Gummifetischisten ohne BDSM-Bezug
von
Armin A. Alexander
Gummifetischisten ohne BDSM-Bezug sind eine Spezies für sich
Eine kleine Polemik
Zwar will es das Klischee, daß Fetischisten zugleich BDSM-Neigungen unterstellt werden, was in erster Linie seine Ursache darin haben dürfte, daß der Gummifetischismus ebenso den Ruf des Bizarren besitzt wie BDSM und in der Öffentlichkeit in der Regel als wesentlicher Teil von BDSM-Praktiken dargestellt wird, jedoch bleiben die Schnittmengen überschaubar. Die Mehrzahl der Gummifetischisten sind Vanillas. Gummifetischisten die zugleich BDSMer sind, bilden auf den BDSM-Stammtischen wie auf Latexfetischparties eine Minderheit.
Als passionierter und bekennender Gummifetischist, der zugleich auch BDSMer ist, treibt man sich seit vielen Jahren nicht nur in einschlägigen BDSM-Foren herum, sondern natürlich auch in dem einen oder anderen Forum für Gummifetischisten. Abgesehen davon, wie viele Foren innerhalb der letzten fünfzehn Jahre aufgetaucht und wieder verschwunden sind, sind die deutschsprachigen Foren für Gummifetischisten stets übersichtlich geblieben. Eines der ersten wirklich populären, ›Crazy Rubber and Friends‹, wurde 2001 online gestellt und von den Gründern und Betreibern ›Gixxi‹ und ›Sandmann‹ im August 2011 aus Zeitmangel eingestellt. Aktuell durchaus als Nachfolgeportal zu sehen ist die Latexzentrale.
Vermutlich liegt es an dem Vanilla-Bezug der meisten Gummifetischisten, das es in den Foren sehr beliebt ist, darüber zu diskutieren, ab wann ein Gummifetischismus als noch ›normal‹ und ab wann er ›krankhafte‹ Züge besitzt bzw. ab welchem Grad ›Suchtgefahr‹ besteht. Abgesehen davon, daß der Begriff ›Normal‹ weitaus dehnbarer ist, als es selbst das beste Latex jemals sein könnte, wird die 1887 von Alfred Binet aufgestellte Behauptung, daß ein sexuell motivierter Fetischismus als ›krankhaft‹ anzusehen ist, somit unreflektiert übernommen, wenngleich dessen Auffassung längst als obsolet anzusehen ist. Wobei es erstaunlich ist, daß etwas an sich derart harmloses wie ein Material- bzw. Kleidungsfetischismus überhaupt jemals in den Ruch des ›Krankhaftes‹ gelangen konnte – nun, das ist ein anderes Thema. Doch gerade auf bloße Behauptungen einer vermeintlichen Autorität – wie Arzt/Psychiater/Psychologe – ohne dafür einen belastbaren empirischen Beleg zu liefern, was allerdings in den genannten Disziplinen zu Binets Zeiten noch nicht die Regel war, halten sich erstaunlich lange im allgemeinen Bewußtsein. Vermutlich, weil sie manchem das Gefühl geben, sich besser als der andere, der anders ist, fühlen zu können.
Als ob es sich bei einem Fetisch um eine Droge wie Alkohol oder Nikotin handelt, um einmal die legalen zu nennen. Als ob das tägliche Tragen von Gummikleidung und möglicherweise die eigene sexuelle Lust nur noch in Verbindung mit Gummi ausleben zu können, insbesondere, wenn die Betroffenen dabei absolut glücklich sind, auch nur im Ansatz damit vergleichbar wäre, nikotin- oder alkoholabhängig zu sein.
Der Grundsatz, der sich aus dem Humanismus und der Aufklärung herleiten läßt, daß eine Handlung in Ordnung ist, solange niemandem damit geschadet wird und es auf freiwilliger Vereinbarung geschieht, scheint sich bei manchen Menschen noch nicht herumgesprochen haben. Oder, was auch im Bereich des Möglichen ist, sie weiden sich in einer Art grenzwertigem Masochismus an ihrem vermeintlichen ›krankhaftem‹ Verhalten, was zugleich als Erklärung für einen Mangel die Sexualität betreffende Sozialkontakte herhalten muß.
Es ist müßig, sich darüber Gedanken zu machen, ob man(n) oder frau nur dann eine erfüllte Sexualität haben kann, wenn er oder sie ebenso wie der Partner gänzlich in Gummi gekleidet bis hin zu Gasmasken, Verschlauchung und allem drum und dran, solange jeder seine Erfüllung dabei findet. Das wesentliche Merkmal eines sexuell motivierten Fetischismus ist ja, daß Sex in Verbindung mit diesem Fetisch bedeutend mehr Spaß macht.
Sollte jemand, ohne Gummi zu tragen bis hin zum Vollgummioutfit mit Gasmaske, Watstiefel, dicken Chemiehandschuhen und Gummimantel, tatsächlich keine Lust auf Sex haben, oder tatsächlich nicht ›können‹ – was soll’s! Auch in diesem Fall muß niemand befürchten, keinen Gegenpart zu finden, denn nach aller Erfahrung gibt es mehr als genug Personen beiderlei Geschlechts, die vergleichbar gestrickt sind. Und manche können sich für einen Partner, der so veranlagt ist, erwärmen, weil es einen besonderen Reiz bildet.
Im Gegenteil besitzt die Vorstellung für nicht wenige – mich eingeschlossen – etwas Erregendes und ein selbstbewußter Gummifetischist hätte kaum etwas dagegen einzuwenden, wenn er oder sie ohne in Gummi gekleidet zu sein, gar keine sexuelle Lust mehr verspüren könnte. Wobei ›Können‹ hier in der Bedeutung von ›Wollen‹ gesehen werden muß.
Allerdings scheinen manche Gummifetischisten ohnehin ein ›Problem‹ mit Sexualität an sich zu haben. Sobald diese in Verbindung mit dem Fetisch ins Spiel gebracht wird, wird plötzlich reichlich spätpubertär reagiert. Angemerkt sei ein Beispiel von vielen.
In einem bekannten Latexfetischforum fragte vor mehreren Monaten ein Mitglied, es habe festgestellt, welch angenehmes Gefühl es sei, einen Latexhandschuh beim Onanieren über den Penis zu ziehen, und ob andere bereits vergleichbare Erfahrungen gemacht hätten. Auf den ersten Blick eine Frage, die zwar für einen durchschnittlichen Vanilla ein wenig bizarr erscheinen mag, aber in einem Forum, das sich mit sexuellem Fetischismus beschäftigt, relativ unspektakulär sein sollte und wahrscheinlich nur eine alltägliche fetischistische Masturbationpraxis sein dürfte. Die ersten Reaktionen wären wahrscheinlich pubertierenden dreizehn, vierzehnjährigen noch zu unreif erschienen. Erst nach rund einem Dutzend Einträge, wurde der erste wirklich themenbezogene Beitrag verfaßt.
Überhaupt hat es den Anschein, als ginge es in einem Latexfetischforum nur um die Frage, wo läßt dieses oder jenes Latex- oder Gummiteil beziehen, oder wo gibt es das oder gibt es so etwas überhaupt, über die Materialeigenschaften im allgemeinen und besonderen, oder darum, daß irgend jemand in irgendeinem Medium eine vermeintlich prominente, in der Regel weibliche Person, in einem vermeintlichen Kleidungsstück aus Latex gesehen haben will. Dazwischen findet sich dann durchaus ein Thema mit sexuellem Bezug und hat man Glück, hat dieses auch noch einen BDSM-Bezug.
Das Spannungsverhältnis von Gummifetischisten zur Sexualität scheint Tradition zu haben. Bereits im Fetisch-Magazin «O» Nr. 22 vom November 1994, Seite 77, schrieb eine Londoner Journalistin mit dem Pseudonym ›Lily Klaw‹ in ihrer Kolumne, die mit »Fetischismus oder Pornographie« betitelt ist, über die Problematik, daß Fetischisten ihren Fetisch offensichtlich nicht mit Sexualität in Verbindung bringen wollen. Die Autorin, die ein nicht näher bezeichnetes Pornomagazin heraus gibt, was letztlich auch unerheblich, hatte einen Anruf von einer Frau bekommen, die auf dem Rubber Ball von Skin Two gewesen ist. Diese »[–] sagte, sie sei total enttäuscht, daß ihr Foto in einem Pornoheft erschienen sei. Ich erinnerte sie daran, daß sie selbst doch ihre Brüste entblößt hatte und mit einem Lächeln im Gesicht so aussähe, als ob sie ihren Exhibitionismus sehr genossen hätte. Aber sie beharrte auf ihrer Meinung. Sie fände es scheußlich, daß nun Perverse auf ihr Foto starren würden.[–]« Oder den Fall der bekannten Fetischhändlerin, die sich weigerte, dem Magazin, für das die Autorin arbeitet, für eine Fotoproduktion Kleidung zu vermieten, mit der Begründung: »Unsere Firma möchte nicht mit Wichsern assoziiert werden.« Die Autorin bemerkt zurecht: »Will sie [die Händlerin] uns erzählen, Sex sei zu unmöglich, um mit dem Nächstliegenden in Verbindung gebracht zu werden?«
Da fügt sich die Anfrage eines potentiellen Besuchers der Gummi-Gelüste, einer Party ausschließlich für Gummifetischisten, die seit bald 15 Jahren ausgerichtet wird, ob denn auch die Möglichkeit bestehen würde, daß dort sexuelle Handlungen stattfänden, wäre das nämlich der Fall, würde seine Freundin und er nicht erscheinen. Ein kurioser Ausnahmefall? Möglicherweise, jedenfalls habe ich von einer ähnlichen Anfrage seitdem nichts mehr gehört. So etwas im Vorfeld einer Fetischparty zu fragen, provoziert geradezu die Antwort, daß sich bei einem Treffen in einer Bibliothek auch nicht verhindern läßt, daß die Leute in einem oder mehreren der dort vorhandenen Büchern lesen würden.
Manchmal ist man geneigt Fetischisten mit dieser Einstellung zuzurufen, es gibt auch Fetischisten, die ziehen Latex/Gummi primär an, weil es sie sexuell stark erregt und sexuelle Handlungen für sie darin erfüllender als ohne sind. Vermutlich würde man nur verständnislose Gesichter ernten.
Wenn es ihnen Freude breitet, einfach nur Kleidung aus Latex und Gummi zu tragen, so sei es ihnen unbenommen, nur sollen sie nicht erstaunt sein und sich strickt von denen distanzieren wollen, für die ihr Gummifetischismus sexuell motiviert ist und die dürften nach aller Erfahrung die Mehrheit stellen.
Neben der oben, überspitzt gesagt, vorherrschenden Latexbekleidungsbeschaffungsfrage, folgt gleich, die berechtigte Frage der Suche nach einem passenden Partner, der den eigenen Fetisch teilt. Im Grunde eine Frage, die im Zeitalter der Kommunikation übers Internet und den Links im Forum zu entsprechenden Stammtischen und Parties, von dem Einsatz einer Suchmaschine ganz zu schweigen, sich eigentlich von selbst beantworten sollte. Das scheint sie offenbar für manche nicht, nicht überraschend sind es ausschließlich Männer. Zum einen scheint bei einigen noch immer die überkommene Meinung vorzuherrschen, daß es nur sehr wenige Gummifetischistinnen gibt. Da hilft es auch nicht, wenn Forumsmitglieder, die sich seit einem gefühlten halben Leben auf Fetischparties und -stammtischen ›herumtreiben‹, berichten, daß das Verhältnis der Geschlechter weitgehend ausgewogen ist und sie sich, bitte, selbst davon überzeugen können und sollen, das würde auch über kurz oder lang ihr Partnerschaftsproblem lösen, oder wie ›Rubberinchen‹ eine Wienerin, die dort seit etlichen Jahren einen Latexstammtisch organisiert, gerne schreibt »Hingehen, sich als beständiger und netter Mensch erweisen, dann klappt’s auch mit dem Kontakten«. In der Fachsprache wird das dazu nötige Rüstzeug als Training der sozialen Fähigkeiten bezeichnet.
Mitunter wird einem von dieser speziellen Fraktion unterstellt, daß man das mit dem Frauenanteil unter den Gummifetischisten viel zu rosig sehen würden, selbstredend besonders von Leuten vorgetragen, die noch nie den Weg in die Öffentlichkeit – Stammtische und Parties – gesucht haben. Lang und breit und mitunter mit einer gehörigen Portion Selbstmitleid wird geschildert, wie die Versuche gescheitert sind, eine Frau, die sie kennengelernt haben, zu ihrem Gummifetischismus zu ›überreden‹ und schildern Paradebeispiele wie man(n) es nicht machen sollte, ohne sich selbstverständlich ihres ungeschickten Vorgehens bewußt zu sein, und sie sich über ablehnende Reaktionen nicht zu wundern haben. Wie es auch keine gute Idee ist, sich erst nach Monaten oder gar Jahren einer Beziehung dem Partner gegenüber zu outen, was sich auch nicht herumgesprochen zu haben scheint. Sicherlich läßt bei einigen zugutehalten, daß es in unserer Kultur leider noch immer nicht selbstverständlich ist, offen und wertneutral über Sexualität im allgemeinem und besonderen und vor allem mit dem Partner zu reden. Es würde vieles erleichtern, wäre es für alle Menschen selbstverständlich, nicht nur über ihre Essensvorlieben – »Ich mag Sushi.« –, sondern auch über ihre sexuellen Vorlieben – »Ich stehe auf Latex/Gummi.« – zu reden. »Das mag ich auch.« oder »Das habe ich zwar noch nie probiert, aber man kann es mal versuchen.« wäre durchaus als Dialog eines Paares denkbar, das sich in der Kennlernphase befindet, wobei sich die letzten Aussagen sowohl auf das Sushi als auch auf den Gummifetischismus beziehen können.
Ohnehin sollte sich niemand darüber Gedanken machen, ob er denn einen passenden Partner für seinen Gummifetischismus findet. Fetischismus wie BDSM-Neigungen sind weit verbreitet und Teil des gewöhnlichen menschlichen Sexualverhaltens, insofern und mit den heutigen Möglichkeiten der Kommunikation und vor allem den vielen Treffpunkten für Gleichgesinnte sollte die Partner keinerlei Schwierigkeiten bereiten. Mitunter stößt man sogar im Alltag auf Menschen mit vergleichbaren Neigungen, von denen man es so gar nicht vermutet hatte.
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