Zitat des Tages #122
von
Armin A. Alexander

Bedächtig
Ich ging zur Bahn. Der Abendzug
      Kam erst um halber zehn.
      Wer zeitig geht, der handelt klug,
      Er kann gemütlich gehn.
Der Frühling war so warm und mild,
      Ich ging wie neubelebt,
      Zumal ein wertes Frauenbild
      Mir vor der Seele schwebt.
Daß ich sie heut noch sehen soll,
      Daß sie gewiß noch wach,
      Davon ist mir das Herz so voll,
      Ich steh’ und denke nach.
Ein Häslein, das vorüberstiebt,
      Ermahnt’ ich: »Laß dir Zeit!
      Ein guter Mensch, der glücklich liebt,
      Tut keinem was zuleid.«
Von ferne aus dem Wiesenteich
      Erklang der Frösche Chor,
      Und überm Walde stieg zugleich
      Der goldne Mond empor.
»Da bist du ja, ich grüße dich,
      Du traulicher Kumpan.
      Bedächtig wandelst du wie ich
      Dahin auf deiner Bahn.«
Dies lenkte meinen Denkersinn
      Auf den Geschäftsverlauf;
      Ich überschlug mir den Gewinn.
      Das hielt mich etwas auf.
Doch horch, da ist die Nachtigall,
      Sie flötet wunderschön.
      Ich flöte selbst mit sanftem Schall
      Und bleib ein wenig stehn.
Und flötend kam ich zur Station,
      Wie das bei mir Gebrauch.
      O weh, was ist das für ein Ton?
      Der Zug, der flötet auch.
Dort saust er hin. Ich stand versteint.
      Dann sah ich nach der Uhr
      Wie jeder, der zu spät erscheint.
      So will es die Natur.
Wilhelm Busch (15.4.1832–9.1.1908)
		
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