Kurzes #64 – Die Belohnung

von
Armin A. Alexander

Die Fortsetzung von »bloß gestellt«, »Ein »blinde date« im Wortsinn« und »Der unbekannte nächtliche Anrufer«

 

»Auch diese Prüfung hast du bestanden«, sagte sie voll Zufriedenheit und hörbarem Stolz über das Erreichte. Ja, sie konnte Stolz auf sich sein, er konnte sich nicht erinnern, jemals soweit einer Frau entgegengekommen zu sein und wollte nichts sehnlicher, als ihr noch weiter zu folgen. Für ihn war es seit langem das schönste Lob, das er erhalten hatte. Er wuchs um mindestens drei Zentimeter.

»Weil ich unerwartet für einige Tage verreisen muß, muß ich das geplante nächste Treffen verschieben«, ein unangenehmer schmerzhafter Stich durchfuhr ihn, sollte er sie für länger nicht sehen? Konnte SIE ihm das zumuten? »Heute in genau einer Woche findest du dich wieder am bekannten Ort ein. Du bringst das Tuch mit. Du setzt dich wieder nackt auf den Stuhl. Das Tuch legst du auf den Tisch ab. Ich werde es wieder benötigen. Und damit du etwas hast, auf das du dich freuen kannst; dich erwartet eine kleine Belohnung für deine Folgsamkeit.«

Diese Woche wurde für in die längste, an die er sich erinnern konnte. War es nur die Aussicht auf eine ›Belohnung‹ oder weil er es generell nicht erwarten konnte, SIE wiederzusehen? Aber war das eine nicht untrennbar mit dem anderen verknüpft? Seine Gedanken waren fast immer bei IHR.

Es war zum Ritual geworden, daß er den zeitlichen Ablauf des ersten Treffens fast minutiös wiederholte; auf der Bank sitzen, obwohl es ein trüber, regnerischer Tag war; dieses unbestimmte Gefühl, beobachtet zu werden, das sich immer zu unterschiedlichen Zeiten einstellte, mal saß er kaum auf der Bank, ein anderes Mal war er kurz davor seine Runde zu machen. Demnach konnte es nicht wirklich Einbildung sein. Seine Runde durch den Park machen; das Hotel betreten; den Schlüssel in Empfang nehmen; die Treppe hinaufgehen. Vor dem Aufschließen den Gang zu beiden Seiten hinunterschauen, zögernd eintreten; den Schlüssel von innen ins Schloß stecken. Beim Anblick des verdunkelten Zimmers ersetzte ein Gefühl von Vertrautheit seine Nervosität.

Durch das trübe Wetter bedingt, war es dämmriger im Zimmer. Aber es war ihm so vertraut, daß er überzeugt war, sich auch im Dunkeln zurechtzufinden. Er holte das schwarze, sorgfältig zusammengefaltete Tusch aus der Jackentasche, legte es liebevoll auf den Tisch, dann stellte er den Stuhl an seine angestammte Postion und zog sich aus. Ordentlich hängte er seine Sache über einen der beiden anderen Stühle. Mehr aus Gewohnheit warf er dabei einen Blick zur Verbindungstür unter der der gewohnte helle Lichtschein hereindrang.

Er setzte sich auf den Stuhl.

Diesmal schien sie ihn länger warten zu lassen, oder kam es ihm in Erwartung der versprochenen ›Belohnung‹ nur so vor, von der er keine Vorstellung hatte, wie sie ausfallen könnte? Er lauschte ebenso angespannt auf die ihn umgebenden Geräusche wie beim ersten Mal. Erneut wurde irgendwo eine Toilettenspülung betätigt, vernahm er leise Schrittgeräusche von irgend über ihm, waren durch den Läufer im Gang gedämpfte Schritte zu vernehmen, die ohne einen Augenblick des Zögerns an seinem Zimmer vorbeigingen.

Je länger er unbeweglich und erwartungsvoll auf seinem Stuhl saß, wurde er ungeduldiger. Sollte sie am Ende nicht hier sein? Sollte er womöglich ganz umsonst warten? Ein beklemmend kaltes Gefühl der Angst durchströmte ihn und ließ ihn eine Gänsehaut empfinden, obschon es warm im Zimmer war. Immerhin war das Zimmer reserviert, andernfalls hätte der Portier ihm sicherlich nicht den Schlüssel wie selbstverständlich ausgehändigt. Und doch konnte er die Befürchtung nicht verdrängen, ja, die Angst – schließlich gab es keine schlüssige Begründung, daß sie nicht kommen würde –, begann ihn zu beherrschen. Da kratzte in seine Gedanken hinein das Schloß der Verbindungstür. Er hielt den Atem an, glaubte zuerst, sich verhört zu haben. Aber ihr Parfum umwehte bereits seine Nüstern. Erleichterung machte sich in ihm breit. Sie hatte ihn absichtlich warten lassen.

Die Verbindungstür wurde wieder geschlossen. Langsam aber mit sicheren Schritten näherte sie sich ihm. Er hörte zum ersten Mal wie sie mit den Absätzen entschlossen auftrat. Sie blieb hinter ihm stehen. Er spürte ihre Wärme, ihre Nähe, ihren Duft. Freude durchströmte ihn. Sie blieb einige Minuten hinter ihm stehen. Er war versucht, etwas zu sagen, doch er unterließ es. Sie hatte es ihm schließlich nicht erlaubt.

Es war derart still im Zimmer, daß er das kaum wahrnehmbare Rascheln des Tuchs hörte, als sie es Tuch vom Tisch nahm. Kurz darauf band sie es ihm vor die Augen.

Er hatte den Eindruck, daß sie heute weitaus entschlossener vorging. Wahrscheinlich beherrschte ihn auch der Wunschgedanke, doch konnte er sich des Gefühls nicht erwehren, daß sie zum ersten Mal in ihm ihr persönliches Eigentum sah.

Kaum hatte sie sich vom richtigen Sitz der Binde überzeugt, ergriff sie seine Hand und forderte ihn auf, aufzustehen.

Ihre Hand fühlte sich angenehm warm und trocken an. Sie war schlank, hatte einen kräftigen, entschlossenen Griff. Er drückte sie zärtlich, sie erwiderte seinen Druck. Er lächelte innerlich.

Sie führte ihn zum Bett und forderte ihn sanft aber bestimmt auf, sich rücklings darauf zu legen. Er tat es ein wenig unsicher, schließlich sah er nichts. Als er annahm, einigermaßen mittig darauf zu liegen, entspannte er sich. Er hörte, wie eine Schublade aufgezogen wurde, es leise klirrte.

Sie kniete sich neben ihn aufs Bett. Sie berührte ihn. Er fühlte weiches körperwarmes Leder. Ob sie eine Vorliebe für enge Lederhosen hatte? Sie riß ihn aus diesen Überlegungen, denn er spürte, wie ihm eine breite weiche lederne Manschette ums rechte Handgelenk befestigt wurde. Sie beugte sich über ihn und legte ihm auch um das andere Gelenk eine. Dann bog sie ihm die Arme sanft und zugleich kraftvoll über den Kopf und band ihn mit kurzen Seilen, die sie an den Manschetten befestigte, ans Kopfende. Daß es Seile waren, vermutete er anhand der leisen, raschelnden Geräusche. Das gleiche machte sie mit seinen Beinen.

Sie bewegte seine Glieder mit derart viel Kraft, daß sie ihm physisch ebenbürtig, wenn nicht gar ein wenig überlegen war.

Nicht einen Moment kam er auf den Gedanken zu protestieren. Es war für ihn vollkommen selbstverständlich sich von ihr ans Bett fesseln zu lassen. An sich war das für ihn nicht wirklich neu, aber es war bisher nie durch eine im Grunde Fremde und mit verbundenen Augen geschehen. Und doch vertraute er gerade ihr bedingungslos.

Er hörte, wie sie einen Schritt zurücktat, hörte ihren leicht beschleunigten Atem, konnte sich gut vorstellen, wie sie neben dem Bett stand und ihr Werk betrachtete. Er hätte zu gerne gewußt, was sie jetzt dachte. Vor allem aber, was sie machen würde.

Er vernahm ihren entschlossenen Schritt, wie sie langsam um das Bett herum ging, um ihn von allen Seiten zu betrachten. Dann blieb sie stehen. Er lauschte auf ihren Atem, der ein wenig schneller ging und das keinesfalls vor Anstrengung.

Er vernahm das Geräusch eines sich öffnenden Reißverschlusses beinahe unnatürlich laut, sie mußte auf Höhe seines Kopfes rechts neben dem Bett stehen. Er erwartete das typische leise Rascheln von Stoff, wenn sich jemand entkleidet. Doch es erfolgte kein weiteres Geräusch, das auf ein Entkleiden ihrerseits hinwies. Statt dessen nur ihren deutlich heftiger, auf Erregung schließenden Atem.

Ihr linkes Knie drückte die Matratze auf Höhe seiner Hüften ein. Mit einer fließenden Bewegung stieg sie über ihn. Er spürte wie sie auf Höhe seiner Oberschenkel kniete, spürte das weiche, warme Leder ihrer Hose an seinen Flanken. Er fragte sich, welchen Reißverschluß er gehört hatte, denn sie war offenkundig immer noch angekleidet. Er spürte die Sohlen ihrer Stiefel dicht an seinen Waden. Er konnte sich des Gefühls nicht erwehren, daß sie Overknee-Stiefel trug.

Die Vorstellung, daß sie zu ihrer Lederhose, die ihren schönen wohlgeformten Frauenkörper, wie eine zweite Haut umschmiegte, Overknees trug, beschleunigte seinen Atem, dafür war er zu sehr Fetischist.

Sie beugte sich vor und stützte sich mit den Armen auf Höhe seiner Brust ab, so daß sie auf allen vieren über ihm kniete. Er spürte ihren warmen wohl riechenden Atem im Gesicht. Sie schien ihre Haare hochgesteckt oder zu einem Zopf geflochten zu haben, oder etwas Vergleichbares, andernfalls hätte er ihre Haare im Gesicht spüren müssen, von denen er durch ihre letzte Begegnung schließlich wußte, daß sie lang waren.

Er konnte nicht sagen, wie lange sie in dieser Position verharrt war. Er empfand sie keineswegs als unangenehm, doch stieg sie seine Erwartung stetig an. Als sich innerlich schon ein wenig ungeduldig zu fragen begann, wann sie etwas anderes tun würde, als ihn nur zu betrachten, spürte er, wie sie sich aufwärts bewegte und im nächsten spürte ihr ihren Schoß über seinem Gesicht und erfuhr endlich, welchen Reißverschluß er gehört hatte – ihre Lederhose besaß einen durch den Schritt führenden. Das wundervolle Aroma ihrer Möse strömte in seine Nase. Reflexartig berührte er sie mit der Zunge, sie schmeckte auch wundervoll und war naß. Ein lustvolles Schnurren kam über ihre Lippen unter den Liebkosungen seiner Zunge. Doch gönnte sie ihm nicht lange das Vergnügen, sie zu riechen und schmecken und zu liebkosen. Sie entzog sich ihm ein wenig abrupt und setzte sich auf seine Oberschenkel.

Nun streichelte sie ihn mal sanft, mal kraftvoll, mal grub sie ihm die Nägel in die Haut, zwickte ihn, biß ihn leicht, lediglich die Genitalien ließ sie aus. Was auch nicht nötig war, seine Erektion war so schon mehr als intensiv.

Für ihn unerwartet und doch erwünscht, führte sie ihn sich ein. Es war für ihn ein unglaubliches schönes Gefühl, endlich in IHR zu sein. Ihre nun folgenden Bewegungen waren gleichmäßig. Er hörte ihre Atemzüge sich nicht wesentlich beschleunigen. Das irritierte ihn. Gehörte sie am Ende zu den Frauen, die ihre Lust nur leise äußern? Er konnte es sich irgendwie nicht vorstellen. Er dachte aber nicht weiter darüber nach, denn seine Erregung lenkt ihn ab. Er spürte, wie er sich immer mehr einem Orgasmus näherte. Der sich dann auch mit großer Intensität einstellte.

Dieser war kaum verklungen, da stieg sie auch schon von ihm. So plötzlich von ihrem Gewicht befreit, kam er sich ziemlich verlassen vor. Was würde sie jetzt machen? Was hatte sie überhaupt weiter mit ihm vor?

Er hörte, wie sie den Reißverschluß ihrer Lederhose wieder schloß. Er wurde nervös. Was kam jetzt? Ging sie am Ende, ohne ihn loszubinden? Panik befiel ihn. In der er aber nicht lange bleiben mußte. Sie löste ihm die Armfesseln. Er blieb ruhig liegen, wartete darauf, daß sie ihm auch die Fußfesseln löste. Doch nichts dergleichen geschah. Ihre festen Schritte gingen nicht ums Bett herum, sondern entfernten sich.

Als er das vertraute Kratzen der sich schließenden Verbindungstür hörte, wußte er, daß sie ihn allein gelassen hatte, daß ihre Begegnung für heute beendet war.

Reichlich verwirrt richtete er sich auf, nahm zuerst die Augenbinde ab. Er mußte kurz blinzeln. Das Zimmer kam ihm heller vor als es war. Er nahm die Fußfesseln ab. Die Armfesseln lagen auf dem Tisch. Ein Zettel daneben:

»Lege die Fessel in die Nachttischschublade. Das Tuch nimm wieder mit nach Hause.«

Sie hatte eine entschlossene, schöne Schrift gerade und ohne Schnörkel. Er drehte den Zettel unschlüssig in der Hand, während er sich im Raum umsah.

Unter der Verbindungstür drang wieder helle Streifen ins Zimmer. Ihn fröstelte ein wenig und es lag nicht daran, daß er nackt und es im Raum womöglich kühler geworden war. Es war eher zu warm. Ihn beschlich zum ersten Mal der Verdacht, daß sie für ihn eine Art ›Zeitvertreib‹ war. Warum war sie sonst einfach so gegangen, nachdem sie ihm einen Orgasmus verschafft hatte? Daß sie dabei nicht zum Zuge gekommen war, stand für ihn außer Zweifel. Die Anzahl seiner Verflossenen war im Verhältnis zu anderen seines Alters und Bekanntenkreises zwar eher bescheiden, aber er wußte nur zu gut, daß eine Frau, die selbst Lust dabei empfindet, sich anders verhielt.

Über diese Gedanken merkte er gar nicht, wie er die Fesseln in die Schublade verstaute. Erst als er das Hemd zuknöpfte, wurde ihm bewußt, daß er bereit zum Gehen war.

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