenig würde jemand auf den Gedanken kommen, Poes ›Die Doppelmorde in der Rue Morgue‹, wo er mit der Figur C. Auguste Dupin einen der ersten Detektive der Literaturgeschichte kreiert, als U-Literatur zu bezeichnen, ebenso beinhaltet E.T.A. Hoffmanns ›Das Fräulein von Scuderi‹ alles, was zu einer guten und spannenden Kriminalgeschichte gehört, bevor es dieses eigenständige Genre überhaupt gab, doch wird so gut wie niemand die Zugehörigkeit zur E-Literatur bestreiten.

Das sind einige wenige, sehr prominente Beispiele von Autoren, deren Bedeutung für die Literaturgeschichte unbestritten ist.

Das Genre an sich ist ein denkbar schlechtes Mittel, um daran die Qualität eines Textes festzumachen, es führt allenfalls zur Stigmatisierung aller Texte, die sich dieses Genres bedienen. Qualität kann und sollte letztlich einzig an der Umsetzung einer Thematik festgemacht werden.

Wie sind die Protagonisten dargestellt? Sind sie glaubwürdig oder nur Stereotypen? Wie steht es mit dem Milieu, in dem die Handlung spielt? Auch hier ist die Frage um die Glaubwürdigkeit wichtig. Ist die Handlung in sich logisch? Befolgt sie konsequent die in ihr festgelegten Gesetzmäßigkeiten? Beinhaltet sie unglaubwürdige Brüche? In einer Erzählung, in der es die Regel ist, daß alle an der Decke spazieren, kann niemand ohne nachvollziehbaren Grund auf dem Boden gehen. Ist das Genre bei näherem Hinsehen gewählt worden, um damit etwas anderes zu verdeutlichen? Das Genre des ›Historischen‹ Roman ist ein gutes Beispiel dafür. Zu Lebzeiten Lion Feuchtwangers oder Stefan Zweigs oder R. L. Stevensons wurde dieses Genre zuvörderst benutzt, um aktuelle gesellschaftliche Probleme und Verhältnisse zu verdeutlichen, oder weshalb aktuell bestimmte Dinge so sind, wie sie sind. Heutzutage ist es fast ausschließlich zu einem rein spannungsorientierten Genre geworden, das sich nur mehr oder weniger grob an historische Gegebenheiten orientiert und noch weniger zeitgenössische Problematik anhand historischer Parallelen verdeutlichen will. Analoges gilt für das im späten 19. Jhd. entstandene Genre des ›Science fiction‹, das vom Fortschrittsgläubigen bis hin zur Verdeutlichung gesellschaftlicher und technologischer Fehlentwicklungen reicht, wobei im Verlauf des 20. Jhd. das kritische zu überwiegen begonnen hat. Für Dashiell Hammett und Raymond Chandler war letztlich das Milieu, in dem Kriminalität entsteht, wichtiger als deren Aufklärung, ihre Detektive gelangen mehr oder zufällig zur Lösung.

Wie sieht mit der sprachlichen Umsetzung aus? Ein auf den ersten Blick am umgangssprachlichen orientierter Stil kann sich bei näherem Hinsehen stärker als Qualitätskriterium erweisen, als ein scheinbar noch so ausgefeilter Stil, wenn er sich letztlich nur selbst genügt, oder noch schlimmer, wenn der Autor meint, auf diese Weise seine Sprachgewandtheit demonstrieren zu müssen, seine Zuflucht im Manierismus sucht. Der Gebrauch von Sprache zum Selbstzweck gerinnt.

Die Anwendung erprobter inhaltlicher wie sprachlicher Muster gibt es nicht nur in der vermeintlichen U-Literatur. Die frühen, um 1900 entstanden Erzählungen von Alfred Döblin, Heinrich Mann, Robert Musil, Hermann Hesse – um nur einige zu nennen – spiegeln teilweise auffällig einen bestimmten literarischen Zeitgeschmack wider, der seinerzeit mehr oder weniger erprobte sprachliche und inhaltliche Muster nutzt, die sich deutlich von deren späteren, gesellschaftlich engagiertem Werk unterscheidet.

Der U-Literatur haftet automatisch der Makel der geringeren Qualität an, dabei ist es alles andere als einfach Leute ansprechend zu unterhalten, insbesondere, wenn sie anspruchsvoll sind. Gute Unterhaltung dient im wesentlichen dazu, um abschalten zu können und Kraft zur Bewältigung für die Probleme des Alltags zu sammeln. Daß es schwerer ist, jemanden zum Lachen zu bringen als zum Weinen, weiß man beim Theater schon sehr lange.

So bequem es auf den ersten Blick auch sein mag, die Qualität am Genre festzumachen, dem der Text zuzuordnen ist, was in vielen Fall, durchaus gerechtfertigt sein mag, so sollte sich niemand davon verführen lassen zu pauschalisieren, sondern die Einzelfallprüfung sei stets empfohlen, manchmal fällt diese kurz aus, weil es in der einen wie anderen Richtung offensichtlich ist, manchmal wird sie aufwendiger und wartet am Ende sogar mit einer angenehmen Überraschung auf. Auch heute längst als prägend für die Literaturgeschichte anerkannte Autoren, haben in ihrem Werk bisweilen Texte, die nicht ihrem eigenen Niveau genügen.

Statt zwischen E- und U-Literatur, ›richtiger‹ und anderer Literatur zu unterscheiden, ist es weitaus hilfreicher zwischen und guter und schlechter Literatur zu unterscheiden, da es ebenso schlechte E- wie gute U-Literatur gibt.

In den Künsten kann es ohnehin nie ein richtig oder falsch geben, sondern immer nur ein gut oder schlecht. Es muß sich schon etwas Mühe gegeben werden, um das entscheiden zu können.

 

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