Zitat des Tages #134
von
Armin A. Alexander
An die ReaÂlisÂten – Ihr nüchÂterÂnen MenÂschen, die ihr euch gegen LeiÂdenÂschaft und PhanÂtasÂteÂrei geÂwappÂnet fühlt und gerne einen Stolz und einen ZierÂath aus eurer Leere maÂchen möchÂtet, ihr nennt euch ReaÂlisÂten und deuÂtet an, so wie euch die Welt erÂscheiÂne, so sei sie wirkÂlich beÂschafÂfen: vor euch alÂlein stehe die WirkÂlichÂkeit entÂschleiÂert, und ihr selÂber wäret vielÂleicht der beste Theil davon, – oh ihr geÂliebÂten BilÂder von Sais! Aber seid nicht auch ihr in eurem entÂschleiÂertsÂten ZuÂstanÂde noch höchst leiÂdenÂschaftÂliÂche und dunkÂle Wesen, verÂgliÂchen mit den FiÂschen, und immer noch einem verÂliebÂten KünstÂler allzu ähnÂlich? – und was ist für einen verÂliebÂten KünstÂler »WirkÂlichÂkeit«! Immer noch tragt ihr die SchätÂzunÂgen der Dinge mit euch herum, welÂche in den LeiÂdenÂschafÂten und VerÂliebtÂheiÂten früÂheÂrer JahrÂhunÂderÂte ihren UrÂsprung haben! Immer noch ist eurer NüchÂternÂheit eine geÂheiÂme und unÂverÂtilgÂbaÂre TrunÂkenÂheit einÂverÂleibt! Eure Liebe zur »WirkÂlichÂkeit« zum BeiÂspiel – oh das ist eine alte urÂalÂte »Liebe«! In jeder EmpÂfinÂdung, in jedem SinÂnesÂeinÂdruck ist ein Stück dieÂser alten Liebe: und ebenÂso hat irÂgend eine PhanÂtasÂteÂrei, ein VorÂurtÂheil, eine UnÂverÂnunft, eine UnÂwisÂsenÂheit, eine Furcht und was sonst noch Alles! daran geÂarÂbeiÂtet und geÂwebt. Da jener Berg! Da jene Wolke! Was ist denn daran »wirkÂlich«? Zieht einÂmal das PhanÂtasÂma und die ganze menschÂliÂche ZuÂthat davon ab, ihr NüchÂterÂnen! Ja, wenn ihr das könnÂtet! Wenn ihr eure HerÂkunft, VerÂganÂgenÂheit, VorÂschuÂle verÂgesÂsen könnÂtet, – eure geÂsammÂte MenschÂheit und ThierÂheit! Es giebt für uns keine »WirkÂlichÂkeit« – und auch für euch nicht, ihr NüchÂterÂnen –, wir sind einÂanÂder lange nicht so fremd, als ihr meint, und vielÂleicht ist unser guter Wille, über die TrunÂkenÂheit hinÂausÂzuÂkomÂmen, ebenÂso achtÂbar als euer GlauÂbe, der TrunÂkenÂheit überÂhaupt unÂfäÂhig zu sein.
Aus: »Die fröhliche Wissenschaft« – Friedrich Nietzsche (15.10.1844–25.08.1900)
Kommentare werden erst nach erfolgter Prüfung freigeschaltet.