Kategorie-Archiv »Werkstatt«

Kurzes #37 – Quälende Hoffnung

Die letzten Strahlen der Juniabendsonne bahnten sich mühsam einen Weg durch den schmalen Spalt des dichten, leicht staubigen Vorhangs. Das Fenster war ein wenig geöffnet, damit die frische Luft Zugang in dieses spärlich möblierte Zimmer, dessen Tapeten schon lange ihre ursprüngliche Farbe eingebüßt hatten und stumpf und fleckig geworden waren, fand. Die Einrichtung bestand lediglich aus einem schmalen Bett mit leicht durchgelegener Matratze, einer niedrigen Kommode, deren Oberfläche längst ihren Glanz eingebüßt hatte, einem altersschwachen Schrank, dessen knarrende Türen im ganzen Haus zu vernehmen waren; ein kleiner runder Eßtisch mit drei wackligen Stühlen vervollständigte die Einrichtung. Es war das Zimmer eines einsamen alten Menschen, der sich mit einer kargen Rente kaum über den Monat bringen konnte, obwohl er ein ganzes Leben hart gearbeitet hatte, der ein düsteres Leben ohne rechte Freuden führen mußte. Keiner konnte es lange in diesem Zimmer aushalten, das zu einem alten, windschiefen Haus, in einem verwilderten Garten gehörte. Es war eine Umgebung, die einen bedrückte, schwermütig werden und an schnelle Flucht denken ließ. Und dennoch gab es etwas in diesem Zimmer, das wie ein Fremdkörper wirkte, wie der Glanz vergangener Tage: An den Wänden stapelten sich unzählige Bücher. Bücher, die alle dem Bewohner gehörten. Teils edle, schöne Ausgaben, die das Herz eines jeden Bibliophilen vor Erregung höher schlagen ließen, doch auch die übrigen konnten sich sehen lassen. Hier war ein Querschnitt der Literaturgeschichte versammelt, wie man ihn selten findet. Alle großen Dichter und Denker waren mit mindestens einem Werk vertreten. Es war eine kleine und feine Bibliothek, der man sich einen angemesseneren Ort zur Aufbewahrung gewünscht hätte. Alle diese Bücher waren von ihrem Besitzer gelesen worden, viele mehrmals und wurden noch immer liebevoll gepflegt und gehegt. Jedes Buch besaß ein kunstvoll gestaltetes Exlibris. Es gab sogar einen handschriftlich verfaßten Katalog.

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Kurzes #36 – Eine Vernissage

Der folgende Text ist Ausszug aus »Ein neues Zimmer« aus dem Erzählband »Felizia & Felix«

Als Gero sich auf den Weg zu Wolfs Vernissage in einer kleinen ein wenig vom Zentrum entfernt gelegenen Galerie machte, dachte er bereits nicht mehr an Marlies. Im Prinzip ging er nur aus der damals noch relativ frischen Freundschaft zu Wolf dorthin. Vernissagen langweilten Gero in der Regel. Sie besaßen für ihn immer etwas Verpflichtendes, war ihm der Künstler persönlich bekannt. Ansonsten waren ihm zu viele Leute anwesend, die aus allen möglichen Gründen dorthin gingen, jedoch nur selten der Kunst allein wegen. (mehr …)

Kurzes #35 – Sommerlicher Spaziergang

Als sollte der lange kalte Winter so bald als möglich in diesem Jahr ausgeglichen waren, war der Juni bereits zu Anfang von beinahe subtropischen Temperaturen geprägt. Aber nicht nur das Wetter hielt in diesem Jahr Ungewohntes bereit. Auch für Till hatte es eine – angenehme – Überraschung parat.

Sonja war etwas mehr als mittelgroß, mit einem wunderbar femininem Körper, dichtem, langem schwarzen Haar, das sie meist zu einem Zopf geflochten trug. Ihr fröhliches Wesen, ihr Humor und die Lebensfreude, die sie ausstrahlte, hatten ihn sogleich gefangen genommen. Ihre Spontanität stand fast schon im Gegensatz zu seiner Bedächtigkeit in manchen Dingen. Es war ihrer Spontanität geschuldet, die ihn noch immer nicht so recht glauben ließ, daß sie mit ihm zusammen war. Dabei litt er in keiner Weise an Selbstunterschätzung.

Es war bereits der vierte ausgesprochen warme Tag infolge. Sonja und Till machten einen Spaziergang hinunter zum kleinen Fluß.

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Kurzes #34 – Begegnung auf dem Friedhof

Der folgende Text ist ein kurzer Auszug des Roman »Adalberts Erbe«. Zur Zeit noch in Bearbeitung.

Die Schatten waren beträchtlich länger und durchsichtiger geworden. Malte mußte wohl etwas eingenickt sein. Ihm fiel ein, daß er auf jeden Fall noch zum Friedhof gehen wollte, dem Grab seines Patenonkels einen Besuch abstatten. Eilig räumte er das Geschirr in die Küche. Tisch und Stühle ließ er stehen, wo sie waren. Er holte die etwas ungelenk angefertigte Skizze, die ihm der alte Notar von der Lage des Grabes gegeben hatte, aus einer mitgebrachten Mappe mit diversen Schriftstücken das Erbe betreffend. Vermutlich hätte er das Grab nach einigem Suchen auch ohne diese Skizze gefunden, allzu groß war der alte Friedhof ja nicht, wenn auch in die Länge gezogen. (mehr …)

Kurzes #33 – Frühling

Er war noch nicht vollständig aufgewacht, da wußte er bereits, daß dieser Tag etwas Besonderes besaß. Ein leises Glücksgefühl durchströmte ihn, als habe sich etwas ereignet, das er schon lange herbeigesehnt hatte. Voll Elan sprang er aus dem Bett und zog die Vorhänge zurück. Morgendliches Sonnenlicht flutete ins Zimmer. Er mußte kurz die Augen schließen, denn die Helligkeit schmerzte seine noch ans Halbdunkel gewöhnten Augen. Dann riß er förmlich das Fenster auf. Milde Wärme strömte ins Zimmer, begleitet vom Gesang der Vögel und einem leicht süßlich herben Aroma. – Der Frühling war endlich da!

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Kurzes #32 – Nächtliche Schritte

Der folgende Text ist ein kurzer Auszug des Roman »Adalberts Erbe«. Zur Zeit noch in Bearbeitung.

Während der Nacht schlief Malte unruhig. Er hatte die Tür zu seinem Zimmer geschlossen als fürchtete er, die Leere im Haus könnte in der Nacht auch sein Zimmer besetzen.
Zuvor hatte er lange wach gelegen, versucht sich mit einem Buch abzulenken. Das Fenster hatte er leicht geöffnet gelassen. Von den verwilderten Sträuchern, die vor dem Haus wuchsen, stieg süßlich herber Duft ins Zimmer. Das Zirpen der Grillen war in der Stille gut zu vernehmen – ein Geräusch, das er in der Stadt vermißte. Das Laub der beiden Buchen rauschte leise im seichten Nachtwind.
Es war ihm gelungen zwei Seiten an einem Stück in seinem Buch zu lesen – er hatte sich jenen Band mit orientalischen Märchen aus der Bibliothek geholt – als ihn näherkommende Schritte aufhorchen ließen. Normalerweise gewöhnliche Geräusche wie das Vorbeifahren eines Autos oder Schritte auf dem Pflaster waren zu nächtlicher Stunde in dieser Seitenstraße derart selten, daß sie sofort aufhorchen ließen. (mehr …)

Kurzes #31 – Begegnung im Mondschein

Der folgende Text ist eine Leseprobe aus dem Buch »Die Villa nebenan«

Zu Beginn der neuen Woche zeigte sich der Frühling von einer weniger schönen Seite, nämlich einer feuchten. Zudem wurde es kühler. Nur wenige Grade, doch war es nicht angebracht, ohne Jacke das Haus zu verlassen. Die Schöne Künstlerin hatte die Atelierfenster jetzt die meiste Zeit geschlossen. Und auch Schlaf- und Badezimmerfenster öffnete sie nur noch zum Lüften. Da die geschlossenen Fenster ihm lediglich einen eng begrenzten, schemenhaften Einblick ermöglichten, widmete er sich wieder verstärkt seiner Geschichte.
Doch wollte die Handlung nicht so recht weiterfließen. Nicht selten brütete er mehr als eine Stunde über einem einzigen Satz, den er dann anschließend wieder verwarf. Es lag nicht allein daran, daß sich die Handlung allzu schnell entwickelte und dadurch ins Oberflächliche abzugleiten Gefahr lief, sondern er fühlte eine gewisse Einsamkeit in sich. Vielleicht hatte Vivians starke Persönlichkeit mal wieder einen zu nachhaltigen Eindruck bei ihm hinterlassen. Es wollte ihm auch nicht recht gelingen, seiner Protagonistin eine unverwechselbare Identität einzuhauchen. Dabei hatte ihm zu Anfang ihre Person plastisch vor Augen gestanden. Doch beim Durchlesen der ersten Seiten stellte er fest, daß sie deutliche Züge seiner Nachbarin hatte und seit Vivians Besuch sich immer mehr zu deren Zwillingsschwester entwickelte. Beim jungen Mann dagegen war alles klar, gab es keine Unsicherheiten, aber bei ihr– (mehr …)

Kurzes #30 – Felix spricht sich aus

Der folgende Text ist eine Leseprobe aus »Felizia & Felix«

Auch wenn Felizia einen anderen Eindruck haben mochte, Felix schlief kaum besser als sie. Als er Freitagvormittag an seinem Schreibtisch im Institut beinahe eingenickt wäre und bei einer späteren Besprechung überhaupt nichts mitbekommen hatte, erkannte er, daß er mit jemanden reden mußte. Felix mußte, die Gedanken und Befürchtungen, die ihn quälten, laut artikulieren. Vielleicht erschloß sich ihm auf diese Weise eine Lösung.
Sofort dachte er an seinen alten Schulfreund Wolfgang. Schon zur gemeinsamen Schulzeit stand Wolfgang in dem Ruf, ein geduldiger Zuhörer zu sein und für sein Alter erstaunlich reife Ratschläge geben zu können. Daß das von den Mitschülern mitunter weidlich strapaziert worden war, hatte nicht nur Felix erfolgreich verdrängt. Wolfgang war wohl derjenige von ihnen, der über den Liebeskummer seiner Mitschüler am besten informiert gewesen war, da nicht allein die Jungen sondern auch viele der Mädchen sich bei ihm nicht nur im übertragenen Sinn ausweinten. Daß er das nicht ausnutzte, brachte ihm zeitweise fast den Ruf des Übermenschlichen ein. Aus der Distanz betrachtet war wenig Übermenschliches daran. Wolfgang wußte einfach, daß er lediglich der vorübergehende Lebenströster gewesen wäre, und um die zweite Wahl zu sein war er sich einfach zu schade. (mehr …)