Kurzes #75 – Marlies

von
Armin A. Alexander

Fortsetzung von »Zwölf erotische Aquarelle«.

 

Seit drei Tagen lag in seinem Briefkasten weder ein Umschlag mit einem neuen Aquarell noch ein Brief, der Aufklärung hätte bringen können. Was ihn langsam aber sicher unruhig werden ließ, schließlich war er überzeugt, daß die anonymen Aquarelle erst der Anfang war. Er bemühte sich um Geduld und versuchte sich in etlichen Erklärungen, die diese Unterbrechung verursacht haben könnten, unabhängig vom Grad der Wahrscheinlichkeit, was ihn folglich in keiner Weise beruhigte, da ihm im Gegenzug mindestens ebenso viele Argumente einfielen, weshalb die Übersendung des letzten Aquarells zugleich das letzte sein könnte, was er von der ihm unbekannten Künstlerin hörte. Er war sich selbst gegenüber ehrlich genug zuzugeben, das alles reine Spekulation war, außer den Aquarellen hatte er ja nichts, auf das er sich stützen konnte.

So verbrachte er den dritten Tag ohne Nachricht bis zum frühen Nachmittag.

Als es an seiner Tür klingelte, schrak er heftig zusammen, hatte für einen kurzen Moment den Eindruck, ihm würde das Herz stehen bleiben. Mit rasendem Herzen und zitternden Fingern öffnete er die Tür.

»Ach, du bist es«, entfuhr es ihm zugleich erleichtert und enttäuscht.

Er konnte nicht sagen, mit wem oder was er gerechnet hatte. Er war derart vertieft in seine Szenarien gewesen, daß er die reale Außenwelt aus seiner Wahrnehmung weitgehend verbannt hatte.

»Danke für die nette Begrüßung«, meinte Marlies leicht pikiert. »Wenn das so ist, kann ich ja wieder gehen.«

Sie machte tatsächlich Anstalten, auf dem Absatz kehrt zu machen. Was er durch eine spontane herzliche Umarmung verhinderte, die im absoluten Gegensatz zu seiner ersten Reaktion auf ihr Erscheinen stand, und zog sie förmlich in die Wohnung, was sie erst recht mißtrauisch werden ließ.

Sie löste sich aus seiner Umarmung, als sie zu lang für eine rein freundschaftliche Geste wurde und ging ins Wohnzimmer, wo sie ihre große Umhängetasche neben die Couch stellte und sich auf diese mit übereinander geschlagenen Beinen setzte.

»Ich dachte, ich besuche dich mal wieder, nachdem du so lange nichts von dir hast hören lassen.« Der Vorwurf in ihrer Stimme war unüberhörbar.

Er setzte sich leicht verkrampft ihr gegenüber auf die Lehne des Sessels.

So gerne er sich am Anblick ihrer schönen langen muskulösen Beinen weidete, diesmal fehlte ihm einfach der Sinn dafür. Er achtete wenig auf ihren neuen dunkelbraunen, knielangen engen Rock, die dünnen schwarzen Strümpfe – sie war eine der wenigen Frauen, die er kannte, die ausschließlich Strümpfe trug –, ihre hochhackigen, ebenfalls neuen Schuhe. Er besaß ein Faible für Strümpfe und hochhackige Schuhe und sie zeigte gerne ihre Beine. Sie nahm ihn deshalb gerne mit, wenn sie Strümpfe und Schuhe kaufte. Sie veranstaltete stets eine kleine Modenschau, was ihnen beiden große Freude bereitete, weshalb die Verkäuferinnen sie stets für ein glückliches Liebespaar hielten. Darum entging ihr auch seine derzeitige Ignoranz, wenn man es denn so nennen will, nicht, zumal ihr ohnehin nur wenig verborgen blieb, was ihn betraf.

Sie strich sich eine Strähne ihres schulterlangen, dichten schwarzen Haares aus der Stirn und musterte ihn nachdenklich.

Bisher hatte er noch keinem die Aquarelle gezeigt, sie waren ihm zu persönlich. Bei Marlies jedoch machte er eine Ausnahme. Nicht nur weil er ihr Urteil in Kunstdingen schätzte, sie war für ihn mehr als eine gute Freundin, oft ein ›Beichtvater‹. Eine Position, die sie einander gegenüber wechselseitig einnahmen.

Er führte ich sie in sein Arbeitszimmer, zeigte ihr die Blätter und erzählte ihr, wie er an sie gekommen war.

»Geil«, rief sie beim Anblick der in zwei Reihen an den Magnetleisten hängenden Aquarelle aus.

Sie betrachtete sie aufmerksam, während er hinter ihr stand und mit gemischten Gefühlen auf ihr Urteil wartete. Er fühlte sich wie jemand, der zum ersten Mal seine Werke, in die er viel Arbeit gesteckt hat, einem fachlich versierten Publikum zeigt und selbst nicht so recht weiß, wo er sein Werk einordnen kann.

Sie ließ sich mit dem Anschauen Zeit, was seine innere Unruhe nicht gerade minderte.

Wäre er ausgeglichener gewesen, so wäre ihn nicht entgangen, daß sie die Blätter nicht nur mit den Augen der Kulturwissenschaftlerin betrachtete, sondern vor allem mit denen der Voyeurin, der Genießerin von erotischen Darstellungen. Er dachte nicht einen Augenblick daran, daß die dargestellte Schöne haargenau dem Typ entsprach, den sie selbst bevorzugte.

»He, die sind wirklich gut«, war sie vorbehaltlos begeistert und sah ihn mit glänzenden Augen an. »Die Künstlerin versteht etwas von ihrer Arbeit.«

»Wieso kommst du darauf, daß sie von einer Frau sind?« fragte er fast ein wenig erstaunt, obwohl er selbst keinen Moment an dieser Tatsache zweifelte.

»Weil nur eine Frau diese spezielle Sicht hat, auch wenn das vielleicht etwas altfeministisch klingen mag. Unzweifelhaft steht die dargestellte Schöne, die natürlich auf allen Blättern dieselbe Person ist, im Mittelpunkt. Für mich sieht es eindeutig nach Selbstportrait aus. Nach einem narzißtischen sogar. Sie ist in sich selbst, in ihren Körper, in die Lust, die schönen Gefühle, die er ihr verschafft, verliebt. Das sieht man gut an der Haltung auf dem ersten Blatt, wie sie sich eincremt auf dem zweiten, wie sie sich anzieht, wie sie sich selbst liebt, wie sie diesen Mann liebt, der eindeutig Beiwerk ist. Was sich ja daran zeigt, daß er nur grob skizziert ist. Wenn sie in ihm auch kein reines Objekt, keinen lebenden Dildo sieht, wenn du so willst. Man könnte allerdings auf den Gedanken kommen, daß sie dich darstellt«, fügte sie mit einem schelmischen Augenzwinkern hinzu.

»Zu dem Schluß bin ich auch schon gekommen.«

»Was? Daß er du bist?« verstand sie ihn absichtlich miß.

»Das meine ich damit nicht«, sagte er ungewollt streng und verzog etwas säuerlich die Miene.

Er war nicht in der Stimmung für ihre kleinen Neckereien.

»Warum fragst du mich dann?« entgegnete sie etwas kühl und warf den Kopf leicht zurück.

Trotz aller Abgeklärtheit, die sie gerne zur Schau trug, war sie empfindsam und bekam sehr schnell etwas in den falschen Hals. Wenigstens hielten diese gelegentlichen Verstimmungen nie mehr als einige Augenblicke an.

»Weil ich deine unabhängige fachliche Meinung hören wollte. Und weil ich dein Urteil schätze, nicht nur in Kunstfragen«, sagte er eine Spur zu versöhnlich.

Er stritt sich ungern mit ihr und schon gar nicht über Kleinigkeiten.

»Schleimer«, meinte sie mit einem breiten Grinsen und einem koketten Augenaufschlag, der ihre Aussage relativierte.

»Sie sind eindeutig nach der Natur gearbeitet«, nahm sie den Faden ihrer Argumentation wieder auf. »Sie beherrscht die Technik des Aquarells wie nur wenige. Man glaubt einen alten Meister vor sich zu haben.«

»Denkst du an einen bestimmten?« fragte er etwas verwundert, denn an eine solche Parallele hatte er nicht einen Augenblick gedacht.

»Nein, an niemand Bestimmtes. Es ist die Perfektion, die mich darauf bringt. Sie sind eindeutig nicht für eine Öffentlichkeit gedacht, sondern nur für eine bestimmte Person. Diese Blätter sollen nur zwei Personen sehen; die, die sie gemacht hat und die, für die sie bestimmt sind. Zumindest die eine ist mir bestens bekannt: DU!« Sie bohrte ihm dabei spielerisch den Finger in die Brust.

»Das ist mir klar«, entgegnete er und hielt ihre Hand fest, denn es tat durchaus weh.

Sie tat als verstehe sie ihn nicht:

»Wenn dir das alles klar ist, warum zeigst du mir die Blätter dann?«

»Weil ich, wie schon gesagt, dein fachliches Urteil hören wollte«, sagte er ein wenig ungehalten, womit sie sich aber nicht zufrieden gab.

»Wenn es dir darum geht, hättest du auch Francesca oder Marietta fragen können.«

»Marietta auf keinen Fall, das weißt du genau«, war seine Reaktion ungewollt heftig.

»Weil sie scharf auf dich ist?«

»Weil sie nervig ist, launisch bis zum Exzeß und weil ich sie so wenig als möglich sehen will.«

»Für eine Zeitlang hatte ich den Eindruck, daß was zwischen euch wäre.«

»Hattest nicht nur du. Aber wenn du Marietta näher kennenlernst, besser gesagt, so gut wie ich sie kennengelernt habe, dann möchtest du sie nur noch von weitem sehen.«

»Gut, sie ist etwas eigen, das gebe ich zu«, meinte sie beschwichtigend, obwohl sie seine heftige Ablehnung immer noch nicht nachvollziehen konnte. Vielleicht würde er ihr ein anderes Mal seinen ›Leidensweg‹ mit Marietta ›beichten‹. »Obschon sie eine dieser schönen drallen Frauen ist, deren erotische Ausstrahlung körperlich spürbar ist und deren Gegenwart einen heiß durchläuft, da sie keinen Zweifel daran lassen, daß sie bei der Liebe gerade das Außergewöhnliche zu genießen verstehen und es auch einfordern. So richtig warm bin ich nie mit ihr geworden, dabei reizt sie mich schon – aber lassen wir das. Genaugenommen haben wir nie mehr als einige Worte miteinander gewechselt, und auch nur, wenn es unumgänglich war. – Ihr habt wirklich noch nie miteinander gevögelt?«

»Schön, daß du stets an die höheren Dinge im Leben denkst.«

Kaum hatte er es gesagt, tat es ihn auch bereits leid, denn physisch war er Marietta gegenüber in keiner Weise abgeneigt. Versöhnlich fuhr er fort:

»Wir waren zweimal dicht davor, unsere Beziehung zu vertiefen. Aber jedesmal bekam sie Panik und verhielt sich alles andere als – fair – sagen wir es mal so. Gut, ich war zuvor wohl allzu zögerlich und sie vielleicht allzu ungeduldig gewesen. Sobald bei ihr etwas auf Anhieb nicht so läuft, wie sie es sich vorstellt, läßt sie ihrer Enttäuschung freien Lauf, bisweilen ziemlich barsch. Bei einer anderen Gelegenheit, da stand übrigens schon fest, daß es nichts zwischen uns werden würde, habe ich sie sogar angeschnauzt und das ziemlich heftig. Später war es mir peinlich. Immerhin war es in ihrer Wohnung und die Nachbarn haben mich sicherlich gehört. Nein, ich bin froh, gezögert zu haben. So erotisch reizvoll sie in ihrer Üppigkeit auch sein mag, das Verhalten, das sie mitunter an den Tag legt, kühlt die Leidenschaft für sie stärker ab, als es ein Kübel Eiswasser, den man über sich schüttet, es je könnte.«

»Und ich dachte immer, gerade die Frauen mit ausgeprägter Persönlichkeit würden dich besonders reizen«, meinte sie spöttisch, aber sie schien ihn zu verstehen. »Vielleicht sucht sie auch nur jemanden, der ihr mal zeigt wo es lang geht. Wundern würde mich das nicht, bei ihrer provokativen Art. Es gibt Frauen, die wünschen sich eine starke männliche Hand, die bei Bedarf auch schon einmal ausrutschen darf und es auch sollte. – Tja, Frauen, man kann nicht mit ihnen, aber man kann auch nicht ohne sie leben«, fügte sie übertrieben resigniert hinzu.

Er sagte nichts dazu.

»Und warum nicht Francesca?« insistierte sie weiter.

»Weil ich mit Francesca nicht so gut befreundet bin wie mit dir und darum nicht glaube, derart private Dinge mit ihr besprechen zu können.«

»Dein Vertrauen ehrt mich«, war sie mit dieser Antwort ebensowenig zufrieden. »Bisher dachte ich, zwischen dir und Francesca wäre etwas.«

»Wie kommst du jetzt darauf?« er war ein wenig genervt, weil sie ihm offenbar unterstellte, daß er mit jeder Frau, deren Gesellschaft ihm angenehm war, etwas haben müßte.

»Zum einen stehst du doch auf schöne üppige atemberaubende Südeuropäerinnen, bei so einem Busen und solchen Beinen, und an feuriger Leidenschaft steht sie selbst Marietta in nichts nach, da müßten deine Hormone eigentlich Purzelbäume schlagen vor Begeisterung – aber gut – und zum anderen baggerst du immer ziemlich heftig an ihr herum, wenn ihr euch begegnet. Zudem scheint sie dich auch nicht gerade als Heimsuchung zu empfinden. Überhaupt scheinen gerade die außergewöhnlichen Frauen dich zu umschwirren, wie die Motten das Licht.«

»Danke für die Blumen«, meinte er trocken.

Nicht daß es ihm unangenehm gewesen wäre. Aber trotz aller Sympathie, die zwischen Francesca und ihm zweifelsohne vorhanden war, Francesca konnte sich für seine Photographie absolut nicht begeistern und das war, vor allem in seinen Augen, ein unüberwindbarer Gegensatz. Marlies war, wie Marietta letztlich auch, eine eifrige Bewunderin seiner Arbeit und nicht zuletzt auch Förderin, darum würde sie es sicherlich schwer nachvollziehen können. Zudem fürchtete er, daß sie, sobald sie es wußte, mit Francesca eine Diskussion anfangen könnte, in der sie fachliche mit persönlichen Dingen vermischte. Er kannte Marlies einfach zu gut, um leichtfertig ein solches Risiko einzugehen. Weshalb er ihr nicht darauf antwortete. Doch anscheinend erwartete sie auch keine.

»Ich frage mich gerade«, meinte sie nachdenklich, »ob das nicht Francesca sein könnte. Die Figur könnte hinkommen.«

»Francescas Haare sind deutlich kürzer und lockiger. Außerdem ist sie kleiner«, gab er zu bedenken.

»Das sind keine Photos«, warf sie ein.

»Das wohl nicht. Doch sind wir nicht übereingekommen, daß es sich um realistische Darstellungen handelt?«

»Ich glaube auch nicht ernstlich, daß die Aquarelle Francesca darstellen und von ihr sind. Sie passen nicht wirklich zu ihr. Dafür ist sie irgendwo zu nüchtern.«

»Das sagt nicht unbedingt was«, sah er sich aus einem unerfindlichen Grund genötigt, Francesca in Schutz zu nehmen. »Wenn es um Erotik geht, dann steckt in den meisten von uns ein Mr. Hyde – in diesem Fall wohl eher eine Mrs. Hyde.«

»›Es wohnen zwei Seelen, ach, in meiner Brust‹«, deklamierte Marlies übertrieben pathetisch. »Schon möglich. Wenn Stevensons Romanfigur auch eher für das Düstere im Menschen und nicht für die sinnliche Leidenschaft, fürs Genießen, für die Lust steht.«

»Zu seiner Zeit gehörte die sexuelle Leidenschaft aber zu den düsteren Seiten im Menschen«, korrigierte er sie ein wenig schulmeisterlich. »Und bei nicht wenigen auch heute noch.«

Sie ging nonchalant darüber hinweg, vielleicht hatte sie auch gar nicht darauf geachtet.

»Wie dem auch sei. Ich glaube auch nicht, daß sie von Francesca sind. Meine Einwand des Nüchternen bezog sich in keiner Weise auf ihre Erotik, niemand, der sie ein wenig kennt, würde so etwas zu behaupten wagen. Zudem bezweifle ich, daß sie so gut aquarellieren kann. Sie mag eine brillante Wissenschaftlerin sein, aber sicherlich keine begnadete Künstlerin. Zumindest habe ich bisher noch nicht gehört, daß sie über derartige Talente verfügt.«

Da konnte ich ihr nicht widersprechen. Wenn sie so gut aquarellieren könnte, hätte es sich sicherlich längst herumgesprochen. Diese Möglichkeit schied auf jeden Fall aus.

»Und du hast wirklich keine Ahnung, wem du sie aus stilistischen Gründen zuordnen könntest?« fragte er sie hilflos.

»Nicht die geringste. Und dir fällt auch keine Kollegin ein, von der die Arbeiten sein könnten?«

»Von denen die ich mehr oder weniger gut kenne, sicherlich nicht, kaum vom Stil und schon gar nicht vom Äußeren her. Die einzige mit langen Haaren ist blond und zierlicher, außerdem würde sie ihre erotischen Avancen an meine Adresse anders formulieren, wenn sie es denn täte.«

»Und warum würde sie es nicht tun«, fragte Marlies unverschämt neugierig.

»Wie gut, daß du nicht neugierig bist«, meinte er ironisch.

»Finde ich auch«, sagte sie entwaffnend.

Er unterdrückte einen Seufzer und sagte, da sie andernfalls keine Ruhe geben würde: »Weil sie glücklich verheiratet ist und eine Tochter hat.«

»Vielleicht ein Grund, aber sicherlich kein Hindernis.«

Er ging nicht weiter darauf ein. Er konnte sich nämlich des Gefühls nicht erwehren, daß sie ihn in bestimmten Dingen nicht sonderlich Ernst nahm. Schließlich wußte sie, daß er niemals mehr eine Beziehung mit einer verheirateten Frau eingehen würde, das eine Mal vor einigen Jahren, zu dem er sich hatte hinreißen lassen, genügte ihm. Man war und blieb immer das fünfte Rad am Wagen, so leidenschaftlich die Beteuerung der Gegenseite auch ausfielen.

»Stilistisch ist nicht unbedingt ein Beweis. Sie muß nicht für die Öffentlichkeit so arbeiten«, kam sie wieder zum eigentlichen Thema zurück.

»Das haben wir bereits mehrmals festgestellt«, sagte er leicht ungeduldig, denn es schien nicht, als kämen sie gemeinsam weiter, als er allein in der vergangenen Woche. »Dennoch meine ich, daß zumindest einige Ähnlichkeiten mit ihrem bisherigen Werk bestehen sollten.«

»Denk an Picasso, der hat auch mehrmals seinen Stil gewechselt«, warf sie nicht sehr ernsthaft ein.

»Ja, ich weiß, bei jeder neuen Frau«, entgegnete er auch nicht unbedingt ernsthaft.

»Wenn man diese Motivation als einzigen Anlaß, den Stil zu wechseln, zu Grunde legt, wird die Anzahl deiner Stile sehr überschaubar bleiben«, meinte sie süffisant.

»Was soll das jetzt heißen?«

Wenn sie schon eine solche Anspielung machte, sollte sie auch eine plausible Begründung dafür parat haben. Es machte ihm durchaus Spaß sich mit ihr zu necken, aber im Augenblick stand ihm nicht unbedingt der Sinn danach. Zumal hinter manch ihrer Neckerei eine gar nicht so neckende Einstellung stand.

»Gib zu, daß dein Liebesleben derzeit alles andere als aufregend ist. Gut, du lebst nicht gerade wie ein Asket. Aber du nutzt bei weitem nicht deine Möglichkeiten, was bei einem Mann, der derart gerne Sex hat und im Ruf als einfühlsamer Liebhaber steht, der gerade dem Ungewöhnlichen viel abgewinnen kann, was für eine Frau allein schon ein Argument für einen Mann darstellt. Und mit Möglichkeiten meine ich jetzt nicht nur Francesca und Marietta. Vielleicht ist Marietta auch nur so enervierend, weil du dich offenkundig weigerst, sie flach zu legen. Im Gegensatz zu euch Männern hat man uns Frauen nicht beigebracht, einen gegebenen Korb sang- und klanglos als unvermeidliches Schicksal zu akzeptieren. Wenn wir einen Mann flachlegen wollen, dann erwarten wir, daß das auch mit sich machen läßt.«

Er verdrehte leicht enerviert die Augen. Auf dem Thema ritt sie gerne herum. Es gab Momente, da war sie für seinen Geschmack etwas zu sehr um sein persönliches Wohlergehen besorgt, zumal ihm ihr Hinweis auf seine Fähigkeiten als Liebhaber, unangenehm war, erinnerte sie ihn doch damit an eine ebenso kurze wie äußerst intime Episode in ihrer Freundschaft, während der sie unbedingt herausfinden wollte, ob Männer sie sexuell tatsächlich kalt lassen. Er hatte sich von ihr überreden lassen, das ›Experiment‹ zu wagen. Das Ergebnis dieses rund eineinhalb Wochen andauernden Versuches, während dessen sie kaum aus dem Schlafzimmer herausgekommen waren, war eindeutig das Gegenteil von Kaltlassen gewesen. Es gab zwischen ihnen die stumme Absprach, über diese Zeit unmittelbar niemals zu sprechen. Mit zunehmenden zeitlichen Abstand festigte sich in ihm immer mehr die Überzeugung, daß das ›Experiment‹ nur vorgeschoben war. Unbewußt muß ihm das von Anfang an klar gewesen sein, gerade darum hatte er wohl so bereitwillig diesen Vorwand akzeptiert und ihr diesen ›Freundschaftsdienst‹ geleistet.

»Du kennst meine Einstellung«, erwiderte er kühl, ihr damit zeigend, daß er nun wirklich nicht in der Stimmung war, darüber erneut einen fruchtlosen Disput zu führen.

»Ich wollte es nur mal gesagt haben«, verteidigte sie sich mit einem Achselzucken, das unverkennbar einem ›Wenn du nicht willst, dann sieh doch zu, wie du zurechtkommst‹ entsprach.

Er mußte in eine Frau verliebt sein, ehe er auch eine sexuelle Beziehung zu ihr aufbauen konnte, und das war eben nicht oft der Fall. Dabei unterschlug er geflissentlich, daß er auch schon einmal mit einer Frau vögelte, in der er nicht verliebt war, nur weil er es nicht übers Herz brachte, ihrem charmanten Werben um eine kurze Affäre, eine Absage zu erteilen und er sich sicher sein konnte, daß nie mehr als eine solchen zwischen ihnen sein würde.

»Wie lange bekommst du die Aquarelle schon«, akzeptierte sie nun seinen Wunsch, nicht weiter darüber zu sprechen.

»Seit etwas mehr als einer Woche.«

»Und es war niemals eine Nachricht dabei?« es fiel ihr sichtlich schwer, das zu glauben.

»Nicht eine Zeile.«

Sein Tonfall sagte ihr, daß er es selbst nicht so recht glauben konnte.

»Das sieht wahrhaftig nach einer geheimnisvollen Verehrerin aus«, meinte sie mit einem tiefen sehnsüchtigen Seufzer. »Warum bekomme ich keine solch schönen Bilder von einer Verehrerin.«

»Vielleicht hast du die falschen Verehrerinnen«, meinte er unverschämt grinsend, als Retourkutsche auf vieles und doch nichts Konkretes, und letztlich auch ein wenig von Stolz erfüllt, daß eine Frau seinetwegen einen derartigen Aufwand trieb.

»Blödmann«, sagte sie darauf nur und hieb ihm die Faust spielerisch aber dennoch schmerzhaft in die Seite. – Wie gut, daß Frauen nicht gewalttätig sind, dachte er bei sich unter einem leichten schmerzhaften Aufstöhnen.

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