Schlagwort-Archiv »Kurzgeschichten«

Kurzes #74 – Zwölf erotische Aquarelle

Erst als er den großen grauen rückseitig mit Karton verstärkten Umschlag nebst der übrigen Post auf seinen Schreibtisch legte, sah er, daß er nicht mit der regulären Post gekommen sein konnte, da nur sein Name in einer ihm unbekannten Handschrift darauf stand, was verständlicherweise seine Neugierde weckte. Er schnitt ihn auf. Er enthielt lediglich ein Blatt rauhes Aquarellpapier.

Es war ausgezeichnet und mit großer Liebe zum Detail gearbeitet. Es zeigte eine große Frau mit einem ausgeprägt femininen, nahezu perfekten Körper und taillenlangen, dichten dunklen Haaren. Sie stand leicht nach links gewandt im Kontrapost. Sie hielt ein großes beiges flauschiges Handtuch vor dem Bauch, den Blick leicht nach unten gerichtet, das Gesicht vollständig von den Haaren bedeckt. Im Gegensatz zur Detailverliebtheit, mit der sie dargestellt war, war der sie umgebende von warmem Licht durchflutete Raum lediglich mit zwei, drei Strichen angedeutet, die aber genügten, um ein Bad erkennen zu lassen.

Er wendete das Blatt mehrmals, doch es fand sich nicht die kleinste Spur einer Signatur.

Er setzte sich an den Schreibtisch und nahm das Blatt nun mit Hilfe einer Lupe näher in Augenschein. (mehr …)

Kurzes #73 – Ein Bewunderer

Die Beine der Frauen sind wie Zirkel, welche den Erdball in allen Himmelsrichtungen ausmessen
und ihm sein Gleichgewicht und seine Harmonie geben

aus «Â L’homme qui aimait les femmes »
von Franí§ois Truffaut

 

Würde er gefragt, wie er sich sehe, so würde er ohne sonderlich nachzudenken und mit einem gewissen Stolz, vorausgesetzt, der Betreffende habe sein Vertrauen erweckt, antworten: als ein Verehrer schöner Beine, begleitet von einem Lächeln, das den dezenten Genießer verrät.

Je nach Naturell würde die Reaktion darauf von verständnislosem Kopfschütteln über eine derart wunderliche Eigenart bis hin zur Freude, einen Gleichgesinnten im Geiste getroffen zu haben, reichen. Wir gehen einmal davon aus, daß unser Frager sich vom Wesen her in der Mitte bewegt. Höflich würde er erwidern, doch mit unüberhörbarem Unterton, der keinen Zweifel daran ließ, daß er es nicht ganz nachvollziehen könne, weshalb er darin für sich etwas Besonderes sehen würde, schließlich erfreuen sich doch die meisten Männer an schönen Frauenbeinen, wenn sie auch selten zu sehen seien, und nicht nur, weil viele Frauen, vor allem die es sich ›leisten‹ könnten, lieber Hosen als Röcke tragen. (mehr …)

Zitat des Tages #114

»Was wollen Sie denn eigentlich, Sie Maiskolben, Sie Krautkopf, Sie Rübensprößling?! Schämen Sie sich Ihrer unverständigen Worte. Seit vierzehn Jahren arbeite ich als Redakteur und noch niemals, das versichere ich Ihnen, habe ich gehört, daß man besondere Kenntnisse haben müsse, um eine Zeitung zu redigieren. (mehr …)

Kurzes #72 – Die Fetischistin

Es gibt so Momente, da bin ich im Zweifel, ob ein Fetisch nicht doch die Dimension einer klassischen Sucht annehmen kann. Jedenfalls, wenn ich meine aus allen Nähten platzenden Kleiderschränke anschaue – Was willst Du, Frauen kokettieren nun einmal gerne – Ob das in unseren Genen liegt? Keine Ahnung, wahrscheinlich liegt es an unserer Sozialisierung – Natürlich würde ich nicht eines meiner Stücke weggeben. Dafür bin ich viel zu sehr Fetischistin und habe viel zuviel Spaß damit und brauche es auch irgendwie, wie Du weißt. Es bereichert mein Leben und hat mich schon manch interessanten Mann kennenlernen lassen – Ja, Du bist auch alles andere als uninteressant – Nach Komplimenten fischen kannst Du. Ich denke, Du weißt genau, wie Du Dich einzuschätzen hast – Das ist gut, ein Leben ohne Fetisch ist zwar möglich, aber reizlos – Ja, so empfinde ich auch oft.

Du hast noch nie nachvollziehen können, warum etwas derart harmloses wie Fetischismus überhaupt als Problem angesehen werden konnte und von manchem noch immer wird. (mehr …)

Kurzes #71 – Der Fetischist

Der folgende Text ist die Fortsetzung und der Schluß von Evamarias Gummiregenmantel.

 

Evamaria besaß die beiden Gummiregenmäntel vielleicht zwei Wochen.

Es nieselte seit dem Morgen ohne Unterbrechung. Evamaria stand wie üblich bei dieser Witterung allein in der Gasse. Sie schlenderte auf ihrem Platz auf und ab, die Hände in den Manteltaschen geschoben, lauschte auf das Klacken ihrer hohen Absätze auf dem ausgetretenen Pflaster, schritt genüßlich durch die beiden kleinen Pfützen vor der Einfahrt, genoß das Gefühl wie ihre Schuhe und Strümpfe sich mit dem Regenwasser vollsogen, sowie das leise monotone Trommeln des Regens auf der Kapuze und hing ihren Gedanken nach, weshalb sie den Mann nicht kommen gesehen hatte. Sie bemerkte ihn erst, als er sie ansprach und sich nach ihrem Preis erkundigte. Sie konnte nicht sagen, wie lange er sie beobachtet haben könnte.

Mit einem geschäftsmäßig freundlichen Lächeln, das dennoch liebenswürdig war, nannte sie ihren Tarif, der bei allen Frauen in dieser Gasse derselbe war.

»Was tust du dafür?« fragte er leise, fast schüchtern, obwohl niemand in der Nähe war, der sie hätte belauschen können. Selbst wenn es anders gewesen wäre, hätte sich keiner daran gestört.

Sie sah ihn mit leicht schiefgelegtem Kopf und einem freundlichen Lächeln um die Mundwinkel an. Sie hatte ihn hier noch nie gesehen. Er schien nicht unsympathisch, wirkte fast etwas schüchtern als sei es das erste Mal, daß er zu einer wie ihr ging. Er war relativ groß, schlank, doch nicht hager, wirkte irgendwie ›besser gestellt‹, sah insgesamt nicht schlecht aus. Er hielt seinen Schirm fest in der Hand, fast als wollte er sich daran festhalten. Sie schätzte ihn auf Anfang vierzig. In ihren Augen ein eher untypisches Alter, um das erste Mal zu einer Hure zu gehen. Aber das bedeutete letztlich nichts. (mehr …)

Kurzes #70 – Evamarias Gummiregenmantel

Die vielleicht dreihundert Meter lange Gasse mit dem ausgetretenen Pflaster, die sich mit geringer Steigung die kleine Anhöhe hinaufzog, auf der die kleine Stadt erbaut worden war, genoß bereits im Mittelalter einen zweifelhaften Ruf, der ihr bis heute anhaftet, ohne daß selbst alteingesessene Bewohner sagen konnten, worauf dieser sich begründete. Sie hatte sich seitdem nur insofern verändert, als daß alte Häuser neuen gewichen – die jedoch längst wieder alt waren – die Gasse befestigt und an die öffentliche Kanalisation angeschlossen worden war. Das Sonnenlicht drang lediglich am späten Nachmittag und auch nur im Sommer für zwei bis drei Stunden bis auf das Pflaster hinunter. Es gab zwei Werkstätten, die mehr schlecht als recht gingen. Wer hier wohnte, tat es nicht freiwillig, sondern weil es ihn hierher verschlagen hatte und er es nicht mehr schaffte, fortzuziehen.

Ungefähr in der Mitte, relativ nah am Scheitelpunkt des Bogens, in dem die Gasse verlief, lag ein kleines Hotel, strenggenommen eine Absteige, sauber zwar, doch alles andere als heimelig, da es schon vermeintlich bessere Zeiten gesehen zu haben schien. Wer hier ein Zimmer wollte, der nahm es nicht, um zu übernachten, denn Reisende verirrten sich nur höchst selten in diesen Teil der kleinen Stadt, sondern mietete es stundenweise.

Eine Handvoll Prostituierte ging in der Gasse unbehelligt von Zuhältern ihrem Gewerbe nach; das einzige in dieser Gasse ausgeübte Gewerbe, das sich für die, die es betrieben, einigermaßen bezahlt machte. Lediglich die lokale Verwaltung besaß ein wachsames Auge auf die Gunstgewerblerinnen, was sich jedoch in der Sorge erschöpfte, ob sie die regelmäßigen amtlichen Untersuchungen durchführen ließen und ihre Steuern und übrigen Abgaben ordnungsgemäß entrichteten.

Die Frauen warteten diskret auf Kunden. Jede besaß ihren festen Platz, den die anderen respektierten. Sie waren nicht übertrieben geschminkt, von durchschnittlicher Attraktivität und durchaus adrett zu nennen. Ihre Röcke waren nicht unbedingt kürzer als die herrschende Mode und auch die Oberteile nicht sonderlich tief ausgeschnitten. Sie unterschieden sich im großen und ganzen in keiner Weise von ›anständigen‹ Bürgersfrauen. (mehr …)

Kurzes #69 – Das kleine Schuhgeschäft

»Bis morgen.« Robert schloß die Tür hinter Lore und Cornelia, seinen beiden Verkäuferinnen. Er warf einen kurzen Blick auf die Uhr. Noch eine viertel Stunde, dann würde er das kleine Schuhgeschäft schließen, das auf Damenschuhe spezialisiert war und das er bereits in der dritten Generation führte.

Es war ein lauer Frühlingsabend mitten in der Woche. Im Grunde viel zu schade, um ihn mit den lästigen täglichen Büroarbeiten zu verbringen. Gut eine Stunde würde er noch damit zubringen müssen, bevor er ebenfalls nach Hause gehen konnte. Hoffentlich kam jetzt keine Kundin mehr. Aber vor der Zeit wollte er auch nicht schließen, selbst wenn es sich nur um fünf Minuten handelte. Jetzt waren es noch zehn.

Er spielte nervös mit den Schüsseln in der rechten Hosentasche. Er betrachtete die im großen Schaufenster ausgestellten Schuhe, die überwiegend mittelhohe bis beinahe turmhohe Absätze besaßen und ausnahmslos aus feinem Leder waren.

Hochwertige und dennoch erschwingliche Schuhe waren seit jeher das Motto des Geschäfts gewesen. Wohlhabend war er dadurch nicht geworden. Trotz allem würde er es gegen nichts anderes eintauschen wollen, ein nicht unbeträchtlicher Teil seiner Kundinnen besaß schöne Beine, und schöne Frauenbeine gefielen ihm nun einmal sehr. Somit konnte er seiner Vorliebe ungestört frönen, ohne daß sich irgend jemand etwas dabei dachte.

Lore und Cornelia ahnten zwar, daß er sie nicht nur auf Grund ihrer guten Zeugnisse eingestellt hatte, sondern deren schöne langen Beine den eigentlich Ausschlag gegeben hatten. Aber da er ein umgänglicher Chef war und zudem ein attraktiver, wenn auch etwas zurückhaltender vierziger, waren sie überzeugt, daß sie es kaum besser hätten treffen können, zumal sie Schuhe und echte Nylons – ihre persönliche Leidenschaft, die er in seinem Geschäft in großer Auswahl führte – zum Selbstkostenpreis erstehen konnten. (mehr …)

Kurzes #68 – Lediglich aus Liebe?

»Ich bin auch davon überzeugt, daß die meisten Frauen das mehr ihrem Partner zuliebe machen als wirklich aus eigener Neigung«, sagte Britta in einem Tonfall, der keinen Raum für Zweifel ließ. Wie um das zu unterstreichen, schob sie sich ein dickes Stück Schwarzwälderkirsch in den Mund und zeigte dabei demonstrativ die gepflegten Zähne als wollte sie zusätzlich zum Stück Kuchen auch noch jedem Gegenargument den Garaus machen.

Lisa fragte sich, über was sie sich mehr wundern sollte, über Brittas unumstößliche Überzeugungen oder darüber, daß sie trotz ihres reichhaltigen Konsums an Süßem kein Gramm zunahm. Im Büro knabberte sie den ganzen Tag irgendeinen Schokoriegel oder vergleichbares. Sie war zwar keine zarte Elfe, eher reichlich üppig, doch waren bei ihr alle Rundungen an den richtigen Stellen. Sie wußte das und unterstrich das narzißtisch mit körperbetont geschnittener Kleidung. Während manch schlankere in einem engen Kleid leicht wie die Wurst in der Pelle wirkte, war Brittas Erscheinung weit davon entfernt. Ihre Dekolletés überließen nur sehr wenig der Phantasie. Lisa hatte in den mittlerweile fünf Jahren, in denen sie sich ein Büro teilten, nicht herausfinden können, ob das Blond ihrer seidigen Haare echt war. Sie wußte nicht, warum sie sich geärgert hatte, als Harmut euphorisch meinte, daß Britta verdammt tolle Beine hat. Sie fand ihre ja auch nicht schlecht und er ließ keine Gelegenheit aus, ihr deswegen Komplimente zu machen. Sie hatte sich bereits mehr als einmal gefragt, warum sie in Britta eine Rivalin sah, wofür es keinen Grund gab: hübsch, groß, schlank, mit langem dichten Haar, dessen Schwarz echt war. Außerdem traute ihr Lisa nicht genug Hinterhältigkeit zu, um einer anderen den Mann abspenstig zu machen, und – was Lisa allein schon beruhigen mußte – gehörte er just zu jenen Männern, über Britta gerade ihre ›Weisheiten‹ ausbreitete, die sie in irgendeiner obskuren Kolumne irgendeiner der zahlreichen Frauenzeitschriften beim Friseur oder auf dem Weg zur Arbeit in der Bahn gelesen hatte. Britta verschlang genüßlich diese Presseerzeugnisse. Besonders jene, in denen über Männer auf eine Art und Weise hergezogen wurde, daß einem Mann, käme er auch nur im Ansatz auf den Gedanken, sich vergleichbar über Frauen zu äußeren, Frauenfeindlichkeit vorgeworfen würde – und das zu Recht. Ob die Autorinnen diese Artikel aus persönlicher Abrechnung oder weil sich mit dergleichen vorzüglich Kasse machen ließ, verfaßten, war nur selten eindeutig nachzuvollziehen. Weiter brachte es die Gesellschaft in keinem Fall. Niemand leugnete, daß es unzählige Arschlöcher unter den Männern gab, Lisa war selbst oft genug einem von diesen Exemplaren begegnet, am besten ignorierte frau die, dann starben die mit der Zeit von allein aus – hoffte sie jedenfalls. (mehr …)