Ulla Hahn »Ein Mann im Haus«

von
Armin A. Alexander

Interpretationen

Maria ist Goldschmiedin in einer am Rhein gelegenen Kleinstadt unweit von Köln. Hansegon, dort Küster, ist verheiratet mit der Tochter des ortsansässigen Wurstfabrikanten. Das Geld seiner Frau ermöglicht ihm, seiner Künstlernatur nachzugehen. Der Kirchenchor hat sich unter seiner Leitung einen Ruf über die Stadtgrenzen hinaus erworben. Seine Beziehung mit Maria währt bereits viele Jahre. »[–]»Warte bis die Kinder aus dem Haus sind«, hatte Hansegon gesagt. Nun waren die Kinder aus dem Haus, aber Hansegon immer noch drin. [–]« darin hatte Maria ihre Hoffnung gelegt. Es ist Vorweihnachtszeit, wo Marias Geschäft am besten läuft. Während eines gemeinsamen Abends, der wie gewöhnlich mit einem Essen beginnt, das Maria für ihn zubereitet und mit sexueller Tätigkeit endet, mischt sie ihm ein Schlafmittel unters Essen. Hansegon erklärt seine regelmäßigen Abwesenheiten damit, daß er noch in der Kirche zu tun habe. Er erwacht am nächsten Morgen zu seinem Erschrecken an Marias Bett gefesselt. Sie hat diesen Abend lange vorbereitet, hat ihm innen gepolsterte Fesseln aus Gold angefertigt. Das Gold war »[–] ein liebes Andenken an Onkel Leopold, der, bevor er das Metall gemäß seiner Profession in kariösen Zähnen hatte unterbringen können, einem Herzinfarkt erlegen war.[–]« Sie verschließt ihm den Mund mit Klebeband, in das ein Loch macht, um ein silbernes Röhrchen einzuführen, damit er Nahrung und Flüssigkeit zu sich nehmen kann. Maria bedient sich seiner auch sexuell. »[–]Mit der Präzision eines Schöpfwerks bewegte sie sich über Küstermann auf und nieder. Es machte ihr Spaß, ihren Körper funktionieren zu fühlen.[–]« Kaum hat sie ihren Orgasmus läßt sie von ihm ab. Sie wäscht ihn, versorgt ihn. Anfänglich wehrt er sich gegen seine Gefangennahme. Langsam gibt er seine fruchtlosen Versuche, sich zu befreien, auf. Er scheint sich nicht nur mit der Situation abgefunden zu haben, sondern sogar wohl darin zu fühlen.

Während dessen gehen im Dorf die Gerüchte um. Anfänglich wird gemunkelt, daß er mit einer anderen Frau auf und davon ist, was ihm die Verachtung so gut wie aller einträgt. Doch bald verbreitet sich das Gerücht, er sie das Opfer eines Verbrechens geworden. In der Fantasie der Erzählenden durchleidet unzählige qualvolle Tode und die Stimmung schlägt um, nun ist ein bemitleidenswertes Opfer.

Während er in Marias Schlafzimmer gefesselt liegt, geht außerhalb das Leben seinen gewohnten Gang.

Maria läßt die Jahre mit ihm Revue passieren, die Heimlichkeiten in Hotelzimmer während der Reisen mit dem Chor. Die Heimlichkeiten im Ort, ihre Empfindungen seiner Frau gegenüber. Dabei entfernt sie sich innerlich immer mehr von ihm. Eines Abends trennt sie sich von allen Gegenständen, die mit ihm verbunden sind, in dem sie diese durch den offenen Mund einer ›Totenmaske‹, die sie von ihm angefertigt hat, in Abfallsäcke wirft. Er muß zusehen, wie nach und nach das gemeinsame Leben mit ihr in den Müll verschwindet. Nachdem sie sich von allem befreit hat, schiebt sie einen kleineren Beutel durch den Mund der Totenmaske, diesmal innen nach außen, in sie einige Schmuckstücke befördert. Die Maske mit den Schmuckstücken wird Teil ihrer Schaufensterdekoration zur Vorweihnachtszeit. Sie verabreicht ihm erneut ein Beruhigungsmittel. Löst ihm die Fesseln, zieht ihn an, bugsiert ihn in ihr Auto und fährt mit ihm weit außerhalb der Kleinstadt und setzt ihn hinter Köln an einer einsamen Stelle am Rhein aus. Er sträubt sich zuerst dagegen, er würde lieber bei ihr bleiben. Aber das Beruhigungsmittel läßt ihm kaum Kraft.

Am Tag darauf wird er aufgefunden. Er wehrt sich erfolglos dagegen, daß ihm das Pflaster vom Mund abgenommen wird, wobei er »[–]  in ein schmerzhaftes Wiehern ausgebrochen sei. Seither schweige er. [–]«

Maria fertig Masken mit geöffnetem Mund aus Silber und aus Gold, die unter vielen Tannenbäumen, an vielen Frauenhälsen hingen und auch Männer war begeistert davon.

 

»Ein Mann im Haus«, erschienen 1991, ist der erste Roman der Lyrikerin Ulla Hahn (*1945).

Oft ist davon gesprochen worden, daß es sich um die Rache einer Frau an einem Mann handelt, der ihr immer wieder versprochen hat, sich von seiner Frau zu trennen und mit ihr eine Beziehung einzugehen, ohne zu bedenken, daß sie sein Spiel jahrelang mitgespielt hat. Hansegon hat es verstanden, sich sein Leben behaglich einzurichten. Die wohlhabende Ehefrau, die ihm ermöglichte seine musikalische Leidenschaft ungehindert auszuleben und dem Kirchenchor ein Renommee zu verschaffen und ihn somit zum respektablen Mitbürger zu machen. Maria gibt ihm als attraktive sexuell aktive Geliebte das, was ihm seine Frau nicht geben kann oder will. Sie wird aus Marias Sicht als alternde Frau mit einem durch Übergewicht vermeintlich unansehnlichen Körper beschrieben, die Stützstrümpfe tragen muß und einen Badeanzug mit eingearbeitetem Korsett, als sexuell unattraktiv, wobei sie das vermutlich nur ist, weil sie sich so fühlt.

Allerdings ist es mehr als nur eine Rache. Zwar rächt sie sich auch an ihm, aber zuvörderst fesselt sie ihn an sich, an ihr Haus und das nicht im übertragenen, sondern im Wortsinn. Da sie sich seiner in seiner Hilflosigkeit auch sexuell bedient, verleibt sie sich ihn als ihr Eigentum ein. Parallel findet ein Machtkampf zwischen ihnen statt. Er will sich aus ihren Fesseln befreien, doch sie beherrscht die Situation. Er ergibt sich schließlich in sein ›Schicksal‹ und scheint sich am Ende sogar wohl in seiner Lage zu fühlen, während sie sich immer mehr von ihm löst. Er erkennt zu spät, daß er sich zu ihr hätte bekennen müssen. Sein Schweigen läßt sich auch dahingehend interpretieren, daß er Maria nicht bloßstellen will, weil sie ihm noch immer wichtig ist.

Das Mitleid mit ihm hält sich beim Lesen in Grenzen.

Parallel zur Beziehung von Maria und Hansegon schildert Ulla Hahn farbenfroh das Leben einer rheinischen Kleinstadt und die Hoffnungen und verlorenen Illusionen der Menschen von Marias Umgebung mit leichter Ironie und auch Wärme.

 

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