Heinrich Böll »Die verlorene Ehre der Katharina Blum«
von
Armin A. Alexander
Die freiberuflich tätige Hauswirtschafterin Katharina Blum lernt auf der Karnevalsfete ihrer Tante den jungen Ludwig Götten kennen. Katharina, die als prüde gilt, nimmt ihn mit in ihre Wohnung und verbringt eine Liebesnacht mit ihm. Am nächsten Morgen findet bei ihr eine Razzia statt. Götten soll ein unter ständiger Polizeibewachung stehender gesuchter Raubmörder sein. Später stellt sich jedoch heraus, daß Götten lediglich ein Bundeswehrdeserteur ist der die Kasse hat mitgehen lassen und einige hochrangige Bundeswehrangehörige in den Fall verwickelt sind. Katharina wird von der Polizei vernommen, weil sie verdächtig ist Götten zur Flucht verholfen zu haben. Katharina, der sich nichts nachweisen läßt, gerät in die Fänge des Boulevardblattes ZEITUNG, die – wie gewöhnlich – Unwahrheiten verbreitet aus Mangel an Fakten wie auch aus Desinteresse an ihnen. Verantwortlich für die Artikel ist der ZEITUNGsjournalist Tötges. Die ZEITUNG beginnt eine Hetzjagd auf Katharina und macht aus der harmlosen fleißigen zuverlässigen und sympathischen jungen Frau eine eiskalt agierende Rechtsbrecherin. Personen, die von Tötges interviewt werden, finden sich ins Gegenteil zitiert. Tötges suggeriert mit seinen Artikeln, daß die kriminelle Laufbahn Katharinas bereits in ihrer Jugend festgelegt war und sie schon immer ihre Umgebung manipuliert und ausgenutzt hat. Nach außen nimmt Katharina es gelassen hin. Doch dann reagiert sie für alle, die sie kennen, völlig unerwartet: Sie bittet Tötges zu einem Interview in ihre Wohnung und erschießt ihn. Am Ende wird Katharina des Totschlags angeklagt, die Karriere eines erfolgreichen Anwalts zugleich ihr Hauptauftraggeber ist ruiniert, seiner Frau, einer erfolgreichen Architektin, die ohnehin als »rote Trude« verschrien, ergeht es kaum besser, langjährige Freundschaften gehen in die Brüche.
Heinrich Böll beginnt seine 1974 erschienene Satire über die journalistischen Praktiken einer allseits bekannten Boulevardzeitung mit einer Einführung, die in der Regel dazu benutzt wird, um zu erklären, daß der darauffolgende Text reine Fiktion ist, auch wenn es anders scheinen mag. Böll jedoch erklärt damit, daß der Text an sich zwar Fiktion ist, aber sich das Vorgehen der BILD-Zeitung niemals satirischen übertreiben läßt, weil die Realität immer voraus wäre: »Personen und Handlungen dieser Erzählung sind frei erfunden. Sollten sich bei der Schilderung gewisser journalistischer Praktiken Ähnlichkeiten mit den Praktiken der BILD-Zeitung ergeben, so sind diese Ähnlichkeiten weder beabsichtigt noch zufällig, sondern unvermeidlich.«
Stilistisch nimmt Böll Anleihen an Sachbuchtexte. Er beginnt mit einer Auflistung der wichtigsten Quellen. Und spielt zugleich mit den Assoziation die die Begriffe »Quellen« und »Fließen« aufdrängen. In kurzen Sätzen werden die bekannten Fakten geschildert, einschließlich Orts- und Zeitangaben. Zu Protokoll gegebene Aussagen werden in indirekter Rede wiedergegeben. Die Artikel der ZEITUNG werden den tatsächlichen Vorkommnissen gegenübergestellt, um zu deutlichen wie sich die Artikel von den Aussagen diametral unterscheiden. Immer wieder entschuldigt sich der Autor, daß er abschweifen oder unsachlich werden muß, weil es unvermeidlich ist und gedenkt, diese so kurz wie möglich zu halten.
Obwohl allgemein die Auffassung vorhanden ist, daß die ZEITUNG alles verdreht, wie es ihr paßt, da es die Auflage steigert, sind doch so gut wie alle bereit, zu glauben, was über Katharina geschrieben wird.
Hin und wieder schweift der Autor ab und macht sich beispielsweise über die seelische Belastung jener Beamten Gedanken, die Telephonleitungen abhören müssen und dabei als »[–] sittsame oder gar sittenstrenge Personen [–]« möglicherweise mit dem Gespräch eines Liebespaars »[–] vulgärer Natur [–]« konfrontiert werden. Und wundert sich, daß noch niemandem die Brisanz dieser Situation bewußt geworden ist. »[–] Ahnt denn keiner, was hier unschuldigen Ohren alles zwischen Karamelpuddig und härtestem Porno zugemutet wird? [–]«.
Namen beispielsweise wie »Tötges«, »Beizmenne« und »Götten« sprechen für sich selbst und bieten reichlich Raum für Assoziationsspiele.
Da sich bis heute an den journalistischen Praktiken der BILD-Zeitung wenig geändert hat, wie sich täglich auf bildblog.de nachlesen läßt, bleibt Heinrich Bölls Satire unangefochten aktuell. So humorvoll sich vieles auch liest, an manchen Stellen bliebt einem das Lachen im Halse stecken. Heinrich Böll zeigt mit seinem Roman erneut, daß er das Genre des humoristischen Romans beherrscht.
Alle Zitate aus: Heinrich Böll: Die verlorene Ehre der Katharina Blum »Bei Amazon
Kommentare werden erst nach erfolgter Prüfung freigeschaltet.