Zitat des Tages #138
von
Armin A. Alexander
GeÂsundÂheit der Seele – Die beÂliebÂte meÂdiÂciÂniÂsche MoÂralÂforÂmel (deren UrÂheÂber ArisÂton von Chios ist): »TuÂgend ist die GeÂsundÂheit der Seele« – müssÂte weÂnigsÂtens, um brauchÂbar zu sein, dahin abÂgeÂänÂdert werÂden: »deine TuÂgend ist die GeÂsundÂheit deiÂner Seele«. Denn eine GeÂsundÂheit an sich giebt es nicht, und alle VerÂsuÂche, ein Ding derÂart zu deÂfiÂniÂren, sind klägÂlich missÂraÂthen. Es kommt auf dein Ziel, deiÂnen HoÂriÂzont, deine KräfÂte, deine AnÂtrieÂbe, deine IrrtÂhüÂmer und naÂmentÂlich auf die IdeaÂle und PhanÂtasÂmen deiÂner Seele an, um zu beÂstimÂmen, was selbst für deiÂnen Leib GeÂsundÂheit zu beÂdeuÂten habe. Somit giebt es unÂzähÂliÂge GeÂsundÂheiÂten des LeiÂbes; und je mehr man dem EinÂzelÂnen und UnÂverÂgleichÂliÂchen wieÂder erÂlaubt, sein Haupt zu erÂheÂben, je mehr man das Dogma von der »GleichÂheit der MenÂschen« verÂlernt, um so mehr muss auch der BeÂgriff einer NorÂmal-GeÂsundÂheit, nebst NorÂmal-DiÂät, NorÂmal-VerÂlauf der ErÂkranÂkung unÂsern MeÂdiÂciÂnern abÂhanÂden komÂmen. Und dann erst dürfÂte es an der Zeit sein, über GeÂsundÂheit und KrankÂheit der Seele nachÂzuÂdenÂken und die eiÂgenÂtÂhümÂliÂche TuÂgend eines Jeden in deren GeÂsundÂheit zu setÂzen: welÂche freiÂlich bei dem Einen so ausÂseÂhen könnÂte wie der GeÂgenÂsatz der GeÂsundÂheit bei einem AnÂdeÂren. ZuÂletzt blieÂbe noch die grosÂse Frage offen, ob wir der ErÂkranÂkung entÂbehÂren könnÂten, selbst zur EntÂwiÂckeÂlung unÂseÂrer TuÂgend, und ob nicht naÂmentÂlich unser Durst nach ErÂkenntÂniss und SelbstÂerÂkenntÂniss der kranÂken Seele so gut beÂdürÂfe als der geÂsunÂden: kurz, ob nicht der alÂleiÂniÂge Wille zur GeÂsundÂheit ein VorÂurtÂheil, eine FeigÂheit und vielÂleicht ein Stück feinsÂter BarÂbaÂrei und RückÂstänÂdigÂkeit sei.
Aus: »Die fröhliche Wissenschaft« – Friedrich Nietzsche (15.10.1844–25.08.1900)
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