Zitat des Tages #136
von
Armin A. Alexander
Der ZahnÂarzt
Zwei TagdieÂbe, die schon lange in der Welt mitÂeinÂanÂder herÂumÂgeÂzoÂgen, weil sie zum ArÂbeiÂten zu träg oder zu unÂgeÂschickt waren, kamen doch zuÂletzt in große Not, weil sie wenig Geld mehr übrig hatÂten und nicht geÂschwind wußÂten, wo nehÂmen. Da geÂrieÂten sie auf folÂgenÂden EinÂfall. Sie betÂtelÂten vor eiÂniÂgen HaustÂhüÂren Brot zuÂsamÂmen, das sie nicht zur StilÂlung des HunÂgers geÂnieÂßen, sonÂdern zum BeÂtrug mißÂbrauÂchen wollÂten. Sie kneÂteÂten nämÂlich und drehÂten aus demÂselÂben lauÂter kleiÂne KüÂgeÂlein oder PilÂlen und beÂstreuÂten sie mit WurmÂmehl aus altem zerÂfresÂseÂnem Holz, damit sie völÂlig ausÂsaÂhen wie die gelÂben ArzÂneiÂpilÂlen. HierÂauf kaufÂten sie für ein paar BatÂzen eiÂniÂge Bogen rotÂgeÂfärbÂtes PaÂpier bei dem BuchÂbinÂder (denn eine schöÂne Farbe muß geÂwöhnÂlich bei jedem BeÂtrug mitÂhelÂfen): das PaÂpier zerÂschnitÂten sie alsÂdann und wiÂckelÂten die PilÂlen darÂein, je sechs bis acht StüÂcke in ein PäckÂlein. Nun ging der eine vorÂaus in einen FleÂcken, wo eben JahrÂmarkt war, und in den roten Löwen, wo er viele Gäste anÂzuÂtrefÂfen hoffÂte. Er forÂderÂte ein Glas Wein, trank aber nicht, sonÂdern saß ganz wehÂmüÂtig in einem WinÂkel, hielt die Hand an den BaÂcken, winÂselÂte halb laut für sich und kehrÂte sich unÂruÂhig bald so her, bald so hin. Die ehrÂliÂchen LandÂleuÂte und BürÂger, die im WirtsÂhaus waren, bilÂdeÂten sich wohl ein, daß der arme Mensch ganz entÂsetzÂlich ZahnÂweh haben müsse. Aber was war zu thun? man beÂdauÂerÂte ihn, man trösÂteÂte ihn, daß es schon wieÂder verÂgeÂhen werde, trank sein GläsÂchen fort und machÂte seine MarktafÂfaiÂren aus. InÂdesÂsen kam der anÂdeÂre Tagdieb auch nach. Da stellÂten sich die beiÂden SchelÂme, als ob noch keiÂner den anÂdeÂren in seiÂnem Leben geÂseÂhen hatte. KeiÂner sah den anÂdeÂren an, bis der zweiÂte durch das WinÂseln des ersÂteÂren, der im WinÂkel saß, aufÂmerkÂsam zu werÂden schien. »Guter Freund,« sprach er, »Ihr scheint wohl ZahnÂschmerÂzen zu haben?« und ging mit groÂßen und langÂsaÂmen SchritÂten auf ihn zu. »Ich bin der DokÂtor SchnauÂziÂus RaÂpunÂziÂus von TraÂfalÂgar,« fuhr er fort. Denn solÂche fremÂde vollÂtöÂniÂge Namen müsÂsen auch zum BeÂtrug beÂhilfÂlich sein, wie die FarÂben. »Und wenn Ihr meine ZahnÂpilÂlen geÂbrauÂchen wollt,« fuhr er fort, »so soll es mir eine schlechÂte Kunst sein, Euch mit einer, höchsÂtens zweiÂen, von Euren LeiÂden zu beÂfreiÂen.« – »Das wolle Gott«, erÂwiÂderÂte der anÂdeÂre HaÂlunk. HierÂauf zog der sauÂbeÂre DokÂtor RaÂpunÂziÂus eines von seiÂnen roten PäckÂlein aus der TaÂsche und verÂordÂneÂte dem PaÂtiÂenÂten ein KüÂgeÂlein darÂaus auf den bösen Zahn zu legen und herzÂhaft darÂauf zu beiÂßen. Jetzt streckÂten die Gäste an den anÂdeÂren TiÂschen die Köpfe herÂüber, und einer um den anÂdeÂren kam herÂbei, um die WunÂderÂkur mit anÂzuÂseÂhen. Nun könnt ihr euch vorÂstelÂlen, was geÂschah. Auf diese erste Probe wollÂte zwar der PaÂtiÂent wenig rühÂmen, vielÂmehr that er einen entÂsetzÂliÂchen Schrei. Das geÂfiel dem DokÂtor. Der Schmerz, sagte er, sei jetzt geÂbroÂchen, und gab ihm geÂschwind die zweiÂte Pille zu gleiÂchem GeÂbrauch. Da war nun plötzÂlich aller Schmerz verÂschwunÂden. Der PaÂtiÂent sprang vor FreuÂden auf, wischÂte den AngstÂschweiß von der StirÂne weg, obÂgleich keiÂner daran war, und that, als ob er seiÂnem RetÂter zum Danke etwas NamÂhafÂtes in die Hand drückÂte. – Der Streich war schlau anÂgeÂlegt und that seine WirÂkung. Denn jeder AnÂweÂsenÂde wollÂte nun auch von dieÂsen vorÂtreffÂliÂchen PilÂlen haben. Der DokÂtor bot das PäckÂlein für 24 KreuÂzer, und in wenig MiÂnuÂten waren alle verÂkauft. NaÂtürÂlich ginÂgen jetzt die zwei SchelÂme wieÂder einer nach dem anÂdeÂren weiÂters, lachÂten, als sie wieÂder zuÂsamÂmenÂkaÂmen, über die EinÂfalt dieÂser Leute und lieÂßen sich’s wohl sein von ihrem Geld.
Johann Peter Hebel (10.5.1760–22.9.1826), Schatzkästlein des rheinischen Hausfreundes
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