Daniel Defoe »Robinson Crusoe«

von
Armin A. Alexander

Interpretationen

Robinson Crusoe Sohn eines Kaufmann wünscht nichts sehnlicher als zur See zu fahren. Obwohl die Eltern ihm das verbieten, reißt er von zu Hause aus und nutzt die sich bietende Gelegenheit auf einem Schiff mitzufahren. Kaum hat das Schiff abgelegt, gerät es bereits in einen Sturm. Obwohl sie auf einem Fluß fahren, nimmt Robinson das Unwetter derart mit, daß ihn für den Augenblick die Seefahrt verleidet zu sein scheint. Doch als er in London ankommt, ist jeder gute Vorsatz vergessen und er nimmt die nächste sich bietende Möglichkeit einer Seereise wahr. Diese wird ein Erfolg und bringt ihm Geld und nautische Kenntnisse ein. Bei der darauffolgenden Fahrt wird er gemeinsam mit der Mannschaft von einem Piratenschiff gefangen genommen und auf einem nordafrikanischen Sklavenmarkt verkauft. Über zwei Jahre Robinson in Sklavendiensten bevor ihm die Flucht mit einem Boot in Begleitung eines Negersklaven gelingt. Sie segeln an der afrikanischen Küste entlang und werden nach einer tagelangen Irrfahrt von einem brasilianischen Handelsschiff aufgenommen. Nach der Ankunft in Brasilien versucht Robinson sein Glück als Pflanzer ist, womit er sehr erfolgreich ist. Eigentlich könnte er sein Leben in Ruhe und in Reichtum beschließen, doch die ihm eigene Unbeständigkeit läßt ihn ohne Not erneut zur See fahren. Auf dieser Fahrt widerfährt ihm sein schwerster Schiffbruch, der ihn für 35 Jahre auf einer einsamen Insel festhalten wird. Dort lernt er eine Behausung zu errichten, Wildtiere zu domestizieren, Ackerbau zu betreiben. Jahre der Einsamkeit und der Arbeit vergehen bis er entdecken muß, daß seine Insel in unregelmäßigen Abständen von einem Kannibalenstamm aufgesucht, die hier ihre Gefangen in einem Ritual töten und verspeisen. Robinson wird Zeuge eines ihrer Rituale, dabei greift er entgegen seiner Prinzipien möglichst kein Lebenszeichen von sich zu geben ein und befreit einen der Gefangen, dem er den Namen Freitag gibt. Freitag erweist sich als gelehrig und treu ergeben. Eines Tages wird eine Gruppe Seeleute, Opfer einer Meuterei, auf der Insel ausgesetzt. Robinson verbündet sich mit ihnen unter der Bedingung, daß er nach erfolgter Rückeroberung nach England zurückgebracht wird. Es gelingt, die Meuterer zu überwältigen und einen Teil auf die eigene Seite zu ziehen. Robinson, der sich selbst als Gouverneur der Insel sieht, fährt in Freitags Begleitung mit dem Schiff nach England zurück. Ein Teil der bekehrten Meuterer bleibt auf der Insel zurück. Nach seiner Ankunft in England fühlt Robinson sich wie ein Fremder. Aus geschäftlichen Gründen reist er nach Lissabon. Nachdem er diese erledigt hat, beschließt er auf Grund seiner Erfahrungen auf See auf dem Landweg nach England zurückzukehren. Eine Reise, die alles andere als ruhig verläuft. In den verschneiten Pyrenäen werden die Reisenden von einer Horde hungriger Wölfe angegriffen und müssen sich eines wilden Bären erwehren. Wieder zurück in England wird Robinson seßhaft und heiratet. Plant aber eine Rückkehr zu seiner Insel.

 

Daniel Defoe (ursprünglich Daniel Foe, erst später änderte er den Namen in Defoe) schrieb den 1712 erschienen Roman, zugleich sein erster, der auf Anhieb ein großer Erfolg wurde und bis heute den Urtyp des Abenteuerromans darstellt, im Alter von sechzig Jahren. Zuvor war er Kaufmann und Journalist während einer sehr bewegten Epoche der englischen Geschichte. Ursprünglich wollte er Priester werden, verwarf das Vorhaben aber bereits früh. Ein gewisser missionarischer Eifer scheint er jedoch Zeit seines Lebens behalten zu haben, denn unter anderem versucht sein Robinson Freitag erfolgreich von seinem heidnischen Glauben abzubringen, der im übrigen monotheistisch und nicht allzuweit vom christlichen entfernt ist. Freitag »[–] sagte, das sei der alte Benamucki, der über allem herrsche. Er konnte über diese große Persönlichkeit nichts anderes sagen, als daß sie sehr alt sei; viel älter, sagte er, als die See oder das Land, als der Mond oder die Sterne. Dann fragte ich ihn, wenn dieser alte Mann alle Dinge gemacht habe, warum dann nicht alle Dinge ihn verehrten. Darauf blickte er sehr ernsthaft und versetzte mit einem ganz unschuldigen Gesicht: »Alle Dinge sagen Oh! zu ihm. « Ich fragte ihn, ob die Leute, die in seiner Heimat starben, irgendwo hingingen. Ja, sagte er, sie gingen alle zu Benamucki; dann fragte ich ihn, ob die, die sie auffräßen, auch zu ihm gingen; ja, sagte er. [–]« Dessen ungeachtet ist Defoes Protagonist bemüht, Freitag im christlichen Glauben zu unterweisen. »[–] Von da an begann ich, ihn in der Erkenntnis des wahren Gottes zu unterweisen. [–] so öffnete ich ihm nach und nach die Augen. Er lauschte mit großer Aufmerksamkeit und nahm es freudig auf, als ich von Jesu Christo sprach, der gesandt war, um uns zu erlösen, [–] Eines Tages sagte er zu mir, daß unser Gott, der uns noch hinter der Sonne hören konnte, viel größer sein mußte als ihr Benamucki, der nur ein Stück weiter lebe und nichts hören könne, wenn man nicht auf die drei großen Berge klettere, wo er wohne, um mit ihm zu sprechen. [–]«

Im gleichen Atemzug übt Defoe jedoch auch Kritik an der Art, wie Religion von Priestern namentlich der katholischen nahegebracht wird. »[–] Ich fragte ihn [Freitag], ob er jemals dahin gegangen sei, um mit ihm zu sprechen; nein, sagte er, [–] keiner gehe hin außer den alten Männern, die er Oowokaki nannte, ihre Geistlichen oder Priester, wie er mir’s erklärte, und sie gingen hin, um Oh! zu sagen (so nannte er ihr Beten), und dann kämen sie wieder zurück und berichteten, was Benamucki gesagt hatte. – Daraus ersah ich, daß auch unter den blindesten und unwissendsten Heiden auf der ganzen Welt die Pfaffenlist regiert und daß der schlaue Kniff, einen Geheimkult einzurichten, um der Geistlichkeit die Verehrung des Volkes zu erhalten, nicht nur in der römischen Religion, sondern vielleicht bei allen Religionen der Erde zu finden ist, sogar bei den barbarischsten und viehischsten Wilden. [–]«

Überhaupt spart Defoe nicht mit Belehrungen. Die Schwierigkeiten in die Robinson Crusoe kommt sind die unmittelbare Folge des Verstoßes gegen den Ratschlag seiner Eltern, die seinem Wunsch zur See zu fahren, entschieden ablehnen. Selbst als ihn auf den ersten kurzen Fahrten bereits Unglücke widerfahren, bleibt er unbelehrbar, gibt sogar die finanzielle Sicherheit einer gutgehenden Plantage auf und macht eine Fahrt nach Europa, die für ihn eigentlich unnötig ist. Auf dieser erlebt dann den großen Schiffbruch. In der Einsamkeit der Insel bereut er seine Gottlosigkeit. Eine Bibel in seinem Gepäck, die ein Vertrauter ihm ohne sein Wissen zugepackt hat, wird sein Trost. Somit ist der Robinson auch die Bekehrung eines Einsiedlers.

Für Defoe scheint ein natürliche Ungleichheit der Völker selbstverständlich zu sein. Er verliert kein Wort über Sklaverei, sondern bietet sich an selbst zu Reisen und Neger-Sklaven nach Brasilien zu bringen, mit denen zur Zeit der Erzählung dort offenbar noch nie frei gehandelt werden konnte.

Ebenso erkennt Freitag, nachdem Robinson ihn aus der Gefangenschaft befreit und ihm vor dem Schicksal gefressen zu werden, bewahrt hat, wie wohl sein Stamm selbst kannibalische Bräuche pflegt, ihn als Herren an, in dem er Robinsons Fuß in seinen Nacken stellt und Robinson das wie selbstverständlich geschehen läßt. Allerdings beschränken sich die kannibalischen Gebräuche ausschließlich auf den Umgang mit Krieg erbeuteten Gefangenen.

Die Wilden haben aber nur deshalb diese Gebräuche, weil sie von Gott verlassen wurden und das ihre Strafe ist. Für Defoe scheint der Wilde erst durch Annahme des wahren Glaubens – in diesem Fall nicht nur des christlichen, sondern Protestantisch/Nonkonformistischen – zu einem zivilisierten Menschen zu machen. Wie am Beispiels Freitags, der Bekehrter keinen Wunsch mehr nach den Bräuchen seines Volkes hat und dem Weißen gleichgestellt ist.

In Brasilien will er sich am Ende seines Inselaufenthaltes nur deshalb nicht niederlassen, weil er dort seinen Glauben verleugnen müßte, denn Brasilien ist römisch-katholisch.

Defoe kritisiert zudem das Vorgehen der Spanier, die die Ureinwohner in Südamerika vor allem wegen ihres heidnischen Glaubens ausrotteten. Vorausgegangen ist eine Überlegung Robinsons, die Kannibalen, die an seiner Insel landen, einfach nieder zuschießen, obwohl sie von seiner Existenz nichts wissen und er sich bewußt ist, daß sie ihm bisher nichts getan haben. Es also zu seiner Sicherheit ausreicht, sich versteckt zu halten. »[–] Sonst wäre ja auch das barbarische Benehmen der Spanier in Amerika gerechtfertigt, die Millionen von Menschen umbrachten, welche, wenn sie auch Götzendiener und Barbaren waren und manchen blutigen und barbarischen Brauch hatten, wie eben jenen, ihren Götzen lebendige Menschen zu opfern, doch den Spaniern nicht das mindeste getan hatten. Heute sprechen ja sogar die Spanier selber, wie auch alle anderen christlichen Völker in Europa, nur mit dem größten Abscheu und Entsetzen von ihrer Ausrottung des Menschen in diesem Land als von einer bloßen Schlächterei, einer blutigen und unnatürlichen Grausamkeit, die weder vor Gott noch vor den Menschen zu rechtfertigen ist und deretwegen der bloße Name eines Spaniers allen menschlich gesinnten oder mit christlichem Mitleid begabten Völkern zum Schrecken und Entsetzen gereicht, genauso als täte sich das Königreich Spanien besonders hervor in der Erzeugung einer Art von Menschen ohne alle Grundsätze der Liebe und ohne das geringste Erbarmen mit den Unglücklichen, was doch überall als das Kennzeichen einer edlen Gesinnung gilt. [–]«

Diesen Grundsatz bricht er erst als sie mit Freitag. Denn als Freitag flieht, tötet er seine Verfolger. Später kommen sie dann mit einem Weißen, einem spanischen Schiffbrüchigen und einem Mann, der sich später als Freitags Vater erweist. Um die beiden zu befreien, werden die anderen gleichfalls getötet.

 

Der Robinson Crusoe ist weit mehr als Abenteuerroman, er ist zugleich eine Mahnung an alle, die das Schicksal herausfordern, die die gutgemeinten Ratschläge Erfahrener ablehnen, und drückt zudem Defoes – christliche – Weltanschauung aus. Aber es finden sich auch satirische Elemente, wenn die Reise zu Land von Lissabon nach London zurück, die ja darum gewählt wurde, weil man die Gefahren einer Seereise vermeiden wollte und kaum weniger gefährlicher wird.

Der Roman endet mit der kurzer Zusammenfassung einer weiteren Reise nach seiner Insel und läßt vermuten, daß Defoe eine Fortsetzung geplant hat, die sich mit der kleinen Kolonie dort beschäftigt.

 

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Oder Online bei Projekt Gutenberg.

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