Kurzes #62 – Ein »blinde date« im Wortsinn

von
Armin A. Alexander

Der folgende Text ist die Fortsetzung von »Der unbekannte nächtliche Anrufer«

 

Weil Simon an den beiden darauffolgenden Abenden keinen weiteren Anruf von der Unbekannten erhielt, festigte es in ihm die Überzeugung, daß es ein einmaliges Gespräch gewesen war. Doch am nächsten Abend läutete das Telefon Punkt Mitternacht, so wie beim ersten Mal. Er schrak heftig zusammen. Schon vor dem Abheben war ihm klar, daß SIE es war.

»Ja?« meldete er mit leicht unsicherer Stimme.

»Hast du meinen Anruf erwartet«, es war eine Feststellung und keine Frage. Es war der gleiche ruhige, scheinbar aus leichter Entfernung kommende Tonfall wie beim ersten Mal.

»Ja«, antwortete er ohne nachzudenken, was ihm erst bewußt machte, daß er nie an ihrem erneuten Anruf gezweifelt hatte.

»Was anderes hätte mich auch gewundert«, fuhr sie ohne eine Spur von Selbstgefälligkeit fort.

»Du – Du hast eine wundervolle Stimme«, platzte er heraus.

Das Kompliment geschah aus einem inneren Zwang heraus. Er mußte ihr einfach sagen, wie nachhaltig ihn ihre Stimme beeindruckt hatte.

Ein warmes, herzliches, ja beinahe zärtliches Lachen folgte als Antwort.

»Ich weiß«, erwiderte sie mit dem Selbstverständnis eines Menschen, der sich seiner Vorzüge bewußt ist und sie zielgerecht einzusetzen weiß. »Aber dennoch danke ich dir für das Kompliment. Aber deine Stimme klingt auch angenehm.«

Er fühlte, wie er errötete. Dabei war sie nicht die erste Frau, die ihm das gesagt hatte.

»Du brauchst nicht verlegen zu werden«, sagte die Unbekannte freundlich, was ihn erst recht verlegen werden ließ, denn sie schien die Fähigkeit zu haben, seine Reaktionen selbst aus seinem Schweigen zu erkennen.

Er wußte so gut wie nichts von ihr, aber sie schien in ihm bereits lesen zu können wie in einem offenen Buch.

Erneut redeten sie genau eine Stunde, ohne daß er wieder den genauen Inhalt hätte rekapitulieren können und erneut befiel ihn die eigenartige Stimmung vom ersten Mal. Doch diesmal war sie am folgenden Morgen nicht gänzlich verschwunden.

Er begann auf ihren nächtlichen Anruf bewußt zu warten. Er konnte es nicht vermeiden, sobald Mitternacht sich näherte, angespannt dazusitzen und einen erwartungsvollen Blick auf das Telefon zu werfen. Als Mitternacht nur wenige Minuten vorüber war und das Telefon nicht geklingelt hatte, wußte er, daß sie heute nicht mehr anrufen würde. Eigentlich hätte er enttäuscht sein müssen, doch er war derart überzeugt davon, daß sie wieder anrufen würde, daß er, obwohl leicht angespannt, ruhig zu Bett gehen konnte.

Diesmal pausierte die geheimnisvolle Anruferin nur einen Tag. Das Telefon läutete wie gewohnt pünktlich um Mitternacht.

»Ich habe deinen Anruf erwartet«, sah er keinen Grund etwas zu verheimlichen, das ihr sicherlich bewußt war. Seine Stimme klang beinahe fest, fast schon erfreut, obwohl er noch immer recht zu wissen schien warum.

»Das weiß ich«, erwiderte sie im Brustton der Überzeugung und er glaubte zu spüren, wie ein leises Lächeln ihre Mundwinkel umspielte.

Auch dieses Gespräch dauerte exakt eine Stunde, als hätte seine Unbekannte eine Stoppuhr vor sich stehen. Und nie wußte er anschließend konkret, über was sie gesprochen hatten, dennoch oder vielleicht gerade deswegen wurde sie ihm immer vertrauter, obwohl er eigentlich gar nichts Konkretes über sie wußte, nicht einmal ihren Namen geschweige ihre Nummer. Er richtete sich bereits darauf ein, daß ihre Bekanntschaft auf diese mitternächtlichen Telefonate beschränkt blieb, bis sie ihm eines Tages Ort und Termin eines Treffens nannte. Ohne zu überlegen, ob er da überhaupt Zeit hatte, sagte er zu. Später wurde ihm bewußt, daß er zu der Zeit einen mehr oder weniger wichtigen Termin hatte. Ohne sich weiter Gedanken darüber zu machen, verlegte er ihn ohne einen Grund zu nennen, was er noch nie gemacht hatte. Die Gewißheit, daß seine geheimnisvolle Anruferin nie wieder etwas von sich hören lassen würde, versäumte er das Treffen, ließ ihn so handeln. Wie nicht anders erwartet, rief sie nicht mehr an.

Die folgenden fünf Tage verbrachte er mit wachsender innerer Unruhe. Ihm war die Metapher ›wie auf glühenden Kohlen sitzen‹ noch nie so treffend erschienen.

Nun saß er also auf dieser Bank. Sah er auf, konnte er die obere Etage des Hotels zwischen den Bäumen hindurch erkennen.

Seit einigen Minuten wurde er das Gefühl nicht los, beobachtet zu werden. Suchend blickte er sich um. Nein, die zierliche blonde Mittzwanzigerin, die bedächtig einen Kinderwagen vor sich herschob und nur Augen für ihren Nachwuchs zu haben schien, kam nun wirklich nicht als seine nächtliche Anruferin in Frage. Darüber hinaus konnte er noch einen älteren Mann entdecken, der gemächlich, die Hände auf dem Rücken, die gepflegten Kieswege entlang schlenderte und seine Aufmerksamkeit den Pflanzungen widmete.

Er sah sich weiter um.

Zwei an einer Wegkreuzung stehende rauchende und schwatzende Halbwüchsige kamen noch weniger in Frage. Abgesehen davon schienen sie sich ohnehin nur für sich selbst zu interessieren. Nein, niemand zu sehen, der auch nur ansatzweise mit seiner geheimnisvollen Anruferin identisch sein könnte. Dennoch wurde er das Gefühl nicht los, beobachtet zu werden.

Er schaute zum Hotel hinüber. Die oberen Fenster waren relativ gut von seinem Platz aus zu sehen, nur abschnittsweise vom einen oder anderen Laubwerk verdeckt. Möglich, daß sie ihn von dort mit einem Fernglas beobachtete. Obwohl nicht allzu weit entfernt, war es doch zu weit, um mit bloßem Auge etwas zu erkennen. Aber konnte man überhaupt aus dieser Entfernung spüren, wurde man beobachtet?

Wahrscheinlich spielten ihm seine Gefühle ohnedies einen Streich und er bildete sich das nur ein. Ganz gleich, was es war, eines war sicher; er hatte nicht die leiseste Vorstellung, was ihn innerhalb der nächsten Stunden erwartete.

Er sah auf die Uhr. Die Zeit war langsamer verstrichen als er geglaubt hatte. Er atmete tief durch. Ihm fehlte die innere Ruhe, sitzend abzuwarten, bis es Zeit war, ins Hotel hinüberzugehen. Er beschloß, eine Runde durch den Park zu drehen.

Langsam stand er auf, schob die Hände in die Hosentaschen, damit keiner sah, daß sie vor Anspannung leicht zitterten. Etwas fahrig waren die ersten Schritte. Der Kies schien ihm unnatürlich laut unter den Sohlen zu knirschen.

Noch eine Runde zu drehen war eine gute Entscheidung gewesen; das Gehen entspannte etwas. Er kreuzte den Weg der zierlichen Blonden mit dem Kinderwagen. Sie redete leise mit fast kindlich klingender Stimme mit ihrem kleinen Mädchen. Er schmunzelte zufrieden, weil er sich in ihr nicht getäuscht hatte. Auch bei seinem Rundgang fiel ihm niemand auf, der auch nur im entferntesten als seine nächtliche Anruferin in Frage kam.

Pünktlich zur verabredeten Zeit stand er am Ausgang des Parks direkt gegenüber dem Hotel, getrennt durch eine schmale Straße.

Es war ein eher unauffälliges Gebäude aus der Gründerzeit. Wäre nicht das kleine Schild Hotel über dem Eingang, hätte es sich auch um ein beliebiges Mehrfamilienhaus handeln können.

Er gab sich einen Ruck und überquerte die Straße.

Die Hotelhalle war nicht groß, erinnerte nicht einmal entfernt an die Bahnhofshallenatmosphäre großer Häuser. Hinter der Theke stand ein distinguierter Mann mittleren Alters, der sofort aufsah. Simon verlangte mit einem leichten Kratzen in der Stimme den Zimmerschlüssel, der ihm mit geschäftsmäßiger Höflichkeit übergeben wurde und ging zur im hinteren Bereich gelegenen Treppe. Die dunkellasierten Holzstufen waren mit einem dicken Kokosläufer belegt, der jeden Schritt bis zur Lautloskeit dämpfte.

Das Zimmer lag im zweiten Stock, von seiner Bank im Park hatte er nur den oberen, dritten sehen können. Dicke Kokosläufer dämpften auch auf den Gängen jeden Schritt. Die Wände waren bis auf halber Höhe mit dunklem Holz getäfelt. Darüber waren sie in einem mittleren Beige gestrichen. Messingleuchten erhellten die Gänge mit einem warmen gelblichen Licht.

Er fand das Zimmer sofort, das in der Mitte des Ganges lag. Wenn ihn seine Orientierung nicht trog, sah es nach hinten hinaus.

Bevor er die Zimmertür aufschloß, sah er zu beiden Seiten des Gangs hinunter. Niemand war zu sehen, zu hören war eigentlich auch nichts. Was würde ihn wohl hinter dieser Tür erwarten?

Er atmete tief durch und drehte den Schlüssel im Schloß.

Dämmerlicht umfing ihn. Die dicken Vorhänge waren zugezogen. Zuerst sah er wenig. Er trat dennoch ein, da es ihm albern schien, unschlüssig in der offenen Tür zu stehen. Was mochte jemand von ihm denken, der jetzt zufällig vorbeigekommen wäre?

Er trat ein, schloß die Tür leise hinter sich und steckte eher mechanisch den Schlüssel von innen ins Schloß.

Die Augen gewöhnten sich schnell ans Dämmerlicht und nun war es gar nicht mehr so dunkel im Zimmer. Im Gegenteil, es herrschte ein angenehmes Dämmerlicht, gerade richtig, um einen Nachmittag in angenehmer Entspannung zu verbringen. Auf dem Boden lagen gleichfalls dicke alles dämpfende Teppiche. Ein breites bequemes sauber bezogenes Bett, ein geräumiger Schrank, ein Tisch mit drei Stühlen und ein bequemer Sessel in der linken Ecke neben dem Fenster bildeten die Einrichtung. Es roch angenehm, leicht nach Lavendel. Neben dem Schrank war eine Tür, die ins angrenzende Zimmer führte. Helles Licht fiel durch den schmalen Spalt unter der Tür. Er ging zu der Tür und drückte vorsichtig mit leicht klopfendem Herzen die Klinke hinunter. Doch wie nicht anders zu erwarten, war sie verschlossen.

Er widerstand der Versuch, die Vorhänge aufzuziehen, oder zumindest einen Blick hinter sie zu werfen, um zu sehen, wie es draußen aussah.

Er sah sich unschlüssig um, obwohl ihre Anweisungen nichts an Deutlichkeit zu wünschen übrig ließen.

Der schmale Lichtstreifen unter der Tür zum Nachbarzimmer zog seine Aufmerksamkeit auf sich. Für den Moment glaubte er einen sich dahinter bewegenden leichten Schatten zu erkennen. Aber kein Geräusch drang herüber. Er starrte einige Minuten auf den Lichtstreifen, bis bunte Flecken vor seinen Augen tanzten, aber kein Schatten bewegte sich. Er zuckte mit den Achseln, seine Phantasie hatte ihm wohl einen Streich gespielt. Er stellte einen der Stühle wie angewiesen etwa einen Schritt vom Fenster entfernt, so daß er die Verbindungstür im Rücken hatte. Er setzte sich aufrecht darauf, die Hände im Schoß gefaltet. Wie ein braver Schüler während des Unterrichtes sitzen sollte, durchfuhr es ihn unwillkürlich. Er mußte darüber schmunzeln und dieser heitere Gedanke entspannte für einige Augenblicke.

Er saß abwartend da, einen imaginären Punkt auf dem schweren dunklen Vorhang fixierend. Er lauschte angestrengt auf jedes noch so kleine Geräusch. Seine eigenen Atmenzüge waren die einzigen Geräusche unmittelbar im Zimmer.

Irgendwo im Haus wurde die Toilettenspülung betätigt. Kurz darauf rauschte Wasser durch die Leitung. Einige Augenblicke Stille. Leise Schritte näherten sich, kaum wahrnehmbar. Trotzdem konnte er hören, daß es kraftvolle entschlossene Schritte waren. Sie konnten die eines Mannes sein, aber auch einer Frau, eindeutig ließ sich das vorerst nicht unterscheiden. Nein, das waren zweifellos männliche Schritte, die da ohne auch nur einen Augenblick zu zögern, an seinem Zimmer vorbeigingen. Kurz darauf fiel weiter hinten im Gang eine Tür ins Schloß.

Er atmete tief durch. Eigentlich unwahrscheinlich, daß seine geheimnisvolle Anruferin nicht schon lange vor seinem Eintreffen im Zimmer nebenan auf ihn wartete.

Die Minuten flossen zäh dahin. Jede Sekunde erschien wie eine kleine Ewigkeit. Draußen quietschte leise eine Tür. Über ihm Schritte, eindeutig das Klacken hoher Absätze, von irgendwoher ein leises, lustvolles Stöhnen und das kaum wahrnehmbare rhythmische Quietschen eines Bettes.

Er hob den Blick zur Decke. In der rechten Ecke über dem Fenster auf Höhe des Waschbeckens war ein kaum sichtbarer Feuchtigkeitsfleck und leichte Staubfäden.

Wie lange mochte er schon hier sitzen? Er hatte jegliches Zeitgefühl verloren. Es konnte erst eine viertel Stunde oder schon der halbe Nachmittag verstrichen sein. Einfach in die Hosentaschen greifen und die Taschenuhr hervorzuholen, wagte er nicht. Die Anweisung lautete schließlich unmißverständlich; ganz gleich was passiert, dazusitzen und sich nicht bewegen.

Von irgendwo her vernahm er leises Husten. Sein Gehör war bereits so geschärft, daß er mittlerweile wirklich die sprichwörtlichen Flöhe hätte husten oder das Gras wachsen hören können, auch Geräusche, die es nur in seiner Vorstellung gab.

Ein leiser durch das geschlossene Fenster dringender Vogelruf erinnerte ihn daran, daß es noch eine Welt außerhalb dieses Hotelzimmers gab, wenn ihm diese auch unglaublich weit weg erschien.

Stille. Seine Atemzüge kamen ihm längst unnatürlich laut vor.

Dann wurde für ihn absolut unerwartet der Schlüssel im Schloß der Verbindungstür gedreht. Ganz behutsam, damit er nicht mehr Laut als nötig erzeugte.

Er hielt den Atem an und erwartete, daß jetzt Licht hereinflutete. Doch nichts dergleichen geschah. Es mußten drüben ebenfalls die dicken Vorhänge zugezogen worden sein.

Er fühlte einen Luftzug nahen. Und richtig, wenige Augenblicke nachdem die Tür geöffnet worden war, umströmte ein leichtes süßlich herbes Aroma seine Nüstern. Nein, ihm fiel keine Frau ein, der er in den letzten Jahren begegnet war, die ein solches Parfum benutzt hatte. Das Aroma hätte er im Gedächtnis behalten, dazu war es zu ungewöhnlich, aber nichtsdestoweniger sehr angenehm.

Er spürte deutlich auf ihn ruhende Blicke. Er hielt den Atem an, aber er konnte nichts hören, kein Rascheln von Stoff, nichts. Und doch war SIE hinter ihm. So sehr hatte er körperlich noch nie die Gegenwart eines anderen Menschen gespürt.

Ein leises Klicken. SIE hatte die Verbindungstür geschlossen. Er spürte ihre Anwesenheit jetzt noch intensiver. Es kostete ihn große Anstrengung, nicht einfach den Kopf zu wenden. Nein, so dumm wie Orpheus würde er nicht sein. Er würde sich nach seiner Eurydike erst dann umsehen, wenn sie das Tor zum Hades meilenweit hinter sich gelassen hatte, wenn sie es ihm ausdrücklich erlaubte.

Dann spürte er sie plötzlich dicht hinter sich. Sie berührte ihn fast. Er hörte ihren gleichmäßigen und entspannten Atem, spürte ihre Wärme, roch ihr Parfum intensiver, nicht nur ihr Parfum, vor allem SIE selbst. SIE roch unglaublich angenehm und – vertraut.

So wie er bewegungslos auf seinem Stuhl saß, nicht einmal wagte, die Augen zu bewegen, immer nur den einen imaginären Punkt vor ihm auf dem Vorhang betrachtend, stand sie dicht hinter ihm.

Die Zeit verlor sich, die Gedanken waren einzig auf ihre Gegenwart konzentriert. Er dachte nicht einmal daran, was sie wohl machen, wie lange sie so hinter ihm stehen würde. Ja, er genoß einfach ihre Anwesenheit, vielleicht mehr als hätte er ihr von Angesicht zu Angesicht gegenübergestanden.

Dann spürte er, wie sie sich langsam zurückzog. Es geschah genauso lautlos, wie sie hinter ihn getreten war. Er war sich sicher, daß sie ihn dabei immer im Blick behielt.

Leise wurde die Verbindungstür geöffnet und ebenso leise wieder geschlossen. Der Schlüssel kratzte kaum wahrnehmbar im Schloß. Sie hatte ihn ohne ein Wort verlassen. Die Anspannung fiel von ihm ab, um einem anderen Gefühl Platz zu machen. Er wußte nicht, was er von der letzten Stunde halten sollte. In der Gewißheit, daß jetzt nichts mehr geschehen würde, hatte er sich aus seiner selbstgewählten Starre gelöst und die Uhr aus der Tasche geholt. Nicht einmal vor zwei Stunden hatte er das Zimmer betreten. Ihm war es länger vorgekommen und zugleich wieder nicht.

Er stand auf. Unschlüssig blickte er auf den Stuhl, auf dem er die vergangenen beiden Stunden verbracht hatte. Licht fiel wieder unten durch den Spalt der Verbindungstür. Nicht das leiseste Geräusch war zu vernehmen. Er machte nicht den Versuch, die Klinke zu betätigen. Es war klar, daß sie abgeschlossen war und wenn nicht, dann würde er mit Sicherheit in ein leeres Zimmer schauen. In dem außer IHREM Parfum nichts war, was ihre Anwesenheit bezeugte. Ihr Parfum dominierte zwar immer noch sein Zimmer, verflüchtigte sich aber langsam. Er war überrascht, für seine Dezentheit hielt es sich sehr lange im Raum. Er atmete tief ein, um so viel als möglich davon in sich aufzunehmen. Er stellte den Stuhl zurück. Noch einmal wanderte er mit dem Blick durch das Zimmer. Nichts sprach dagegen, zu gehen. Und so verließ er das Zimmer, mit einem letzten wehmütigen Blick und ging nach unten.

Der Portier nahm den Schlüssel entgegen, als sei es das selbstverständlichste von der Welt, daß ein Gast vorbestellen läßt, das Zimmer nur rund zwei Stunden nutzte und nach der Rechnung fragt, die im übrigen bereits bezahlt war.

»Von wem«, wollte er wissen.

Die Frage war mehr reflexartig als bewußt geäußert.

»Von einer Dame«, erwiderte der Portier freundlich und gab damit zugleich zu verstehen, daß das alles war, was er an Auskunft geben würde.

Er verließ das Hotel. Draußen blieb er einen Augenblick stehen. Er überlegte kurz, ob er nochmal durch den Park gehen sollte, doch dann entschloß er sich, ohne Umwege zur Bushaltestelle zu gehen.

Zu Hause wußte er nicht so recht, was er machen sollte. Aus der Distanz und in der vertrauten Umgebung sahen die Dinge schon anders aus. Sollte das nun alles gewesen sein? Einfach zwei Stunden dazusitzen, in einem halbdunkeln Zimmer? Er hatte mit mehr gerechnet, wenn er auch nicht wußte, mit was.

Er kam zu keinem Ergebnis, wußte nicht, ob er enttäuscht oder voller Hoffnung sein sollte, ob es eine Prüfung oder ein Ulk war. Gut, gegen einen Ulk sprach so ziemlich alles.

Das einzige was aus einem unerklärlichen Gefühl heraus für ihn sicher schien, war, daß sie sich wieder melden und dieses Treffen nicht das einzige bleiben würde.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Kommentare werden erst nach erfolgter Prüfung freigeschaltet.