»Alte« Krimis – »Der Frauenmörder« von Hugo Bettauer

von
Armin A. Alexander

Interpretationen

In Berlin, zu Beginn der 1920er Jahre, verschwinden innerhalb von sechs Wochen vier junge Frauen spurlos. Sie hinterlassen jede nur wenige Habseligkeiten und jede hat einen Bräutigam, der gelinde gesagt, etwas fragwürdig erscheint. Dr. Clusius, Chef der Kriminalpolizei, sieht darin keine Zufälligkeit, sondern geht von einem Verbrechen aus. Er vertraut Krause, seinem besten Mann, der anfänglich der Annahme seines Vorgesetzten mit Skepsis begegnet, den Untersuchungen an. Bei den Fällen gibt es auffallende Gemeinsamkeiten; jede der jungen Frauen mietete ein Zimmer und bezahlen es im voraus. Wenige Tage später verkündeten sie, daß sie ein oder zwei Tage mit ihrem Bräutigam verreisen würden, um sich ein Haus anzusehen. Diese Häuser befinden sich alle in derselben Gegen an der Havel. Sie haben nur soviel Gepäck dabei, wie für zwei Tage notwendig ist. In drei Fällen sind Zeugen vorhanden, die den jeweiligen Bräutigam gesehen haben. Laut ihrer Beschreibung ähneln sich die drei Männer stark, so daß die Wahrscheinlichkeit hoch ist, daß es sich um denselben Mann handeln könnte. Krause ist bald davon überzeugt, daß sein Chef mit der Vermutung eines Verbrechens richtig liegt und nimmt die Ermittlungen auf.

Krause – eigentlich Joachim von Dengern, Sproß einer alten, vornehmen aber wenig begüterten Familie – gerät durch eine Intrige in die Mühlen der Justiz und wird für ein Vergehen, daß er nicht begangen hat, zu vier Jahren Zuchthaus verurteilt, von denen ihm ein Jahr erlassen wurde. Sein jetziger Chef der Kriminalpolizei hatte seiner als junger Kommissar die Ermittlungen geleitet und war von Joachims Schuld überzeugt. Nach seiner Haftentlassung ermittelte Dengern akribisch in eigener Sache, entlarvte den wahren Schuldigen und erreichte ein Wiederaufnahmeverfahren, in dem er nachwies, daß sein damaliger Chef, Justizrat Rodenbach, der tatsächliche Täter war.

Krause/Dengern hätte nach diesem Erfolg, in der er seine Fähigkeiten unter Beweis gestellt hatte, seinen alten Beruf als Jurist wiederaufnehmen können, doch hatte das Erlebnis, die Haftzeit tiefe Spuren in ihm hinterlassen; er wurde menschenscheu, ergab sich dem Trunk und steuerte in großen Schritte auf die Mittellosigkeit zu. Da begegnete er Clusius, der nun Chef der Kriminalpolizei geworden war, zufällig in einem Weinlokal. Clusius, beeindruckt dem jungen Mann und seinen Fähigkeiten als Ermittler, bietet ihm eine Stellung bei der Kriminalpolizei an. Dengern erkennt seine Chance seine derzeitige Bahn, die steil dem Abgrund hinunterführt zu verlassen, willigt ein und ist fortan unter dem Namen Krause tätigt. Er übertrifft die Erwartungen von Clusisus und dem Polizeichef.

Krauses Zeugenbefragung im Fall der spurlos verschwundenen Frauen bringt wenig Stichhaltiges zutage. Die jungen Frauen scheinen austauschbar zu sein, führen Allerweltsnamen – Müller, Möller, Jensen, Pfeiffer – sie erwähnen keine Freunde, Bekannte oder Verwandte, scheinen tatsächlich allein auf der Welt zu sein, sie sind nicht ärmlich an sich, obschon ihre Hinterlassenschaft diesen Eindruck erweckt. Deren Hinterlassenschaft ist es, die Krause stutzig werden läßt, da einiges bei näherem Hinsehen sich widerspricht.

Eine fünfte junge Frau verschwindet unter vergleichbaren Umständen. Obschon die Berliner Kriminalpolizei Aufrufe zur Feststellung der Identität der verschwundenen Frauen landesweit in die Zeitungen einstellt, namentlich in den Heimatorten, die von den jungen Frauen angegeben wurden, meldet sich niemand, der sie kennt, was das ganze noch ein wenig mysteriöser werden läßt, da höchst unwahrscheinlich zu sein scheint, daß keine von ohne Verwandtschaft sein soll, die sie möglicherweise vermißt

Durch Zufall stößt Krause bei seinen weiteren Nachforschungen auf den ebenso begabten wie erfolglosen jungen Schriftsteller Thomas Hartwig, der augenfällig mit der Personenbeschreibung des ominösen Bräutigams der verschwundenen Frauen übereinstimmt. Krause setzt sich auf Hartwigs Fersen. Der Verdacht gegen Hartwig als mutmaßlicher Täter verhärtet sich zusehends. Die Beweislast wirkt vor allem durch bei Hartwig gefundene Briefe von den verschwundenen Frauen an Hartwig, die eindeutige auf Heiratsabsichten erkennen lassen. Sollte Hartwig am Geld der verschwundenen Frauen interessiert gewesen sein?

Und dann gibt es noch Lotte Fröhlich, Freundin und »Braut« von Thomas Hartwig, die vom Äußeren her auffallend in das Schema der verschwundenen Frauen paßt.

Thomas Hartwig wird auf Grund der Indizien- und Beweislast, die Krause heranschafft, des Mordes an den jungen Frauen überführt, jedoch schweigt er sich bei seiner Festnahme zu den Vorwürfen aus. »Und nun, meine Herren, bitte ich Sie, sich keine Mühe mehr zu geben, da ich keine weitere Frage beantworten werde. Nicht einmal die, ob ich schuldig oder unschuldig bin. Später, vor meinen wirklichen Richtern, werde ich mich vielleicht –” ich weiß es heute noch nicht –” äußern, bis dahin müssen Sie aber auf jedwede Unterhaltung mit mir verzichten.«

Wenngleich die Beweislast gegen Hartwig erdrückend, kommen Krause mit der Zeit Zweifel. Er setzt seine Nachforschungen fort und macht eine Entdeckung, die alles in ein gänzlich anderes Licht stellt. Hartwig ist offenbar kein »naiver« Mörder, der es »nur« auf das Geld der Frauen abgesehen hat, sondern er hat einen ausgeklügelten Plan verfolgt, in dem Lotte Fröhlich eine nicht zu unterschätzende Rolle spielt. Thomas Hartwigs Prozeß wird auf eine andere Weise spektakulär, als alle sich vorgestellt haben, nur für Krause ist es nicht – mehr – überraschend.

 

Hugo Bettauer (* 1879––  1925) hat sich von einem realen französischen Fall inspirieren lassen – Egon Roland »Der Fall Landru« – wenn er ihn auch auf eine ganz eigene und weitaus weniger tragische Weise bearbeitet.

Mit Krause hat Bettauer einen typischen Antihelden geschaffen, selbst Opfer eines Justizirrtums – was für sich genommen eine spannende Geschichte geben würde, so wie Bettauer diesen in einem kurzen Überblick schildert –, was deutliche Spuren bei ihm hinterläßt. »Krause war ein unglücklicher Mensch und hatte einen Knacks weg, von dem er sich nicht erholen konnte.« Krause ergibt nach erfolgreicher Rehabilitierung, die ihm durch eine großzügig bemessene Haftentschädigung eine Zeitlang ohne finanzielle Probleme leben läßt, doch ergibt er sich dem Trunk und dabei rinnt ihm das Geld durch die Finger und führt dem Abgrund zu. Das Angebot, seine Fähigkeiten als Ermittler in den Dienst der Polizei nimmt er zu einem Zeitpunkt an, ist daher seine Rettung.

Der Fall der verschwundenen Frauen stellt seine Fähigkeiten auf eine harte Probe. Wie in jener Sache, die ihn selbst ins Gefängnis gebracht hat, scheinen die Indizien und Beweise für die Schuld des jungen Schriftstellers erdrückend zu sein, und Krause scheint ihnen erst auf den Leim zu gehen, wie seinerzeit Clusius bei ihm. Doch Krause hat sich auf Grund der eigenen Erfahrung seine Skepsis bewahrt und gibt sich nicht mit der Erklärung zufrieden, die doch so eindeutig zu sein scheint, wodurch er einen erneuten Justizirrtum verhindert.

 

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