Schlagwort-Archiv »Bücher«

Kurzes #11 – Der Stuhl

Der folgende Text ist ein weiterer Auszug aus dem in kürze erscheinenden Buch »Nachhilfestunden«. Darin wird erzählt wie Rüdiger durch Zufall zu einem altersschwachen Stuhl kommt, der ihm aber gute Dienste bei der Lösung von Ullas Konzentrationsproblem leisten wird.

»Was macht dein Nachhilfeschüler«, fragte Rolf mehr mit beiläufigem Interesse, während er angestrengt im Küchenschrank kramte.
Er war ein ebenso passionierter Kaffeetrinker wie Rüdiger ein Teetrinker, weshalb er sich aus alter Freundschaft heraus und als guter Gastgeber gezwungen sah, Tee aufzugießen. Irgendwo mußte er noch welchen haben. Er hatte doch immer Tee im Haus. Man wußte ja nie, wer zu Besuch kam. Es wäre mehr als peinlich am bewußten Morgen danach auf die Frage: »Hast du auch Tee?« antworten zu müssen: »Wie? Tee? Du trinkst Tee?« Wie viele hoffnungsvolle Beziehungen hatten auf diese Weise schon ein jähes Ende genommen, bevor sie sich richtig entfalten konnten? (mehr …)

Wolfgang Borchert »Das Gesamtwerk«

Interpretationen

Sicherlich werden sich viele aus dem Schulunterricht – je nach Generation – noch an die Kurzgeschichten »Nachts schlafen die Ratten doch«, »Stimmen sind da – in der Luft – in der Nacht« oder vielleicht auch an das Drama »Draußen vor der Tür« erinnern. Gehören doch die Texte von Wolfgang Borchert bereits seit einigen Jahrzehnten zum Standardkanon der Literatur nach 1945 im Deutschunterricht. Vermutlich werden die meisten sie eher als lästige Pflichtübung angesehen haben, weil es ihnen schwerfiel, sich in die Welt die Autor beschreibt hineinzuversetzen. Für Jugendliche, die in der Geborgenheit eines demokratischen Rechtsstaats aufgewachsen sind, muß die Lebenswirklichkeit mit der Wolfgang Borchert sich auseinanderzusetzen hatte, schier unglaublich erscheinen. (mehr …)

Kurzes #10 – Überraschender Besuch

Marius und sein Freund, die ihn am Abend zuvor besucht hatten, waren erst in den frühen Morgenstunden gegangen. Als er sie zum Wagen begleitet hatte, zeigte sich im Osten bereits ein heller Streifen.
Unsinnigerweise war er zur selben Zeit wie gewöhnlich aufgestanden. Doch schon bald forderte die durchwachte Nacht ihren Tribut. Herzhaft gähnend hatte er nachgegeben und sich für ein Stündchen oder zwei aufs Sofa im Arbeitszimmer gelegt. Er war kaum in einen wohligen Halbschlummer hinübergeglitten, als es klingelte. Schlaftrunken sah er zum Telephon hinüber, glaubte im ersten Moment, das Klingeln sei von dort gekommen. Ein zweites, diesmal länger andauerndes Läuten belehrte ihn eines besseren. Träge und verschlafen stand er auf und ging nach unten. (mehr …)

Karl Mays »Waldröschen« – mehr als nur ein Kolportageroman

Interpretationen

Von den südlichen Ausläufern der Pyrenäen her trabte ein Reiter auf die altberühmte Stadt Manresa zu. Er ritt ein ungewöhnlich starkes Maulthier, und dies hatte seinen guten Grund, denn er selbst war von hoher, mächtiger Gestalt, und wer nur einen einzigen Blick auf ihn warf, der sah sofort, daß dieser riesige Reitersmann eine ganz ungewöhnliche Körperkraft besitzen müßte. Und wie man die Erfahrung macht, daß gerade solche Kraftgestalten das frömmste und friedfertigste Gemüth besitzen, so lag auch auf dem offenen und vertrauenerweckenden Gesichte, und in den treuen, grauen Augen dieses Mannes ein Ausdruck, der keinen Glauben an den Mißbrauch so außerordentlicher Körperstärke aufkommen ließ.

 

Mit dieser Charakterisierung einer der Hauptpersonen, des Doktor Sternau, beginnt der erfolgreichste deutsche Kolportageroman des 19. Jhd. Erschienen in 109 Lieferungen auf 2612 Druckseiten vom 2.12.1882–16.08.1884. Übersetzt unter anderem ins Englische, Tschechische, Niederländische, Italienische, Slowenische und Polnische. (mehr …)

Emmanuí¨le Bernheim »Die Andere«

Interpretationen

Der jungen Ärztin Claire wird die Handtasche gestohlen. Kurz darauf taucht ein Fremder in ihrer Praxis auf, der mit Sicherheit kein Patient. Doch entgegen ihrer ersten Annahme ist er nicht der Dieb sondern der ehrliche Finder. Bevor sie ihn zur Rede stellen kann, verschwindet er. Der Dieb hat nur das Geld und die Kreditkarte entwendet. (mehr …)

Franz Kafka »Ein Hungerkünstler«

Der »Hungerkünstler« war lange Zeit die Jahrmarktsattraktion schlechthin. Sobald er in eine neue Stadt kam war er das Gespräch schlechthin. Jeder wollte ihn zumindest einmal am Tag sehen, während er in seinem Käfig vor sich hungerte. Das Publikum wählte Wächter, die in Dreiergruppen Tag und Nacht darauf achteten, daß er auch tatsächlich hungerte und nicht heimlich etwas aß oder ihm Essen von mitleidigen Seelen zugesteckt wurde. Der Hungerkünstler empfand es Affront, (mehr …)

Kurzes #9 – Auf allen vieren

Da für die Neugierigen ein Titelbild sicherlich nicht genug ist. 😉 Hier noch ein weiterer Auszug aus den »Nachhilfestunden«

Für den heutigen Tag hatte er ihr per SMS mitgeteilt, was sie anziehen sollte. Im ersten Moment war für sie der Zusammenhang nicht klar, denn es war nichts Besonderes, was er verlangte, nichts was sie nicht sowieso gerne trug, aber vermutlich an diesem Tag nicht unbedingt ausgewählt hätte. Eine einfache weiße Bluse, einen schwarzen kurzen engen Rock, schwarze Nylons, schwarze hochhackige Schuhe und keine Dessous bis auf die nötigen Strumpfhalter war seine Anweisung gewesen. Vor dem Spiegel stehend, fand sie, daß sie allzu sehr wie eine brave Geschäftsfrau wirkte. Und weil sie das störte, schminkte sie sich die Lippen ziemlich stark in einem auffälligen Rotton, so sah sie weniger brav aus – glaubte sie. (mehr …)

Mary Wollstonecraft (Godwin) Shelley »Frankenstein«

Interpretationen

Mary Wollstonecraft (Godwin) Shelleys 1818 erschienener Roman »Frankenstein« gilt als Urtyp des modernen Horrorromans, doch er ist weit mehr als das. Zur Zeit seiner Entstehung war die sogenannte »Gothic Novel« ein beliebtes Genre, in deren Tradition Shelleys Roman steht. Die »Gothic Novel« ist ebenso Schauerroman wie Phantastischer Roman, beschäftigt mit unerklärlichen Phänomenen, mit Geistererscheinungen. Als Äquivalente in der deutschen Literatur wären bspw. E. Th. A Hoffmann und Wilhelm Hauff zu nennen. Viele von E. A. Poes Erzählungen lassen sich ebenso in dieses Genres einordnen. (mehr …)