Günther Freitag »Brendels Fantasie«

von
Armin A. Alexander

Der unheilbar an einem Gehirntumor erkrankte Fabrikant Höller hat eine Vision: Die ideale Interpretation von Franz Schuberts »Wandererphantasie«. Seinen Wunschpianisten hat er bereits auserkoren; den greisen Alfred Brendel. Nun benötigt er nur noch den idealen Konzertsaal in der idealen Landschaft. Als letztere kommt für Höller einzig die Toskana infrage. Um seinen Traum verwirklichen zu können, verkauft er sein Unternehmen, das Klimaanlagen für Autos produziert, an russische Investoren. Höller bezieht eine Pension in einem kleinen, von der Landwirtschaft geprägten toskanischen Ort, in dem die Zeit stehen geblieben zu sein scheint und wo er die »Wandererphantasie« aufgeführt haben möchte. Von dort schreibt er regelmäßig Briefe an den in London lebenden Pianisten. Doch erhält Höller nie eine Antwort.

 

Günther Freitag erzählt in einem nahezu schnörkellosen, angenehmen Stil mitunter von subtilem Humor begleitet, wie ein Mann, der Zeit seines Lebens nach außen ein unauffälliges, ja eigentlich nichtssagendes Leben geführt hat, erkennen muß, daß ihm nur noch kurze Zeit zum Leben bleibt und er bisher nichts von dem getan hat, was ihn wirklich interessierte. Um nicht auch noch die wenigen ihm verbleibenden Monaten ungenutzt verstreichen zu lassen und der Welt nichts anders als ein Unternehmen für Klimaanlagen und seinen Kindern Geld zu hinterlassen, versucht er zielstrebig seinen Traum umzusetzen; die ideale Interpretation seiner geliebten »Wandererphantasie« von Franz Schubert.

Doch wird aus der Suche nach dem passenden Ort immer mehr eine Suche nach sich selbst und eine Bilanz seines bisherigen Lebens an der Seite einer schönen und erfolgreichen Anwältin, mit der er einen Sohn, der nichts anderes als seinen beruflichen Erfolg im Sinn und einer über alle Maßen verwöhnten und launischen Tochter hat. Ehefrau und Kinder interessieren sich jeder auf ihre Weise nur für sich selbst. Höllers Bemühungen, seine Kinder doch noch einigermaßen zu sozialisieren, werden von seiner Frau entschlossen hintertrieben. Höller fehlte Zeit seines Lebens die Kraft, sich gegenüber seiner Frau durchzusetzen. Selbst den Verkauf der Fabrik betreibt er hinter ihrem Rücken und verschweigt seiner Familie seine unheilbare Krankheit.

Aber auch auf der Suche nach dem passenden Aufführungsort für die »Wandererphantasie« tun sich für Höller unerwartete Schwierigkeiten auf. Er begegnet skurrilen Typen, unter anderem einem zwangsweise in den Ruhestand versetzten Lehrer, der zwar als vom Leben Enttäuschter das tagesaktuelle Geschehen bissig kommentiert, aber nichtsdestotrotz den Kern der Probleme illusionslos erfaßt.

Absurde Geschichten die Höller in Zeitungen liest oder ihm erzählt werden, verdeutlichen den Aberwitz des Alltags, nicht nur von dem, in dem sich Höller bewegt.

Höllers Geschichte ist vor allem eine Geschichte des Scheiterns einer großen Idee. Aber eines Scheiterns auf hohem Niveau. Höller läßt sich jedoch durch nichts von seinem Ziel abbringen, versucht die Probleme, die sich ihm stellen so gut als möglich zu lösen.

Höller mag auf seine Umwelt verrückt wirken, doch bleibt seine Umgebung den Beweis schuldig, daß sie nicht verrückt ist. Mitunter drängt sich der Eindruck auf, daß Höller der einzig wirklich »Normale« ist.

Einmal mehr gilt, daß der Weg das Ziel ist, und man nur selbst dem Leben einen Sinn geben kann.

 

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