Kurzes #60 – Kaffee und Kuchen einmal anders

von
Armin A. Alexander

Am nächsten Morgen war Bernharda bereits vor ihm in der Villa.

»Guten Morgen, Meinald. Ich darf Sie doch Meinald nennen«, es war eindeutig eine Feststellung und keine Frage.

Er nickte lediglich als Antwort. Er spürte, daß es ihm schwerfallen würde, dieser Frau etwas abzuschlagen. Er hatte noch keinen Vorgesetzten gehabt, der eine derart aus sich selbst heraus entstehende Autorität ausgestrahlt hatte wie sie. Fast ein wenig verstohlen nahm er wahr, daß sie einen schwarzen Lederrock zu einer weißen Bluse aus einem leicht durchsichtigen Stoff und erneut keinen BH darunter trug.

Er sah sie stets in Bekleidung aus beinahe stoffweichem Glattleder, meist Röcke mit farblich passenden taillierten Jacken, hin und wieder auch Hosen, die sich wie eine zweite Haut um ihren Körper schmiegten, hochhackiges Schuhwerk, häufiger Stiefel als Schuhe und meist Blusen als zarten, teilweise halb transparenten Stoffen, die nur wenig den Blicken verbargen, manchmal auch Oberteile aus Leder und stets weiche Lederhandschuhe. Er konnte sich nicht helfen, aber mit der Zeit schienen die Stoffe ihrer Bluse immer transparenter zu werden. Gut, sie besaß eine ausgeprägte exhibitionistische Ader, das war bei derart selbstbewußten Frauen nicht wirklich ungewöhnlich.

Selbst wenn sie nackt in der Villa herumgelaufen wäre, hätte ihm das keinerlei offen unziemliche Blicke oder gar begehrliche Blicke entlockt, obgleich er sich kaum an ihr satt sehen konnte – er bevorzugte große feminin üppige Frauen – dafür war ihm ihre Autorität zu präsent. Zwar wurde er relativ schnell unbefangener ihr gegenüber, dennoch traute er sich nicht, sie anders als beim vollen Namen zu nennen, während sie sich weitaus vertraulicher ihm gegenüber verhielt.

Wenngleich ihre Büros einander gegenüber lagen und sie ihre Tür nur leicht geschlossen hielt, arbeiteten sie unabhängig voneinander und sahen sich die meiste Zeit des Tages nicht. Während des Nachmittags nahm sie stets gemeinsam eine Tasse auf der Terrasse ein, erlaubte es das Wetter, andernfalls im Lesesaal der Bibliothek. Diese Teestunden waren für ihn in vielerlei Hinsicht ein Vergnügen. Daß ihn bei ihrem Anblick stets ein leichtes elektrisierendes Kribbeln den Rücken warm hinunterlief, seine Handflächen ein wenig feucht wurden und sein Herz auf besondere Weise schneller schlug, war nur zu verständlich, trotzdem wagte er nicht, irgendwelche auf sie bezogenen erotischen Gedanken zu pflegen. An sich war er nicht schüchtern, vielleicht etwas introvertierter als es sinnvoll war, was aber zu seinem Beruf paßte, doch einer Frau wie Bernharda fühlte er sich in vielerlei Hinsicht unterlegen, außer in intellektueller Beziehung. Sobald sie literarische Themen anschnitt, wurde er ausgesprochen eloquent, und sie sprach viel und gerne über Schöneburgs Texte, der zudem ein besonderes Talent für die Beschreibung erotischer, teilweise bizarrer Situationen besaß und von denen gab es viele in seinen unveröffentlichten Texten und fast allen war sofort anzumerken, daß sie die erfahrene Realität widergaben.

Sie war die meiste Zeit mit dem Lesen und dem Eingeben der Texte beschäftigt, die offenkundig miteinander im Zusammenhang standen. Trotz intensiver Arbeit waren in den zurückliegenden fünf Jahren gerade einmal zwei vollständige Bände entstanden.

»Morgen Nachmittag feiern wir Ihren ersten Monat bei der Stiftung mit einem von mir selbst gebackenen Kuchen«, verkündete sie, bevor er Feierabend machte.

»Morgen ist Freitag, da habe ich eigentlich meinen freien Tag«, gab er zaghaft, fast entschuldigend zu bedenken.

»Wirklich? Stimmt, wenn es Ihnen nichts ausmacht, trotzdem zu kommen und mir diese Freude zu machen. Es genügt, wenn Sie am frühen Nachmittag erscheinen. Dafür dürfen Sie dann einen Tag ihrer Wahl freinehmen.«

Eigentlich hatte er für den morgigen Nachmittag etwas geplant, nichts Besonderes zwar, aber es war ihm auf eine besondere Weise wichtig. Jedem anderen Vorgesetzten gegenüber hätte er auf seinen freien Tag bestanden, doch er kam nicht einmal im Ansatz auf den Gedanken, ihrem Wunsch nicht entsprechen.

Als er am folgenden Nachmittag die Villa betrat, es war ein regnerischer Tag, sie würden wohl im Lesesaal seinen ersten Monat bei der Stiftung feiern, überraschte sie ihn doch noch ein wenig. Der Stoff ihrer schwarzen ärmellosen dekolletierten Bluse war nur ein Hauch von Schwarz und überließ nichts der Phantasie, da erschienen auch der enge schwarze Lederrock, der ihre breiten Hüften betonte und die schwarzen hochhackigen Overknees, die er bereits kannte, in einem anderen Licht. Er mußte innerlich seufzen, zum ersten Mal bedauerte er, daß diese Frau für ihn unerreichbar zu sein schien und nicht nur, weil sie seine Chefin war. Eine Frau wie sie war kaum an einen mehr introvertierten ruhigen Bibliothekar interessiert, obschon er um seine Qualitäten als Liebhaber wußte.

Sie begrüßte ihn aufgekratzt. Erzählte ihm die Anekdote einer kleinen Panne beim gestrigen Kuchenbacken, einem Apfelkuchen aus frischen Äpfeln, der bereits angeschnitten auf dem Tisch im Lesesaal stand und den Lesesaal mit einem wundervollen Aroma von Äpfeln und Zimt erfüllte. Sie hoffe, daß sie nicht allzu großzügig mit dem Zimt verfahren sei, bemerkte sie mit einem fröhlichen Lachen, während sie sich um den Tee kümmerte. Er müsse nichts tun, schließlich sei es sein Nachmittag. Während der Tee zog, schlug sie die frische Sahne. Sie halte nur wenig von fertigen Sachen, Sprühsahne und Fertigsoßen waren eines davon. Es bereite doch weitaus mehr Vergnügen, all diese Dinge selbst zuzubereiten, und das sei in vielen Fällen kaum aufwendiger als Fertiges zu nutzen.

Als sie sich wenig später im Lesesaal einander gegenüber saßen, sie wie gewohnt in damenhaft lässiger Eleganz die Beine übereinandergeschlagen, jeder ein großes Stück frischen Apfelkuchens auf dem edlen chinesischen Porzellan, eine dampfende Tasse heißen Tees vor sich und einen großen Klecks frischer Sahne auf dem Kuchen, wartete sie erwartungsvoll auf sein Urteil über ihren Apfelkuchen.

Meinald löste mit der Gabel ein Stück und nahm es in den Mund. Es schmeckte tatsächlich so gut, wie es duftete und die Zimtmenge war für seinen Geschmack genau richtig. Sein Lob ihres Kuchens war demzufolge keine Gefälligkeit und kein Tribut an ihre Position als seine Chefin, sondern ehrlich gemeint. Er genoß sein Stück Kuchen und kam ihrer Aufforderung, zuzulangen, nur zu gerne nach. Daß sie selbst dem Kuchen reichlich zusprach, freute ihn, zumal ihre Figur deutlich die Genießerin leiblicher Genüsse verriet.

Ihre Unterhaltung verfiel in einen angenehmen Plauderton, Wochenendstimmung machte sich breit. Er fühlte sich so unbefangen in ihrer Gesellschaft wie noch nie zuvor, seine Blicke ruhten offen bewundernd auf ihrem üppigen Dekolleté und zum ersten Mal keimten zaghafte, auf sie bezogene erotische Gedanken in ihm auf. Da fiel ihr plötzlich aus Unachtsamkeit ein großer Klecks Sahne auf den rechten Stiefel oberhalb ihrer Fessel.

»Ungeschickt läßt grüßen«, meinte sie mit einem scheinbar verlegenen, doch mehr belustigtem Lächeln.

Der Klecks Sahne auf ihrem rechten Stiefel faszinierte ihn auf eine besondere, vorerst nicht näher zu definierende Weise.

»Wären Sie so freundlich und mir die Sahne vom Stiefel zu lecken«, sagte sie von einem Tonfall begleitet, der keinen Widerspruch duldete.

Er stellte ohne zu zögern und darüber nachzudenken, was sie überhaupt da von ihm verlangte, den Teller mit dem halb gegessenen Stück Kuchen auf den Tisch ab, und kniete sich, als sei es das selbstverständlichste von der Welt, zu ihren Füßen und leckte die Sahne vom weichen Leder. Er leckte die Sahne nicht nur ab, sondern auf eine Weise, wie man in der Regel über den Schokoladenbezug eines wohlschmeckenden Eises oder Vergleichbares leckt.

Weil er mit Lecken beschäftigt war, konnte er ihr zufriedenes Lächeln, das sich übers ganzes Gesicht zog, nicht sehen. Sie hatte ihn richtig eingeschätzt, obwohl natürlich immer ein Rest Unsicherheit vorhanden gewesen war, das leichte Vibrieren in ihrer ansonsten festen Stimme war ihm nicht aufgefallen, oder er hatte es unbewußt ignoriert.

Auch als die Sahne längst abgeleckt war, leckte er noch über das Leder und hätte es noch eine ganze Weile fortgesetzt, wenn ihm nicht Einhalt geboten hätte.

Er stand ein wenig enttäuscht auf und setzte sich wieder ihr gegenüber. Er aß seinen Kuchen zu Ende. Sie setzten ihre belanglose Unterhaltung fort als sei nichts weiter geschehen.

Er überlegte, ob er noch ein drittes Stück Kuchen nehmen sollte, da landete schon wieder ein Klecks Sahne auf ihrem Stiefel.

»Heute scheine ich zwei linke Hände zu haben. Wären Sie wieder so freundlich, Meinald.« Diesmal lag nicht einmal mehr der Hauch eines Zweifels über seine Folgsamkeit in ihrer Stimme.

Er leckte auch diesen Klecks nicht nur mit derselben Begeisterung von ihrem Stiefel wie den vorhergehenden, sondern war froh, daß ihr erneut ›versehentlich‹ Sahne auf den Stiefel gefallen war.

Diesmal gönnte sie ihm und somit auch sich die Freude, ihn spürbar länger als notwendig über das weiche Leder ihrer Stiefel lecken zu lassen.

»Auf dem Spann ist auch noch etwas.«

Auf dem Spann war natürlich nichts, aber das störte ihn noch weniger als sie, denn er entfernte die imaginäre Sahne dort aufmerksamer als zu Anfang die reale, was sie wiederum noch ein wenig kühner werden ließ. Sie liebte es, die Grenzen ihres Einflusses schon zu Anfang auszutesten.

»Ich glaube, am Absatz ist auch etwas. Manchmal spritzt die Sahne überall hin, oftmals dort, wo man es gar nicht erwartet.«

Er pflichtete ihr mit einem eifrigen Nicken bei und umspielte den hohen schlanken Absatz mit der Zunge als handelte es sich um den Schokoladenbezug einer wohlschmeckenden Gebäckstange. Schon beim ersten Ablecken der Sahne hatte er sich vorgestellt, wie es wäre, ihren hohen schlanken Absatz mit der Zunge zu umspielen.

Während er sich ganz ihrem Absatz widmete, ruhte ihr Blick auf seinen breiten Schultern. Ob er wußte, wie verführerisch sein Rücken auf eine Frau in einer solchen Situation wirkte? Diese Introvertierten waren immer wieder für eine Überraschung gut.

Es war die Frage, wer von ihnen beiden es mehr bedauerte, als sie meinte, es sei vorerst genug und er sich wieder ihr gegenüber setzte.

Das kleine ›Spiel‹ hatte beide gleichermaßen erhitzt und eine Intimität zwischen ihnen geschaffen, die er nie für möglich gehalten hätte. Obzwar er mit seinem Lecken nicht unmittelbar ihre Haut berührt hatte, durchströmte sie als Folge ein betörenderes Kribbeln, als es je eine direkte Berührung ihrer Haut durch ihn erreicht hätte. Es war ihr schon länger nicht mehr widerfahren, daß sie während einer solchen Situation dermaßen naß geworden war.

Später war er fast enttäuscht, daß sie nicht noch mehr Sahne auf ihre Stiefel gekleckert hatte.

Auch später zuhause kam ihm das Ungewöhnliche des während des gemeinsamen Kuchenessens erfolgten Leckens ihrer Stiefel nicht in den Sinn. Bei dieser Frau war das selbstverständlich für ihn gewesen.

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