Der Fluch der patrilinearen Erbfolge – Aber auch das Matriarchat ist keine erstrebenswerte Alternative

von
Armin A. Alexander

Warum nur vor dem Hintergrund der patrilinearen Erbfolge die extreme Unterdrückung der Frau ›sinnvoll‹ und auch ›notwendig‹ ist.

 

Sexuelle Selbstbestimmung ist nicht das Ergebnis von Gleichberechtigung, sondern deren Voraussetzung.

(»Sie und Er – Frauenmacht und Männerherrschaft im Kulturvergleich« 2 Bände, Köln 1998)

 

Über die Mutter des Kindes bestehen keine Zweifel, jedoch beim Vater läßt sich das allenfalls vermuten, wirklich objektive Gewißheit, ohne in die Autonomie der Frau einzugreifen, gibt es nicht, abgesehen davon, daß ohne aufwendige Diagnostik ohnehin nicht möglich ist und diese Möglichkeit existiert erst in der Neuzeit. Der Vater ist der Ehrlichkeit der Mutter ihm gegenüber ausgeliefert. Wird davon ausgegangen, daß es für die Mutter keinen gewichtigen Grund gibt, nicht offen zu sein, und besitzt die soziale Elternschaft ein höheres Ansehen als die biologische, so stellt das nicht wirklich ein Problem dar. In einer Gesellschaft mit matrilinearer Erbfolge sowieso nicht, in einer ohne feste Erbfolge nur unter bestimmten Umständen, die ausschließlich den Unterhalt der unmündigen Kinder und das Erbrecht betreffen, jedoch greift es in einer mit partilinearer Erbfolge direkt deren Wesen an. Jeder noch so kleine Zweifel an der leiblichen Vaterschaft über den Sohn stellt die Gesellschaft als Gesamtes infrage. Sie ist also gezwungen, Mechanismen zu entwickeln, die sicherstellen, daß der Sohn auch wirklich die Hälfte der Chromosomen des Vaters besitzt. Eine Sicherheit, die letztlich utopisch ist und deren Erreichen mit einer Fülle von teils drastischen Restriktionen gegenüber der Frau verbunden ist. Ihr muß nicht nur jede Möglichkeit eines ›Fehltritts‹ genommen, sondern es muß ebenso verhindert werden, daß nicht nur sie das System generell infrage stellt.

Die Art der dazu nötigen Mechanismen sind vielfältig. Sie reichen von ›sanften‹ über unverhohlene bis hin zu drakonischen, aber alle haben nur ein Ziel; Frauen das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung abzusprechen, sie letztlich dem Status von unmündigen Kindern gleichzustellen. Das zeigt schon der Leitsatz ›Frauen und Kinder zuerst‹. Eine Rücksichtnahme, die im Grunde eine Diskriminierung darstellt.

Als ›sanfter‹ Mechanismus könnte mit viel Wohlwollen das Dogma der Mütterlichkeit bezeichnet werden, daß die Aufgabe, Kinder zu bekommen und diese zu versorgen, einen derart wichtigen Beitrag für den Erhalt der Gesellschaft bedeutet, daß es ihr nicht zuzumuten ist, auch noch nervenaufreibende politische und wirtschaftliche Ämter zu übernehmen und diesen – scheinbar – gleichgesetzt wird. Diese bewußt herbeigeführte Illusion, soll übertünchen, daß Frauen damit generell von politischer Willensbildung und ökonomischer Autonomie ausgeschlossen werden.

Weil man(n) sich aber nicht auf das bereitwillige Übernehmen dieses Dogmas seitens der Frauen verlassen kann, muß es den ›Uneinsichtigen‹ aufgezwungen werden. Frauen werden per Gesetz von allen Möglichkeiten ausgeschlossen, auch nur im Ansatz zu ökonomischer Autonomie zu gelangen und an politischer Willensbildung teilzunehmen. Das beinhaltet unter anderem einen Ausschluß vom Bildungssystem – daß Frauen in vielen patriarchalischen Gesellschaften die Möglichkeit zumindest Lesen, Schreiben und die Grundrechenarten zu erlernen, gegeben wurde und wird, ist in erster Linie rein pragmatisch zu sehen, da es der Frau unter anderem die Haushaltsführung erleichtert, wenn mit ihr auch anders als verbal kommuniziert werden kann und sie die Möglichkeit hat, für sie wichtige amtliche Schriftstücke zu lesen. Weitergehende Bildung, der Zugang zu Forschung und Lehre gäben ihr jedoch die Möglichkeit an die Hand, nicht nur ihren Status infrage zu stellen, sondern sich zu organisieren und diesen zu ändern, womit sich eine Verwehrung dessen von selbst versteht. Eine rechtliche Schlechterstellung ist somit nur logische Konsequenz. Söhne werden im Erbrecht bevorzugt, Frauen besitzen nur eingeschränkte bis faktisch gar keine Geschäftsfähigkeit. Solange ein naher männlicher Verwandter existiert, das kann Vater, Bruder oder Ehemann sein, nimmt er ihre Interessen wahr, die genaugenommen die seinen sind. Natürlich ist das auch innerhalb derselben patriarchalischen Gesellschaft über die Generationen Schwankungen unterworfen gewesen. Je nachdem wie man(n) glaubte, daß es sinnvoll ist, ›Freiheiten‹ zu gewähren. Hier galt/gilt das Prinzip von Zuckerbrot und Peitsche.

Das ganze rechtfertigte man(n) je nach gesellschaftlichem Entwicklungsstand mit religiösen – göttliche Ordnung – (pseudo-)naturwissenschaftlichen – schwächere körperliche Konstitution, was die pure Heuchelei war, wurde doch gerade Frauen die niederen körperlich extrem belastenden Arbeiten in der Landwirtschaft, im Haushalt und in den frühen Industrien zugemutet, desweiteren ein nicht so weit entwickeltes Gehirn, etc. – bis zu psychologischen Argumenten – generell empfindsamer vom Wesen her, daher weniger psychisch belastbar, also für die nervenaufreibenden politischen Aufgaben schlecht geeignet, etc. Daß der Wahn, der Sohn könnte nicht vom Vater sein, mit der Zeit die Dimensionen der Irrationalität und des Verfolgungswahn annimmt, sollte eigentlich niemanden verwundern.

Mit diesen und vergleichbaren Methoden bringt man(n) Frauen zwar in politische und ökonomische Abhängigkeit – der Ehe kommt dabei die Bedeutung zu, die Frau auch noch juristisch an einen bestimmten Mann zu binden –, aber der Mann hat sich damit immer noch nicht der sexuellen Treue der Frau versichert. Das Risiko, daß ein anderer Mann der leibliche Vater seiner Söhne wird, bleibt weiterhin hoch.

Hier tut sich das Feld auf, auf dem drakonische Maßnahmen wie Steinigung von Ehebrecherinnen, als extremste Form, oder Ehr- und Ansehensverlust, gesellschaftliche Ächtung, Ausgrenzung, Untersagung des Kontakts zu den eigenen Kindern, unter Umständen sogar Verstoßung aus der eigenen Familie, blühen und gedeihen.

Fontane schildert das sehr anschaulich in ›Effi Briest‹.

Ehebruch, Fremdgehen, vorehelicher Geschlechtsverkehr wird nicht nur bestraft, nachdem er geschehen und aufgedeckt worden ist – sei anständig, oder laß dich wenigstens nicht erwischen, war ein beliebter Leitsatz im 19 Jhd. Wer so unvorsichtig war, sich erwischen zu lassen, verdiente auch nichts anderes als Strafe. Doppelmoral in ihrer Höchstform! –, sondern dies mußte schon im voraus als so etwas unglaublich Infames dargestellt werden, daß die Angst davor größer war als das Bedürfnis so zu handeln. Wie in totalitären System üblich, wurden die Unterdrückten als ihre eigenen Bewacher eingespannt. Daß Frauen verboten wurde, allein öffentliche Lokale in denen hauptsächlich Männer verkehrten, aufzusuchen, ohne irgendeine Begleitung, sprich Anstandsdame, zu verreisen, etc. ist unter diesem Gesichtspunkt eigentlich selbstverständlich.

An dieser Stelle sei ein Kuriosum angemerkt: Bis zur Entdeckung der Eizelle und wie die Empfängnis vor sich geht, wurde der Orgasmus der Frau als notwendig angesehen. Man(n) dachte, daß er die zur Entstehung von Leben notwendigen Körpersäfte mobilisiere und die entsprechenden Temperaturen erzeuge, damit die Leibesfrucht sich einnisten und wachsen und gedeihen kann. Die Entstehung des Synonyms ›ein Brötchen im Ofen zu haben‹ für Schwangerschaft, würde sich vor diesem Hintergrund gut erklären lassen. Erst nach der Entdeckung der Eizelle wurde Frauen selbst noch das Recht zum Orgasmus abgesprochen, ja es wurde im späten 19 Jhd. sogar als Erniedrigung der Frau in ihrer Rolle als Mutter angesehen, ihr ein eigenes sexuelles Verlangen zu unterstellen, das nicht einzig auf Mutterschaft fixiert ist. Die Aussage, daß Sex für Frauen von untergeordneter Bedeutung und eigentlich überhaupt nicht wichtig sei, dürfte manchem aus Aussagen älterer Familienmitglieder sicherlich nicht unbekannt sein.

Alles männliche wurde positiv besetzt, alles weibliche herabgesetzt. ›Seinen Mann stehen‹, wenn der Betreffende sich zu behaupten weiß. ›Weiberkram‹, für alles Nebensächliche, im Grunde überflüssige. Auch heute wird wie selbstverständlich von einer Frau gesagt, die sich beruflich und gesellschaftlich durchzusetzen weiß, die konsequent ihre Ziele verfolgt, die erfolgreich ist; ›sie steht ihren Mann‹. Es heißt ja auch im Sport bspw. die ›Deutsche Frauen Nationalmannschaft‹, sprachlogisch ein Widerspruch in sich.

 

Das Matriarchat – Nur scheinbar eine (bessere) Alternative

 

Vom Matriarchat wird gerne behauptet, daß darin die Männer weniger unterdrückt werden als Frauen im Patriarchat. Als Argument wird ebenso gerne vorgebracht, daß dies im Wesen der Frau liegt, weil ihre sozialen Fähigkeiten insgesamt besser ausgebildet seien. Dabei wird gerne, bewußt oder unbewußt sei einmal dahingestellt, übersehen, daß damit die patriarchalische Sichtweise über die Frau in großen Teilen kritiklos übernommen wird, das Mütterliche als Naturprinzip. Dabei hat die französische Philosophin Elisabeth Badinter (*1944) in ihrem Buch «L’amour en plus: Histoire de l’amour maternel du XVIIe au Xxe siécle» (1980, dt: Die Mutterliebe 1981) nachgewiesen, daß der ›Mutterinstinkt‹ a priori bei Frauen gar nicht existieren kann, sondern angelernt ist und auch Männer ›mütterlich‹ denken und handeln können, werden sie entsprechend sozialisiert. Wovon man – und auch frau – sich tagtäglich überzeugen kann.

Der Grund für die Besserbehandlung der Männer ist ein ganz banaler: eben weil es keinerlei Zweifel geben kann, wer die Mutter der Tochter ist, gibt es keine Veranlassung die sexuelle Treue der Männer zu erzwingen. Verständlich, daß die Ehe als Institution im Matriarchat mit der im Patriarchat nicht vergleichbar ist und eine gänzlich andere Ausprägung und einen anderen Stellenwert besitzt. Insofern sie überhaupt als solche notwendig ist. Es würde letztlich genügen, Männern soviel ökonomische Autonomie zu ermöglichen, wie es für den Lebensunterhalt notwendig ist, ohne daß sie genug Mittel anhäufen könnten, um wirtschaftlichen Einfluß nehmen zu können.

Doch auch das Matriarchat ist aus Gründen des Machterhalts gezwungen, Männern den Zugang zu Forschung und Lehre stark einzuschränken und zur politischen Willensbildung zu verweigern. Wie es auch Dogmen erzeugen muß, die das Weibliche herauf- und das männliche herabzusetzen.

 

Ein Fazit:

 

Während eine Gesellschaft mit patrilinearer Erbfolge gar nicht anders kann, als Frauen das Recht auf ökonomische, politische und vor allem sexuelle Selbstbestimmung zu nehmen, will sie die bestehenden Machtverhältnisse nur so erhalten können, so kann sich das Matriarchat leisten, den Männern ›nur‹ die ökonomische und politische Selbstbestimmung zu nehmen oder stark einzuschränken, um dies zu tun. Das hat wenig damit zu tun, daß Frauen generell bessere Menschen sind, sondern weil sie es einfach nicht nötig haben, das männliche Sexualverhalten zu kontrollieren, denn wer die Mutter ist, steht ja für jeden fest.

Wirklich erstrebenswert kann jedoch nur eine Gesellschaft sein, die gar keine vorgegebene Erbfolge besitzt. Auch manchem radikalfeministischen Wunschtraum nach einem Matriarchat zum Trotz. Ungleichheit läßt sich nicht mit Ungleichheit bekämpfen, schließlich: Wehe dem Besiegten!

Über die Ursachen für die Entstehung des Patriarchats läßt sich allenfalls spekulieren, da es erstens zu weit in der Vergangenheit liegt und zweitens die Machtverhältnisse bekannt sein müßten, die seinerzeit geherrscht haben, die gesellschaftlichen Verhältnisse überhaupt. Doch das ist ein Thema für einen eigenen Essay.

Einzig eine Gesellschaft, die das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung, ökonomischer Autonomie und Beteiligung an politischer Willensbildung, sowie ungehinderten Zugang zu Forschung und Lehre ALLEN in ihr lebenden Personen zugesteht, ist erstrebenswert und kann Bestand haben und dem Ideal von Gerechtigkeit ein großes Stück nahe kommen. Dafür, daß auch in solchen Gesellschaft nicht alles eitel Sonnenschein ist, sorgt schon die Unterschiedlichkeit der in ihr lebenden Charaktere.

2 Kommentare zu „Der Fluch der patrilinearen Erbfolge – Aber auch das Matriarchat ist keine erstrebenswerte Alternative

  1. Sascha sagt:

    “Doch auch das Matriarchat ist aus Gründen des Machterhalts gezwungen, Männern den Zugang zu Forschung und Lehre stark einzuschränken und zur politischen Willensbildung zu verweigern. Wie es auch Dogmen erzeugen muß, die das Weibliche herauf- und das männliche herabsetzen.”

    Das ist Schwachsinn. Entschuldigung, aber da wird was abgetan ohne es zu begründen.

    Damit will ich nicht sagen das ein Matriarchat die perfekte Lösung für uns heute ist, aber dennoch sind wir viel zu weit davon entfernt. Das Thema ist aus meiner Sicht sehr wichtig, da man damit wahrscheinlich eine Lösung finden kann für all unsere heutigen gesellschaftlichen und ökologischen Probleme.

  2. @Sascha

    Tut mir leid, aber die Aussage ist – leider – keine Schwachsin und die Begründung ist ja in von Dir ausgewählten Zitat vorhanden.

    Glaubst Du wirklich, wenn Frauen statt Männer in einer Gesellschaft den entscheidenden Einfluß, daß dann die gesellschaftlichen und ökologischen Probleme gelöst wären? Daß sie sich nicht von der Macht korrumpieren lassen?

    Eine Lösung kann nur eine Gesellschaft bringen, in der alle gleichberechtigt sind, unabhängig vom Geschlecht – von dem es übrigens mehr als nur Mann und Frau gibt -, der Hautfarbe, der Weltanschauung, der sexuellen Orientierung und der sozialen Stellung. Alles andere ist nur die ewige Wiederkehr des Immergleichen in nur anderer Verpackung.

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