Zitat des Tages #126

von
Armin A. Alexander

Un­be­ding­te Pflich­ten – Alle Men­schen, wel­che füh­len, dass sie die stärks­ten Worte und Klän­ge, die be­red­tes­ten Ge­bär­den und Stel­lun­gen nö­thig haben, um über­haupt zu wir­ken, Re­vo­lu­ti­ons-Po­li­ti­ker, So­cia­lis­ten, Buss­pre­di­ger mit und ohne Chris­ten­thum, bei denen allen es keine hal­ben Er­fol­ge geben darf: alle diese reden von »Pflich­ten«, und zwar immer von Pflich­ten mit dem Cha­rak­ter des Un­be­ding­ten – ohne sol­che hät­ten sie kein Recht zu ihrem gros­sen Pa­thos: das wis­sen sie recht wohl! So grei­fen sie nach Phi­lo­so­phie­en der Moral, wel­che ir­gend einen ka­te­go­ri­schen Im­pe­ra­tiv pre­di­gen, oder sie neh­men ein gutes Stück Re­li­gi­on in sich hin­ein, wie diess zum Bei­spiel Maz­zi­ni gethan hat. Weil sie wol­len, dass ihnen un­be­dingt ver­traut werde, haben sie zu­erst nö­thig, dass sie sich sel­ber un­be­dingt ver­trau­en, auf Grund ir­gend eines letz­ten in­dis­cu­ta­beln und an sich er­ha­be­nen Ge­bo­tes, als des­sen Die­ner und Werk­zeu­ge sie sich füh­len und aus­ge­ben möch­ten. Hier haben wir die na­tür­lichs­ten und meis­tens sehr ein­fluss­rei­chen Geg­ner der mo­ra­li­schen Auf­klä­rung und Skep­sis: aber sie sind sel­ten. Da­ge­gen giebt es eine sehr um­fäng­li­che Clas­se die­ser Geg­ner über­all dort, wo das In­ter­es­se die Un­ter­wer­fung lehrt, wäh­rend Ruf und Ehre die Un­ter­wer­fung zu ver­bie­ten schei­nen. Wer sich ent­wür­digt fühlt bei dem Ge­dan­ken, das Werk­zeug eines Fürs­ten oder einer Par­tei und Secte oder gar einer Geld­macht zu sein, zum Bei­spiel als Ab­kömm­ling einer alten, stol­zen Fa­mi­lie, aber eben diess Werk­zeug sein will oder sein muss, vor sich und vor der Öf­fent­lich­keit, der hat pa­the­ti­sche Prin­ci­pi­en nö­thig, die man je­der­zeit in den Mund neh­men kann: – Prin­ci­pi­en eines un­be­ding­ten Sol­lens, wel­chen man sich ohne Be­schä­mung un­ter­wer­fen und un­ter­wor­fen zei­gen darf. Alle fei­ne­re Ser­vi­li­tät hält am ka­te­go­ri­schen Im­pe­ra­tiv fest und ist der Tod­feind Derer, wel­che der Pflicht den un­be­ding­ten Cha­rak­ter neh­men wol­len: so for­dert es von ihnen der An­stand, und nicht nur der An­stand.

Aus: »Die fröhliche Wissenschaft« – Friedrich Nietzsche (15.10.1844–25.08.1900)

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Kommentare werden erst nach erfolgter Prüfung freigeschaltet.