Cornelius Zimmermann »Rocking The Forest«

von
Armin A. Alexander

Interpretationen

Der Herbst über dem uralten, idyllischen, auf seine Weise geheimnisvollen Müützelwald mit seinen musikverrückten Bewohnern neigt sich dem Ende zu. Ungeachtet noch warmer Tage ist der nahende Winter bereits mehr zu spüren als zu erahnen. DAS Ereignis des Herbstes, wenn nicht des ganzen Jahres, steht aber noch bevor; der Rocking the Forest Band Contest, der sich heuer zum 237ten Mal jährt. Die dabei vergebene ›Goldene Dolde‹ zu erhalten, gilt als die wichtigste Ehrung für jeden Müützelwalder Musiker. So auch für Iggy, Keeper of Doom, Wolfmorf, dem Vertreter des Forest Doom. Wolfmörfe sind kleine Pelztiere mit spitzer Schnauze, Knopfaugen, einem buschigen Schwanz und Schaufelpfoten. Ihre Neigung zu plötzlichen Wutausbrüchen, die sich durch die berühmt-berüchtigte Wutbürste, ein besonders Aufstellen der Nackenhaare, ankündigt, ist gefürchtet. Während der Proben mit seiner Band, den Müützel Monotones, bekommt er einen dieser gefürchteten Wutanfälle, da scheinbar nichts so läuft, wie er sich das vorstellt. Die Band, talentierte junge Musiker, verläßt ihn darauf und das elf Tage vom dem Contest. Zu allem Überfluß gründen sie eine neue Band, die Freaky Coconuts, und wollen mit einem neuen Musikstil am Contest teilnehmen, was Iggys Stimmung noch ein wenig mehr senkt. Er steht somit vor dem Problem, die Teilnahme am Contest abzusagen oder nach Ersatz Ausschau zu halten. Aber Iggy wäre kein Wolfmorf, würde er kampflos aufgegeben. Gugu, der Eulerich, redet ihm ins Gewissen und erteilt ihm anschließend den Rat, Blubb, die Pfütze aufzusuchen. Blubb ist ein Pfützengnom, legendärer Drummer und Musikproduzent, der sich zurückgezogen hat, um an seinem ultimativen Werk, der Bonk! Tetralogie zu arbeiten. Iggy macht sich also auf die Suche nach ihm. Sein Weg führt ihn durch die Torffarnschneise zum Pilzmeer, wo er durch das Einatmen halluzinoger Sporen den Trip seines Lebens bekommt. In der Nähe lebenden Muchtenknilche bewahren ihn vor einem bösen Ausgang desselben. Bei den Gnarfkäfern, Spießern par excellence scheint er endlich Blubb zu finden, der sich unter ihnen niedergelassen hat. Doch muß Iggy feststellen, daß dieser von Libellen entführt worden sind und sie ihn am Pinken Teich gefangen halten. Sie sind die Fieslinge des Müützelwalds. Sie betreiben einen seichten Libellenpop, den sie am liebsten allen Waldbewohner aufzwingen würden und schrecken selbst vor Entführung und Gewalt nicht zurück, um ihre Ziele zu erreichen. Sie wollen um jeden Preis eine Begegnung von Iggy und Blubb verhindern. Iggy muß sogar mehrfach um sein Leben fürchten. Während er nach einer Möglichkeit sucht, so schnell als möglich zum anderen Ende des Waldes zu kommen, gelingt es Blubb, sich aus der Gefangenschaft der Libellen zu befreien. Iggy macht sich derweil auf den Weg zum Quacksilbersee. Im Augenblick können ihm nur die dort lebenden Quacksilberquallen helfen, die zu den ältesten Bewohnern des Müützelwalds zählen. Eine Begegnung mit ihnen sieht er mit gemischten Gefühlen entgegen. Vor Jahren haben die Quallen bei einem Festival, beim Konzert, das sie gegeben haben, aus Ärger über das Publikum unter ihm Verheerendes angerichtet und sind seitdem in Ungnade gefallen. Der junge Iggy, der kurz zuvor mit seiner Band, damals noch in anderer Besetzung, einen fulminanten Auftritt hingelegt hatte, war Augenzeuge. Es war die traumatischste Erfahrung seines Lebens. Ein Konzert, das sie während seiner Anwesenheit am See geben, fasziniert ihn nicht nur aufgrund der Qualität, sondern läßt ihn auch erkennen, daß sie ihr damaliges Verhalten aufrichtig bereuen. Eine der Quallen bringt ihn schnurstracks auf dem Luftweg in die Nähe des Pinken Teichs. Dort nun findet er endlich Blubb, der ihm ins Gewissen redet und mit einer unangenehmen Tatsache konfrontiert. [–] »Das goldene Zeitalter des Forest Doom ist vorbei. Er ist zwar noch nicht tot, aber er riecht schon ein bisschen komisch. Du blsch kannst dich nicht mehr darauf pfffsch ausruhen, dass der Forest Doom, den du mitgeholfen hast großzumachen, das Maß blib aller Dinge ist. Er muss sich weiterentwickeln oder ksssch er wird den Weg der Höhlenmusik gehen. Und du gulsch weißt, was mit der Höhlenmusik passiert ist.« [–] Doch Blubb zeigt ihm zugleich einen Weg auf, wie er den Forest Doom zu neuen Höhen bringen kann. [–] »Aber, Wolfmorf, vielleicht liegt hier deine Berufung. Du kannst dem Forest Doom helfen, ohne ischisch ihn nur aufs Sterben vorzubereiten.« [–] Er schlägt vor, daß Iggy sich mit seiner ›alten‹ Band zu versöhnt, da er deren jugendliche Unverbrauchtheit dazu benötigt. Iggys Begeisterung hält sich wenig überraschend in engen Grenzen. Er muß mit sich kämpfen, aber bei aller Voreingenommenheit ist er so ehrlich gegen sich selbst, daß Blubbs Vorschlag die einzige Möglichkeit bildet, seinen über alles geliebten Forest Doom zu neuer Popularität zu helfen. Bis er tatsächlich am Contest teilnehmen kann, muß er noch einige, teilweise gefährliche Abenteuer erleben, denn nicht nur die Libellen trachten ihn nach dem Leben, sondern auf seiner Flucht vor ihnen, landet er im Magen eines Algenlurchs, der sich aber als gutmütig erweist. Nichtsdestoweniger kommt bei Iggy auch die Liebe nicht zu kurz. Auf seinem Weg begegnet er Lila, Sängerin und die wohl schönste Wolfmörfin im gesamten Müützelwald, in die er sich Hals über Kopf verliebt und all das tut, was nicht nur ein verliebter Wolfmorf nicht machen sollte, ist er auf Gegenliebe aus.

 

Wenngleich Cornelius Zimmermann (*1978) seinen Roman mit mehr oder weniger ausgeprägten Fabelwesen belebt und mit liebevollem Humor garniert, er sich mit Einschüben direkt an den Leser wendet und nicht ernst gemeinte Ratschläge erteilt – wenngleich man sich da nicht so sicher fühlt – so scheinbar den Spannungsbogen unterbricht, ihn tatsächlich damit steigert, ist es letztlich die Geschichte eines vermeintlich alternden Musikers, der erkennen muß, daß die Zeit ihm davongelaufen ist, und der sich und seinen geliebten und gelebten Musikstil neu erfinden muß, um nicht zu altern, sondern zu reifen und sich zu erneuern. Und es ist ein Roman über Musik und die Faszination, die sie auszulösen vermag. Die Beschreibungen der Konzerte, z. B. der Quacksilberquallen und Iggys Solokonzert auf der Uga-Uga beim CnicCnac-Festival auf der Nebenbühne im Rubinwald beim Pinken Teich, lassen die dort gespielte Musik über Worte lebendig werden.

 

Cornelius Zimmermann
Rocking The Forest
Fischer-Verlag, PB
Print-ISBN: 9783596299270, 9,99 €
e-Book-ISBN: 9783104904962, 9,99 €
erschienen: März 2018

 

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Kommentare werden erst nach erfolgter Prüfung freigeschaltet.