Kurzes #30 – Felix spricht sich aus

von
Armin A. Alexander

Der folgende Text ist eine Leseprobe aus »Felizia & Felix«

Auch wenn Felizia einen anderen Eindruck haben mochte, Felix schlief kaum besser als sie. Als er Freitagvormittag an seinem Schreibtisch im Institut beinahe eingenickt wäre und bei einer späteren Besprechung überhaupt nichts mitbekommen hatte, erkannte er, daß er mit jemanden reden mußte. Felix mußte, die Gedanken und Befürchtungen, die ihn quälten, laut artikulieren. Vielleicht erschloß sich ihm auf diese Weise eine Lösung.
Sofort dachte er an seinen alten Schulfreund Wolfgang. Schon zur gemeinsamen Schulzeit stand Wolfgang in dem Ruf, ein geduldiger Zuhörer zu sein und für sein Alter erstaunlich reife Ratschläge geben zu können. Daß das von den Mitschülern mitunter weidlich strapaziert worden war, hatte nicht nur Felix erfolgreich verdrängt. Wolfgang war wohl derjenige von ihnen, der über den Liebeskummer seiner Mitschüler am besten informiert gewesen war, da nicht allein die Jungen sondern auch viele der Mädchen sich bei ihm nicht nur im übertragenen Sinn ausweinten. Daß er das nicht ausnutzte, brachte ihm zeitweise fast den Ruf des Übermenschlichen ein. Aus der Distanz betrachtet war wenig Übermenschliches daran. Wolfgang wußte einfach, daß er lediglich der vorübergehende Lebenströster gewesen wäre, und um die zweite Wahl zu sein war er sich einfach zu schade.
Zu Felix’ Glück war Wolfgang zur Zeit Strohwitwer – seine Frau war allein mit den beiden Kindern für zwei Wochen zu ihren Eltern nach Husum gefahren, da Wolfgang sich nicht hatte freinehmen können. Wolfgang hatte nichts dagegen, sich nach Feierabend mit Felix in einer urigen Kneipe unweit von Felix’ und Felizias Wohnung zu treffen. Es war auf jeden Fall besser als den Freitagabend allein in der leeren Wohnung zu verbringen.
Als Felix aus dem Institut nach Hause kam, war Felizia noch nicht zurück. Zwar war es nicht ungewöhnlich, daß sie erst nach ihm aus dem Büro kam, aber in der Regel teilte sie ihm telephonisch mit, wenn es später wurde. Im Augenblick war Felix jedoch so mit sich selbst beschäftigt, daß er sich keine Gedanken darüber machte, warum Felizia ihn noch nicht angerufen hatte. Er schrieb lediglich einen Zettel »Bin mit Wolfgang noch auf ein Bier weg« und legte ihn mitten auf den Küchentisch. Er war gerade damit fertig, als Wolfgang an der Tür klingelte.
Die beiden Freunde begrüßten sich kurz. Die wenigen Schritte zur Kneipe gingen sie schweigend nebeneinander. Es war ein milder sonniger Abend, den man am besten irgendwo im Freien verbrachte, doch Wolfgang und Felix verzogen sich in eine Ecke der Kneipe, wo sich vor allem Felix ungestörter fühlte.
Zuerst plauderten sie lang und breit über Belangloses. Felix ließ Wolfgang über dessen Frau und die Kinder berichten.
Als sie bereits beim vierten Glas Bier saßen, begann Wolfgang sich zu fragen, warum Felix ihn überhaupt so kurzfristig hatte sprechen wollen. Beim fünften Glas kam Felix endlich zur Sache. Wolfgang, trinkfester als Felix, bemerkte, daß der Freund spürbar angesäuselt war und offenkundig erst jetzt den Zustand erreicht hatte, frei heraus sprechen zu können.
Zuerst hatte Wolfgang Mühe zu verstehen, worauf Felix überhaupt hinaus wollte, denn Felix begann mit einem recht unzusammenhängenden Loblied auf Felizia. Daß Felizia Felix über alle Maßen viel bedeutete, war nicht nur Wolfgang bis zum Abwinken bekannt. Wolfgang brauchte mehr als eine halbe Stunde, bis er verstand, daß zwischen Felizia und Felix der Haussegen aus dem Lot geraten war, und es mit etwas begonnen hatte, das Felizia ihrem Felix am zurückliegenden Sonntagnachmittag offenbart hatte. Als Felix beim siebten Glas angekommen war, verstand Wolfgang, daß Felizia Felix über ihre sadomasochistischen Phantasien und Wünsche informiert hatte. Aber er besaß immer noch nicht den leisesten Schimmer, wo für Felix das Problem lag und warum es für einen schwerwiegenden Mißklang zwischen ihm und Felizia gesorgt hatte. Wolfgang hatte sich bisher nicht vorstellen können, daß ein Naturwissenschaftler ohne große Anstrengung derart unzusammenhängendes Zeug von sich geben konnte.
Für ihn naheliegend vermutete Wolfgang zuerst, daß Felix womöglich Probleme damit haben könnte, gemeinsam mit Felizia deren sadomasochistische Phantasien umzusetzen, und wollte schon diesbezüglich aufmunternd intervenieren, mögliche Vorbehalte zerstreuen, obwohl er persönlich wenig mit dem Thema bdsm anzufangen wußte. Ganz unbekannt war ihm das Thema nicht seine Schwester war bekennende Sadomasochistin, und lebte ihn auch mit ihrem Mann erfolgreich. Aber das schien überhaupt nicht Felix’ Problem zu sein, wie sich für Wolfgang langsam herausstellte.
Wolfgang befürchtete schon niemals dahinter zu kommen und war bereits versucht, dem Freund leicht enerviert zu sagen: »Verdammt, Felix, was zum Teufel ist denn nun dein Problem dabei«, da wurden Felix’ Ausführungen für ihn verständlicher. Endlich begriff Wolfgang, was Felix mit den mehrmals erwähnten geheimnisvollen ›anderen Männern‹ tatsächlich meinte.
Wolfgang mußte einen tiefen Seufzer unterdrücken. Das Problem bestand einzig in Felix’ Vorstellung, war letztlich nichts als gekränkte Eitelkeit, denn daß Felizia sich tatsächlich mit anderen Männern als Felix einlassen könnte, war auch für ihn unvorstellbar.
»Weißt du Wolfgang, eigentlich will ich gar keine andere Frau als Felizia. Ich kann mir auch gar keine andere vorstellen«, wiederholte Felix mit der Beharrlichkeit der Betrunkenen, die nicht mehr wissen, daß sie dasselbe bereits mehrmals kurz hintereinander gesagt haben und ihr Gegenüber die Aussage längst verstanden hatte. »Aber warum hat sie gesagt, sie könne sich das mit anderen Männern problemlos vorstellen, doch nicht mit mir? Ich weiß, daß sie mir nie untreu war. Aber warum kann sie sich das nicht mit mir vorstellen? Sie hat mich nicht einmal gefragt, ob ich mir vorstellen, diese Dinge mit ihr zu machen.«
»Und kannst du«, fragte Wolfgang, dem Felix’ Niedergeschlagenheit und Selbstzweifel einerseits nahe gingen, dessen Selbstmitleid andererseits, das sich durch den vorhanden Alkoholspiegel im Blut ausgiebig Bahn brach, ihm langsam aber sicher auf die Nerven ging.
Im Grunde war alles eindeutig. Felix begehrte Felizia weiterhin und Felizia schien auch weiterhin Felix zu begehren. Felizia besaß lediglich in der Vorstellung Schwierigkeiten Felix, als ihren ›Lustsklaven‹ zu sehen. Und Felix hatte ihre Aussage schlicht und ergreifend in den falschen Hals bekommen. Da hatte sie sich jetzt nicht nur eingenistet, sondern zu allem Übel auch noch quer gelegt.
»Mit Felizia würde ich alles tun, verstehst du, ALLES!«
Felix schwirrte der Kopf, ihm war bewußt, daß er bereits zuviel getrunken hatte, aber seine Gedanken waren noch bemerkenswert klar – glaubte er.
»Warum sagst du ihr das dann nicht«, schlug Wolfgang pragmatisch vor.
»Ja, warum eigentlich nicht«, meinte Felix nachdenklich, denn dieser Gedanke war ihm noch gar nicht gekommen.
Wolfgang unterdrückte einen weiteren Seufzer und schüttelte verständnislos den Kopf. Er sah auf die Uhr. Er war fast halb elf. Seit vier Stunden saßen hier bereits zusammen.
Am liebsten hätte Wolfgang Felix die Sache mit den ›anderen Männern‹ erklärt, aber ihm war klar, daß Felix in seinem derzeitigen Zustand so gut wie nichts davon verstehen würde. Letztlich bezeugte Felix’ ganzes Verhalten nur, daß er Felizia noch immer liebte, da ihn ihre Aussage so tief hatte treffen können. Wolfgang mußte einen Anflug von Neid unterdrücken, dabei führte er auch nicht gerade eine unglückliche Ehe.
Felix versicherte Wolfgang noch eine ganze Weile, wieviel Felizia ihm bedeutete und daß er bereit wäre ALLES mit ihr zu tun. Als Felix’ Zunge sichtlich schwerer wurde und er beträchtlich Schlagseite zu bekommen begann, zahlte Wolfgang kurz entschlossen für sie beide. Er half Felix in dessen Jacke, prüfte, wo sich der Hausschlüssel befand und bugsierte den Freund nach draußen.
»Ich glaube, es ist besser, du gehst jetzt nach Hause und legst dich schlafen«, sagte Wolfgang väterlich. »Morgen ist Samstag, und dann sagst du Felizia genau das, was du mir die ganze Zeit gesagt hast.«
»Was habe ich dir denn gesagt«, fragte Felix, dem sich alles drehte und der heilfroh war an der frischen Nachtluft zu sein.
»Daß du bereit seist alles mit Felizia tun und daß sie die einzige Frau ist, die du willst«, leierte Wolfgang fast schon gelangweilt herunter, während er sich bemühte Felix in die richtige Richtung zu steuern.
»Ja, das ist sie. Es gibt keine tollere und keine schönere Frau. Und ich mach’ ALLES mit ihr was sie nur will«, bekräftigte Felix mit der Vehemenz der Betrunkenen.
Sie kamen einige Schritte vorwärts. Felix war froh, daß der Gehweg so breit war. Er benötigte jetzt viel Platz.
Wolfgang, der sogar etwas mehr als Felix getrunken hatte aber besser daran gewöhnt war, besaß keine Probleme sich gerade zu halten. Er geleitete Felix unfallfrei zu dessen Haus.
»Weißt du, Wolfgang, Felizia ist die tollste und schönste Frau, die man sich vorstellen kann, und ich bin bereit ALLES, WIRKLICH ALLES mit ihr zu tun«, erklärte Felix.
Wolfgang nickte beipflichtend. Zum einen wußte er, daß es unsinnig war, einem Betrunkenen zu widersprechen, und zum anderen hatte Felix, nicht nur aus seiner Sicht, nicht einmal unrecht.
»Wirklich, Wolfgang, ich kann dir versichern, Felizia ist die tollste und schönste Frau, die man sich vorstellen kann, und ich bin bereit ALLES, WIRKLICH ALLES mit ihr zu tun«, sah Felix sich genötigt, es noch einmal zu sagen.
»Ja, Felix, das ist sie«, sagte Wolfgang pflichtschuldig, in der Hoffnung, daß Felix das Thema wechseln würde, doch Felix wiederholte seinen Satz noch dreimal.
»Außerdem können mich die ›anderen Männer‹ mal kreuzweise und rauf und runter und überhaupt. Die sind meiner Felizia doch gar nicht gewachsen. Die sind nicht mal würdig vor ihr im Staub zu kriechen. Wenn überhaupt ein Mann würdig ist vor Felizia im Staub zu kriechen, dann bin doch wohl ich das allein! Verstehst du, Wolfgang?« Felix blickte Wolfgang fest an, zumindest versuchte er das.
Wolfgang konnte sich ein Grinsen über die Doppeldeutigkeit dieser Aussage nicht verkneifen. Er widersprach Felix nicht. Zum Glück redete Felix nicht sehr laut.
Ein mit seinem Hund an ihnen vorübergehender älterer Herr sah ihnen nur kopfschüttelnd nach. Wolfgang hatte das Gefühl, daß der Mann Felix zumindest vom Sehen her kannte.
Wegen Felix’ Zustand brauchten sie für den relativ kurzen Rückweg über eine viertel Stunde, so daß es fast Mitternacht war, als sie vor Felix’ Haus standen.
»So, altes Haus, wir sind da«, erklärte Wolfgang und hielt den Freund fest, der ansonsten einfach weiter geschwankt wäre.
»Wo?« fragte Felix, der sichtliche Orientierungsschwierigkeiten hatte.
»Vor deinem Haus«, antwortete Wolfgang ruhig.
»Ach?« betrachtete Felix das Haus als sehe er es zum ersten Mal und wanderte mit dem Augen an der Fassade empor. Nachdem sein Blick fast die Traufkante erreichte, hellte Felix’ Miene sich erkennend auf.
»Ja, stimmt«, sagte Felix und fragte sich, warum diese verdammte Tür vor ihm so schwankte. »Kommst du noch mit rauf? Felizia wird sich sicherlich freuen. Sie freut sich ja immer, wenn du mit Connie und den Kindern kommst.«
Das mag sein, aber ich bin überzeugt, daß Felizias Freude mich zu sehen sich im Augenblick stark in Grenzen halten dürfte, dachte Wolfgang.
»Nein, es ist spät und ich muß jetzt auch wirklich nach Hause«, erwiderte er statt dessen mit höflichem Nachdruck.
»Macht überhaupt nichts«, meinte Felix lapidar und zuckte lediglich mit den Achseln.
Er dachte gar nicht daran, den Freund zu drängen. Im Prinzip wollte er nichts anderes, als nur in sein Bett zu kommen. Ihm drehte sich alles und ihm war übel. Wenn auch nicht so übel, daß er das Gefühl hatte, sich übergeben zu müssen.
»Wo ist mein Hausschlüssel«, fragte Felix, der mehrmals mit der Hand an der rechten Außentasche seiner Jacke abglitt ohne den Zugang zu finden.
Wolfgang holte den Hausschlüssel aus der rechten Jackentasche und reichte ihn Felix. Felix murmelte ein »Danke« und schaffte es für Wolfgang überraschend im ersten Anlauf den richtigen Schlüssel ins Schloß zu stecken, was Wolfgang erleichterte, demnach war sein Freund doch noch nicht so betrunken wie es schien.
»Und du kommst wirklich nicht noch mit rauf«, es war mehr eine Feststellung als eine Frage.
Wolfgang schüttelte verneinend den Kopf. Felix drückte die Haustür auf, in dem er sich dagegen lehnte.
»Bist ’nen prima Kumpel, Wolfgang. Ehrlich. Mit ’ner Frau wie Felizia und ’nem Kumpel wie dir, kann eigentlich nichts passieren. Bestell’ Connie einen Gruß von mir, wenn du gleich zu Hause bist.«
»Ja, werde ich«, sagte Wolfgang und unterließ es Felix wiederholt darauf hinzuweisen, daß Connie zur Zeit in Husum war.
»Bist ’nen prima Kumpel, Wolfgang. Nein, wirklich. Ich hatte noch nie so ’nen tollen Kumpel wie dich. Und so ’ne tolle und schöne Frau wie Felizia erst recht nicht«, versicherte Felix noch einmal entschieden und stolperte ins Haus.
Zwar traf er den Schalter für das Minutenlicht erst beim zweiten Anlauf, aber er schaffte es, ohne großartig Lärm zu machen hinauf in den zweiten Stock. Wolfgang, der zweifelte, ob er den Freund nicht doch besser bis zur Wohnungstür geleitet hätte, blieb noch einen Augenblick stehen. Das Minutenlicht ging aus und nicht wieder an. Er vermutete, daß Felix jetzt in der Wohnung war. Wolfgang holte sein Mobiltelephon aus der Jackentasche und bestellte sich ein Taxi.

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Pressestimmen

Fünf Kurzgeschichten serviert uns Armin A. Alexander in seinem Buch »Felizia & Felix« und jede ist voller Poesie und liebevoller Zärtlichkeit. […]
Jede der fünf Storys ist ein Genuss, dennoch gefällt mir die erste am besten, die den Titel Marmeladentörtchen trägt.
Dort trifft ein Mann auf einem Fest von Freunden eine attraktive Frau. Da er vom Regen überrascht und nass wird, bietet sie ihm an, ihn mit zu sich zu nehmen, damit er warm duschen und sich umziehen kann. Während seine Kleidung im Trockner ist, kocht er als Gegenleistung für sie. Zum Nachtisch gibt es Tee und selbstgebackene Törtchen – Und während das Aroma von gutem Tee und frisch Gebackenem durch die Küche zieht, vernascht die Dame des Hauses doch lieber zuerst den Koch.
Ein wunderbares Buch für diese Jahreszeit. Es inspiriert dazu, es sich auf dem Sofa mit Wolldecke und Tee gemütlich zu machen, um zu lesen und zu träumen.[…]

Zilli in den »Schlagzeilen« Nr. 106

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