Stefan Zweig »Angst«

von
Armin A. Alexander

Interpretationen

Irene ist mit einem erfolgreichen, begüterten Juristen verheiratet, der ihr geistig überlegen ist und mit dem sie zwei Kinder hat. Als sie eines Tages von ihrem Liebhaber auf dem Weg nach Hause ist, wird sie von einer Frau abgefangen, die sich als Ex-Geliebte von Irenes Liebhaber ausgibt. Sie beginnt Irene zu drohen. Geht diese nicht auf ihre Forderungen ein, unterrichtet sie Irenes Mann von dem Verhältnis. Fortan stellt die Frau Irene nach, fordert von ihr Geldbeträge bis hin zu einem Ring, den Irene ständig trägt. Die Frau schickt ihr Briefe nach Hause. Die Angst vor Entdeckung beginnt Irene zu beherrschen. Dazu kommen Anspielungen ihres Mannes, als würde er Verdacht schöpfen. Das Verschwinden des Ringes bringt sie in Verlegenheit. Sie beginnt sich in ein Lügengebilde zu verstricken, aus dem sie glaubt nur noch durch einen drastischen Schritt herauszukommen. Doch bevor sie soweit gehen kann, greift ihr Mann ein. Er weiß schon lange vom Verhältnis seiner Frau. Jene Frau wurde von ihm geschickt. Sie sollte seine Frau zu einem freiwilligen Geständnis ihres Liebesverhältnissen bringen. Er erkennt noch rechtzeitig, daß er mit seinem Vorgehen beinahe das Gegenteil erreicht hätte, nur weil er sich nicht wie ein eifersüchtiger Ehemann gebärden wollte und verzeiht ihr, denn durch ihre ausgestandene Angst hat sie mehr als genug für ihren Ehebruch gebüßt.

 

Stefan Zweig schrieb diese – auch wenn es auf den ersten Blick nicht den Anschein hat – romantische Erzählung im besten Sinne 1910. In ihr beschreibt er mit gewohnt großem Einfühlungsvermögen, wie Angst Denken und Handeln bestimmen kann und blind für rationales Vorgehen macht. Ein Verhältnis, entstanden aus der Langeweile einer gutbürgerlichen Ehe mit einem erfolgreichen Mann, für den sie scheinbar ein Teil des Inventars geworden ist, frei jeder materiellen Sorge, wird zur Ursache dieser Angst. Denn ein Offenbarwerden dieses Verhältnisses würde nicht nur ihre bürgerliche Existens gefährden, sondern sie auch gesellschaftlich ausstoßen. Theodor Fontane hat die Intoleranz der damaligen Gesellschaft knapp eineinhalb Jahrzehnte früher anschaulich in »Effi Briest« beschrieben. Doch Stefan Zweig geht einen anderen Weg. Irenes Mann verliert sich nicht im kleingeistigen Gekränktsein männlicher Eitelkeit, sondern will seine Ehe erhalten und erreichen, daß seine Frau zu ihm zurückkommt. Ihm aus freien Stücken ihren Fehltritt gesteht. Jene Frau, die angeblich die ehemalige Geliebte von Irenes Liebhaber ist, ist von ihm beauftragt, Irene nachzustellen und sie unter Druck zu setzen. Alles was sie von Irene erhält, einschließlich des Rings übergibt sie ihm. Er baut seiner Frau – aus seiner Sicht – goldene Brücken. Erklärt ihr an einem praktischen Beispiel daß »die Angst ärger ist als die Strafe, denn die ist ja etwas Bestimmtes und, viel oder wenig, immer mehr als das entsätzlich Unbestimmte, dies Gerauenhaft-Unendliche der Spannung.« Doch Irenes Angst ist schon so groß geworden, daß sie bereit zu einem verzweifelten Ausweg ist, den ihr Mann rechtzeitig verhindern kann. Doch nicht nur sie ist durch ihre Angst gestraft auch er muß erkennen, daß sein Weg, sie dazuzubringen sich ihm anzuvertrauen, beinahe in eine Katastrophe geführt und er durch persönlichen Ehrgeiz fast den Menschen verloren hätte, der ihm neben seinen Kindern am meisten bedeutet, daß er eine Mitschuld daran trägt, daß seine Frau sich einen Liebhaber genommen hat.

 

Stefan Zweig: Angst »Bei Amazon

2 Kommentare zu „Stefan Zweig »Angst«

  1. traubele sagt:

    Gar nicht schlecht !!!

  2. kokosreis sagt:

    habe sein Buch gerade zu Ende gelesen. Da ich aber noch mehr verstehen wollte, habe ich recherchiert und bin auf diese Seite gestoßen und tatsälich…Ich verstehe mehr. Danke dafür;)

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Kommentare werden erst nach erfolgter Prüfung freigeschaltet.