Kategorie-Archiv »Literarisches«

Kurzes #67 – Nur ein Tagtraum?

Die Fortsetzung von Die »Gouvernante«

 

»Lars, du sollst sofort zur Schmitz-Grewe ins Büro kommen«, riß Holger ihn unsanft aus seinen Gedanken.

Holgers Mimik verriet nichts Gutes. Und Lars schrak zusammen. Schließlich bedeutete es nur selten etwas Gutes, ins Büro der Schmitz-Grewe zitiert zu werden.

Mit heftig klopfendem Herzen und weichen Knien ging er zum Büro der Schmitz-Grewe, das am entgegengesetzten Ende des Flurs lag.

Er hatte den Eindruck, daß die Kollegen in diesem Moment nur darum so intensiv mit ihrer Arbeit zugange waren, damit sie nicht in den Verdacht gerieten, mit ihm auf irgendeine Weise zu sympathisieren und zum anderen froh darüber zu sein schienen, daß der Kelch diesmal an ihnen vorübergegangen war. Doch machte er ihnen das nicht zum Vorwurf, er hätte sich an ihrer Stelle ähnlich verhalten.

Vor dem Büro der Schmitz-Grewe blieb er einen Augenblick stehen. Er fühlte sich wie ein Schüler, der sich einen Rüffel vom Direktor wegen einer Verfehlung abholen mußte, die offenbar so niederträchtig sein mußte, daß er sogar mit einem Verweis zu rechnen hatte, obwohl er nicht die leiseste Ahnung besaß, was ihm eigentlich zum Vorwurf gemacht wurde.

Zaghaft klopfte er an die Tür, als könne er jemanden mit dieser Geste besänftigen. Ein scharfes »Herein« ertönte von innen und sein Herz rutschte wieder ein Stück näher nach der Hosentasche.

Mit zitternden Fingern und feuchten Handflächen drückte er die Klinke nieder, öffnete fahrig die Tür und trat ein. (mehr …)

Kurzes #66 – Die »Gouvernante«

Für Lars war sie in erster Linie ›die Gouvernante‹. Tatsächlich hieß sie Lisbeth Schmitz-Grewe, war Mitte vierzig, geschieden und arbeitete seit etwas mehr als einem Jahr in der gleichen Abteilung.

Ihren Spitznamen hatte sie von Lars auf Grund ihres Auftretens und ihrer Art sich zu kleiden bekommen. Sommers wie winters trug sie über die Knie reichende hell- oder dunkelbraune schlichte Röcke zu meist hellen hochgeschlossenen langärmligen Blusen, ihre Strümpfe – wahrscheinlich eher Strumpfhosen als Strümpfe, wie Lars sich sogleich verbesserte, denn er konnte sich nicht vorstellen, daß eine Frau wie Lisbeth Schmitz-Grewe etwas anderes als langweilige spießige Strumpfhosen aus dem Discounter tragen könnte, obwohl weder ihre Röcke noch ihre Blusen oder ihre Schuhe auf irgendeine Weise billig wirkten – waren ausnahmslos hautfarben und von mittlerer Stärke, wobei Lars sich über blickdichte auch nicht gewundert hätte. Ebenso erschien es ihm als Tatsache, daß sie schlichte unerotische weiße Unterwäsche trug. Ihre Schuhe mit in der Regel halbhohen Absätzen – an kühleren Tagen trug sie zumeist Stiefel – verrieten dagegen eine schlichte Eleganz.

Sie schien eine Vorliebe für enganliegende schwarze, braune, graue oder beige überwiegend mittellange Handschuhe aus feinem Leder zu haben, die sich wie eine zweite Haut um ihre Hände schmiegte. Lars konnte sich nur an wenige, wirklich warme Tage erinnern, an denen er sie ohne Handschuhe gesehen hatte. Was in ihm die Vermutung hatte entstehen lassen, ob sie nicht einen ausgeprägten Fetisch für Lederhandschuhe besaß. Ganz so abwegig war der Gedanke nicht, hatte er doch mehrmals beobachten können, wie sie ihre Handschuhe auf eine besondere, fast schon zärtlich selbstverliebte Weise überstreifte, wobei ihn jedes Mal ein leichter wohliger Schauer durchlief und er glaubte, für einen Augenblick ein verklärtes Lächeln über ihre ansonsten beherrschte Mimik laufen zu sehen. Im Gegenzug schien sie stets einen Seufzer des Bedauerns unterdrücken zu müssen, sobald sie diese auszog. (mehr …)

Zitat des Tages #105

Berliner in Italien

Die ganze Welt ist voll von Berlinern. Deutschland, Deutschland überall in der Welt. Ich sah sie auf der Promenade in Nervi sich gegenseitig bedienern, und sie waren als Statisten beim Empfang des italienischen Königs in Mailand aufgestellt. (mehr …)

Zitat des Tages #104

Die Gewissenhaften – Seinem Gewissen folgen ist bequemer als seinem Verstande: denn es hat bei jedem Mißerfolg eine Entschuldigung und Aufheiterung in sich. Darum giebt es immer noch so viele Gewissenhafte gegen so wenig Verständige.

Friedrich Nietzsche (15.10.1844–25.08.1900)