Kurzes #12 – Morgendliche Begegnung

von
Armin A. Alexander

Der folgende Text ist ein kurzer Auszug aus dem sich zur Zeit noch mitten in der Bearbeitung befindenden Roman mit dem Arbeitstitel »Adalberts Erbe«. Ein weiterer Auszug ist bereits unter »Kurzes #7« zu finden.

Ein Gefühl von Kälte und Einsamkeit weckte ihn. Der Platz neben ihm war leer. Es dämmerte bereits. Der durch das halb geöffnete Fenster hereindringende Luftzug blähte die Gardine auf. Das Laub der Buchen rauschte vernehmlicher, der Wind hatte merklich aufgefrischt. Schließlich war für diesen Tag Regen angesagt. Die Stelle wo Zoí« gelegen hatte war noch warm. Vermutlich war sie ins Bad gegangen. Für einen Augenblick erschrak er als er auf dem Stuhl auf dem sie ihre ausgezogenen Sachen ablegte, Rock und Bluse nicht mehr entdecken konnte. Sollte sie am Ende ohne Abschied gegangen sein. Dann aber machte sich tiefe Erleichterung in ihm breit; Strümpfe, Taillenkorstett, Höschen und Schuhe waren noch an ihrem Platz.
Er lag ruhig da und lauschte auf Geräusche im Haus. Gleich würde die Wasserspülung gehen oder etwas in der Richtung. Aber es vergingen fünf Minuten, zehn Minuten, eine viertel Stunde. Es bliebt ruhig, nur der Wind war heftiger geworden. Irgendwo hinten am Haus klapperte leicht ein Fensterladen. Entweder hatte er ihn nicht richtig fixiert oder die Fixierung mußte erneuert werden. Vereinzelt erschollen bereits Vogelstimmen.
Mit einem Seufzer und voll innerer Unruhe stand er auf, zog ein T-Shirt und die Hose über und verließ auf nackten Füßen das Zimmer. Der dicke Läufer in Gang kitzelte unter seinen Sohlen. Es war bereits hell genug, daß er kein Licht mehr machen mußte. Zuerst warf er einen Blick ins Bad. Es war leer. Als nächstes schaute er ins Arbeitszimmer, warum wußte er nicht, auch hier war niemand. Er trat ans Fenster und schaute in den Garten hinaus, in dem er wie nicht anders erwartet niemand entdecken konnte. Er warf einen Blick zum Himmel. Dicke dunkle Wolken zogen schnell vorüber. Schade, daß das schöne Wetter der letzten Tage eine Pause einlegte. Nur von Ferne drang der morgendliche Gesang der Vögel herein.
Er verließ das Arbeitszimmer, warf einen Blick ins ehemalige Schlafzimmer seines Patenonkels, obwohl es ebenfalls keinen Grund gab, daß sie hier sein sollte, ebensowenig fand er sie in einem der Gästezimmer.
Er wunderte sich, warum er nicht gleich in die Küche oder ins Wohnzimmer hinuntergegangen war. Er sah zuerst in die Küche, da sie Hunger bekommen haben könnte, was ihm als die wahrscheinlichste Möglichkeit erschien. Doch auch dort war sie nicht. Die benutzten Teetassen vom Abend zuvor standen mit der fast leeren Dose mit Florians selbstgebackenen Keksen noch auf dem Tisch. Für einen Moment amüsierte ihn die Vorstellung, was wohl Martha sagen würde, wüßte sie, wozu der große Tisch noch ausgezeichnet verwendet werden konnte, außer zum Essen und zum Zubereiten desselbigen. Doch ließ ihn diese schöne, erst wenige Stunden zurückliegende Erfahrung ein wenig wehmütig und den Wunsch Zoí« zu finden stärker werden.
Er betrat das Wohnzimmer. Er entdeckte sie sofort, leicht zusammengesunken mit untergeschlagenen Beinen und struppigem Haar auf der breiten Couch sitzend, den Blick zum Fenster gerichtet, offenkundig in Gedanken versunken. Sie hätte ihn eigentlich bemerken müssen, doch verharrte sie in ihrer Lage, als sei sie gänzlich abwesend, selbst als er sich neben sie setzte, reagierte sie nicht. Sie schien sich in einer ähnlichen melancholisch tieftrauigen Stimmung zu befinden wie vor zwei Tagen im Arbeitszimmer. Er fühlte erneut Hilflosigkeit in sich aufsteigen. Er kannte den Grund für diese Stimmungsumschwünge ja nicht. Bei einer scheinbar so starken und selbstbewußten Frau wie ihr irrtierte ihn das doppelt. Als er ihr gestern abend beinahe zaghaft seine erotischen Phantasien erzählte, von denen er schon lange keiner Frau mehr berichtet hatte, wenn er sich auch für sie nicht schämte, hatte sie interessiert zugehört, und im gleichen Atemzug ihre frank und frei erzählt, weshalb er sie nun nicht mehr zu fragen brauchte – ferner hatte es ihm die Erkenntnis gebracht, daß eine große Badewanne noch ganz andere Vorteil bot, außer daß man bequem zu zweit darin baden und duschen konnte. Geduscht hatten sie ja auch im weitesten Sinne, zumindest bezeichnete man es euphemistisch so.
Weil ihm nichts anderes einfiel und man vermutlich nichts Besseres in einer solchen Situation tun kann, legte er liebevoll den Arm um sie. Er spürte, wie sie vernehmlich zitterte. Es vergingen einige Augenblick, die sie anscheinend benötigte, um ihre Umwelt wieder wahrnehmen zu können, da lehnte sie sich schutzsuchend an ihn, vergrub den Kopf in seiner Schulter.
»Halte mich«, sagte sie leise mit zitternder fast tonloser Stimme.
Sie hatte jetzt kaum noch etwas von der selbstbewußten lebensbejahenden Frau an sich.
Er nahm sie in die Arme und drückte sie zärtlich fest an sich. Hoffentlich geriet sie nicht oft in eine solche Stimmung. Er wußte einfach nicht, wie er sich dabei adäquat verhalten sollte, fühlte sich irgendwie überfordert. Seine bisherigen, wenn auch nicht sehr zahlreichen Verflossenen waren ausnahmlos weniger starken Stimmungsschwankungen unterworfen gewesen. Und doch hatte er bei Zoí« nicht den Eindruck, daß sie an sich von labiler Psyche sei. Irgend etwas mußte sich in naher Vergangenheit ereignet haben, daß diese seelischen Abstürze bei ihr auslösten.
Als er aufwachte war es Vormittag und der Regen rauschte leise. Er lag auf der Couch, Zoí« um die er beide Arme gelegte hatte, halb auf ihm. Dort wo ihre Körper sich berührten war sein T-Shirt naßgeschwitzt und ihre Bluse vermutlich auch. Zoí« schlief tief und fest. Ihre Atemzüge gingen ruhig und gleichmäßig. Er konnte nicht sagen, wie lange sie da gesessen hatten, bevor die Müdigkeit sie übermannt und sie sich einfach auf der Couch ausgestreckt hatten, obwohl es vermutlich besser gewesen wäre, hätten sie sich wieder ins Bett gelegt.
Er lauschte auf den Regen, versuchte an nichts zu denken, nur die Nähe dieser sonderbaren Frau zu genießen. Durch das Erlebnis von heute früh war er überzeugt, daß sie ein Geheimnis mit sich herumtrug. Nicht ohne Grund gerät niemand scheinbar völlig ohne äußeren Anlaß in eine derart traurige melancholische Stimmung. Warum war sie nicht einfach bei ihm Bett geblieben? Warum mußte sie allein im Wohnzimmer sitzen? Seinen ersten Gedanken, daß es etwas mit ihm zu tun haben könnte, verwarf er sofort. Daß sie so dicht an ihn gekuschelt so ruhig schlief, sich ihre Verfassung in seiner Nähe sich fast augenblicklich änderte, zeugte eindeutig vom Gegenteil. Wenn er sie nur direkt hätte darauf ansprechen können. Abgesehen davon, daß er nicht wußte, wie er es in Worte kleiden sollte, besaß er nicht den Eindruck, daß sie ihm bereitwillig Auskunft geben würde, zumindest zu diesem Zeitpunkt noch nicht.
Über diese Überlegungen mußte er erneut eingeschlafen sein, denn ihn weckte die große Standuhr als sie die zehnte Stunde schlug. Zoí« schien vor ihm erwacht zu sein, denn sie lächelte ihn liebevoll an als hätten sie sich hier ohne besonderen Grund schlafen gelegt.
»Es regnet«, sagte sie nicht wirklich bedauernd.
»Auch im Haus kann man es sich bei diesem Wetter gemütlich machen«, meinte er ohne an etwas Bestimmtes zu denken.
»Das werden wir auch«, entschied sie und stand auf.
Ihre Mimik verriet nur zu deutlich an was sie dachte.

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