Carlo Emilio Gadda »Cupido im Hause Brocchi«

von
Armin A. Alexander

Interpretationen

Italien 1928. Gigi – Luigi – ist der hoffnungsvolle Sprößling einer alt eingesessenen Mailänder Familie. Jole ist das bildhübsche junge Dienstmädchen seines Onkels Agamemnone. Joles weibliche Reize erregen einerseits bei der männlichen Mailänder Jugend Aufmerksamkeit, wenn diese sich auch in sehnsüchtigen Blicken und mitunter frechen, eindeutigen Anspielungen erschöpft. Bei den ersten Familien der Stadt und deren Wortführerin, der Gräfin, Gigis Mutter, erregt Jole Mißfallen. Befürchtungen werden laut, daß Jole einen negativen Einfluß auf die Tugend ihrer Sprößlinge haben könnte, namentlich ihrem eigenen Sohn, da er Jole notgedrungen begegnen muß, sobald er seinen Onkel besucht. Die Gräfin versucht ihren Bruder zu überreden, daß er Jole entläßt. Doch der weigert sich, immerhin sei Jole gut in den Haushalt integriert und es sei sehr aufwendig ein neues Mädchen einzuarbeiten. Außerdem werde er seinem Neffen seinen selbst verfaßten Leitfaden zur moralischen Erziehung Jugendlicher zu dessen neunzehntem Geburtstag schenken, deren erste Exemplare er bald aus der Druckerei erwarte. Gigis Mutter unternimmt währenddessen eigene Anstrengungen zur einwandfreien moralischen Erziehung ihres Sohnes. Nebenbei entrüstet man sich über eine Kunstausstellung, in der allzu sehr die »nackten Tatsachen« dominieren. Da man sich aber als Förderer der schönen Künsten verpflichtet fühlt, ehrt man einen der Maler, einen Römer, und lädt ihn zu sich ein. Der Meister nimmt kein Blatt vor den Mund. Man befürchtet, daß der anwesende Gigi Dinge hören könnte, die noch nicht für seine zarten jugendlichen Ohren bestimmt sind. Doch Gigis Gedanken sind nicht nur bei seinen Lateinübungen. Er achtet kaum darauf, was der angeheiterte Maler erzählt. Gigis Lateinprofessor Frugoni schlägt Cicero zur moralischen Erbauung vor und ergeht sich lang und breit über den historischen Hintergrund vor dem Cicero sein Werk verfaßt hat. Gigis Geburtstag, der auf einen Samstag fällt, kommt immer näher. Und während jeder zu wissen glaubt, was für ihn gut, weiß er selbst absolut nicht, was er zur Zeit vom Leben an sich halten soll. Weil seine Familie an seinem Geburtstag Verpflichtungen hat, muß er für ein paar Stunden allein zu Hause bleiben. Es läutet. Gigi öffnet. Es ist Jole, die im Auftrag seines Onkels dessen Traktat über die Erziehung bringt. Joles Gegenwart läßt Gigi erkennen, was er wirklich zur Vervollständigung seiner Erziehung braucht; eine junge Frau mit der er gemeinsam die Liebe erkunden kann. Beide nutzen die Gelegenheit umgehend.

 

Gaddas Erzählung legt auf humorvolle und ironische Weise die »Gehobene Gesellschaft« bloß, ein Milieu das er selbst bestens kannte. Natürlich will Agamemnone Jole nicht entlassen, aber nicht weil sie so gut in seinen Haushalt eingearbeitet ist. Keiner traut sich zu sagen, was er wirklich denkt. Als Kunstmäzen fördert man natürlich den römischen Maler, man will ja auf der Höhe der Zeit sein und doch trauert man der »alten« Kunst nach. Der hochtrabende Professor Frugoni erweist sich bei näherem Hinsehen als ärmlicher Lehrer »Gigi [–] stellte gelangweilt fest, daß des Professors Hosen ohne Bügelfalte waren und übermäßig glänzten an den – Aktionsfeldern, dort, wo die Fürsorglichkeit seiner Gattin schon hätte veranschlagen können, um bodenständige Arbeit zu leisten, ihm einen neuen »Boden« einzusetzen. [–]«. Gigis Mutter beteuert dem Professor gegenüber, daß »[–]Herr Professor, bei uns zu Hause – kann Gigi nur das Gute finden –« In der Tat waren die beiden Dienstmädchen der Gräfin eine häßlicher als die andere: zwei solche Nasen! solche Münder!, man kann es sich kaum vorstellen. Das teuflische Blitzen ihrer Augen, ihre Hauer und ihre Kinnbacken erlaubten, daß man sie aus der Entfernung einer Kanonenflugbahn bereits identifizieren konnte. [–]«. Gadda entlarvt mit solchen meisterlichen Wortspielereien die Aussagen seiner Protagonisten als Heuchelei, als nicht unbedingt schönen Schein.

 

Carlo Emilo Gadda, 1893–1973, gebürtiger Mailänder, machte nach dem Ersten Weltkrieg sein Examen als Ingenieur und war auch viele Jahre in diesem Beruf tätig, parallel dazu betätigte er sich bereits als Schriftsteller. Sein bekanntestes Werk »Die gräßliche Bescherung in der Via Merulana« erschien 1957. Carlo Emilo Gadda gilt als Vater der modernen italienischen Literatur.

 

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